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Am 2. Mai sprechen Soldatinnen und Soldaten im Franz-Hitze-Haus in Münster über das Thema „Bundeswehr der Zukunft – Verantwortung und Künstliche Intelligenz“. Veranstalter ist das „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“, eine Einrichtung der katholischen Militärseelsorge. Dessen stellvertretender Leiter Heinrich Dierkes beschreibt, vor welchen ethischen Herausforderungen Soldatinnen und Soldaten heute stehen.
Herr Dierkes, worum geht es bei der Tagung?
Es handelt sich um eine Fortbildungsveranstaltung der katholischen Militärseelsorge, die wir in Kooperation mit dem Katholischen Militärdekanat Köln und der Konrad-Adenauer-Stiftung durchführen. Wir wollen Soldatinnen und Soldaten mit verschiedenen Fachleuten aus dem Bereich „Bundeswehr und Künstliche Intelligenz“ ins Gespräch bringen. Besonders im Mittelpunkt sollen ethische Fragen und Herausforderungen stehen, die sich jeweils am konkreten Handeln der Bundeswehr orientieren. „Aus der Praxis für die Praxis“ ist eine der zentralen Ideen. Die Fachleute sollen nicht im Elfenbeinturm diskutieren, sondern mit der Praxis, mit den Anwenderinnen und Anwendern der Künstlichen Intelligenz in diesem speziellen Bereich ins Gespräch, in die Diskussion kommen.
Das „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“ sieht sich als kirchlicher Bündnispartner der Bundeswehr. Wie groß ist deren Bereitschaft, ein Bündnis mit Ihnen einzugehen?
Unser Institut gibt es seit 2010 und wir haben seither immer wieder erfahren, dass es eine große Bereitschaft der Soldatinnen und Soldaten gibt, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen, sich durch Diskussionen über militär-ethische Fragen herausfordern zu lassen. Dabei unterstützt das „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“ in unterschiedlichen Formaten. Wir verstehen uns stets als kritisches Gegenüber – wie das insgesamt für die Militärseelsorge gilt. Es geht also nicht direkt um Bündnisse. Und wenn, dann muss es doch immer noch ein informiertes, aber eben auch fragendes, kritisches Gegenüber geben. Das ist Soldatinnen und Soldaten wichtig. An der Seite, mit ihnen unterwegs – aber auch fragend und diskutierend. Das soll auch an diesem Tag in Münster geschehen.
Dort soll es um moderne Kriegsführung gehen. Vor welchen ethischen Fragen stehen die Soldatinnen und Soldaten?
Heinrich Dierkes ist stellvertretender Leiter des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften. | Foto: privat
Es geht hier um mehr als um die Frage der Verantwortung: Wer ist verantwortlich, wenn Maschinen arbeiten dürfen, programmiert werden, wenn Künstliche Intelligenz für den Einsatz von Waffen sorgt, wenn es mehr und mehr um die Frage von Automatisierung geht – auch im Bereich von Waffen? Es droht hier eine Technisierung und Automatisierung. Maschinen lernen zu töten – und damit sinken Hemmschwellen. Maschinen werden schneller eingesetzt als Menschen. Der Krieg, der Kampf wird zu einer Art Normalität, weil es eher wie ein Computerspiel denn wie eine ethische und menschliche Ausnahmesituation erscheint. Das wollen wir kritisch beleuchten. Und das soll dann helfen, auch in diesen Bereichen zu einer Gewissensentscheidung zu kommen.
Schaut man sich den russischen Agriffskrieg in der Ukraine an, ist von Künstlicher Intelligenz wenig zu sehen, eher von Panzerkolonnen und konventioneller Kriegsführung. Wie erleben die Soldaten diesen Krieg?
Zunehmend als bedrohlich. Auf der einen Seite kommt hier Gewalt und Krieg immer näher, betrifft nicht den afrikanischen oder asiatischen Kontinent, sondern spielt sich an der Ostgrenze Europas ab. Auf der anderen Seite wird durch ein Land ein brutaler Angriffskrieg geführt, dessen Streitkräfte sich an keinerlei internationale Gesetze, Verabredungen und Verträge halten. Da werden täglich Kriegsverbrechen begangen – und das könnte dann der Kriegsgegner werden. Wie aber kämpft man mit so jemandem? Was ist dann noch alles an Brutalität und Unmenschlichkeit zu erwarten? Zum Glück haben das deutsche Soldatinnen und Soldaten nie gelernt – und wollen das auch nicht lernen. Und erleben ohnehin nicht!
Viele christliche Ethiker haben in vergangenen Jahrzehnten Rüstungsexporte kritisiert. Auch Geldanlagen in Rüstungsfirmen galten als verpönt. Kirchliche Banken warben lieben mit ethischen und ökologischen Investments. Was ist von dieser Kritik übriggeblieben?
Ich denke, dass man sich diese Kritik wachhalten muss. Aber sie muss sich an der Realität messen lassen. Und die Realität ist eben, dass sich internationale Politik neu zu orientieren scheint: Die alten Blöcke brechen auf. Überall entstehen Regime, die ihre Politik auf Unmenschlichkeit und Menschenrechtsverletzungen aufbauen. Die internationalen Bündnisse und Verabredungen scheinen zu zerbröseln. Die Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug. Stattdessen entstehen überall neue Machtzentren, Gewissheiten in den internationalen Beziehungen fallen. Krisenherde vervielfältigen sich, und selbst in und um Europa denken antidemokratische Machthaber, nunmehr eine Chance zu haben. Drohungen bis zum Äußersten, also mit Atomwaffen, prägen mehr und mehr politische Felder. Daher scheinen leider kritische Anfragen nicht mehr möglich, werden vom politischen Tagesgeschehen schlichtweg überrollt.
Politiker sprechen von einem Paradigmenwechsel, der mit dem Krieg in der Ukraine begonnen habe. Welchen Paradigmenwechsel müssen Sie vollziehen?
Wir müssen weiter daran arbeiten, Fragen der Menschlichkeit, der Ethik, des christlich-geprägten Menschenbildes wach zu halten. Wir müssen in unseren unterschiedlichen Arbeitsfeldern weiter daran mitarbeiten, dass in den verschiedenen Bereichen – gerade bei den Soldatinnen und Soldaten – Gewissensbildung geschieht, damit die Unmenschlichkeit des Krieges nicht zur Normalität wird. Wir müssen weiterhin die Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger dabei unterstützen, zur Gewissensbildung und Gewissensschärfung beizutragen. Wie nötig das ist, zeigen die vielen Kriegsherde überall auf der Welt. Wir müssen auch weiterhin daran arbeiten, dass das Thema „Verhandlungen und Gespräche“ nicht völlig verschwindet und sich der Normalität eines Krieges beugt. Gewalt ist und bleibt das letzte Mittel – und kann höchstens eine „Zwischenlösung“ sein.
Das „Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften“ (zebis) wurde 2010 in Hamburg vom katholischen Militärbischof für die Bundeswehr gegründet. Um die ethische Kompetenz von Soldatinnen und Soldaten zu fördern, bietet zebis Fortbildungen für die Militärseelsorge zur Durchführung des Lebenskundlichen Unterrichts an sowie Weiterbildungen für Angehörige der Bundeswehr. Einige Angebote richten sich darüber hinaus an die interessierte Öffentlichkeit.