Gast-Kommentar von Jochen Reidegeld zur Hoffnung in der Kirchenkrise

Leinentuch statt Prachtgewänder – wohin die Kirche umkehren muss

Anzeige

Wo bleibt die Hoffnung in der Corona- und Kirchenkrise? Sie kommt konkret von den Menschen in den Pfarreien, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie zeigen der Kirche den Weg zur Umkehr, sagt Pfarrer Jochen Reidegeld in seinem Gast-Kommentar.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Nach zwei Jahren Pandemie und in einer scheinbar aussichtslosen Lage, in die sich die institutionelle Kirche gebracht hat, sehne ich mich nach einer Hoffnung, die durch diese Zeit trägt. Solche Erlebnisse der Hoffnung schenken mir Menschen, die ich hier in Steinfurt und an anderer Stelle erlebe.

Ein hoffnungsstiftender Moment war für mich die Entscheidung unseres Pfarreirates und Kirchenvorstandes, einer jungen Frau aus Syrien durch ein Kirchenasyl den Verbleib bei ihrer Familie zu ermöglichen. Durch humanitäre Einsätze kenne ich ihre Heimat Kobane, und ich kann ahnen, welches Grauen sie erlebt hat.

Gemeinsam gelacht und geweint

Der Autor:
Jochen Reidegeld ist Pfarrer in Steinfurt und Kreisdechant des Kreisdekanats Steinfurt.

Mut gemacht haben mir die folgenden Monate. Ich durfte erleben, wie die junge Frau in unserem Pfarrhaus von Menschen aus unserer Gemeinde liebevoll begleitet wurde. Sie brachten ihr nicht nur Lesen und Schreiben bei, sondern sie haben mit ihr Freizeit verbracht, sie haben mit ihr an guten Tagen gelacht und an schlechten geweint, wenn die schmerzhaften Erinnerungen zurückkamen.

Bei Menschen wie meinem Mitbruder Pfarrer Peter Kossen erlebe ich, dass er sicht- und erlebbar macht, was Jesus meint, wenn er uns auffordert, an der Seite der Benachteilig­ten zu stehen. Wenn ich die Ehrenamtlichen in der Tafel oder den Kleiderstuben unserer Stadt sehe, dann machen die Seligpreisungen der Bergpredigt wieder neu Sinn.

Umkehr der Kirche muss sichtbar werden

Frauen und Männer wie diese definieren für mich die Zukunft der Kirche. Engagierte wie sie schreiben den Pastoralplan der Zukunft und füllen die an anderer Stelle auf der Bistumskarte gezogenen Räume mit Leben und Hoffnung. Diese Erfahrungen weisen den Weg der ganzen Kirche und unseres Bistums im neuen Jahr.

Will die Kirche den Menschen das Evangelium nahebringen, dann führt der einzig mögliche Weg zurück in den Abendmahlssaal – zur Fußwaschung. Jesus legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Das verstehe ich nicht nur bildlich, sondern auch wörtlich. Eine Umkehr der Kirche muss sichtbar werden im entschlossenen Einsatz für die Armen und Entmutigten, aber auch im Ablegen der Gewänder und Insignien der Macht! Damit erniedrigt sich die Kirche nicht, sondern sie kehrt zu ihrem Ursprung zurück. Dabei helfen jetzt nur noch Taten, Bekenntnisse reichen nicht mehr aus.

Die Positionen der Gast-Kommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche-und-Leben.de“ wider.

Anzeige