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Religionslehrerin für angehende Metallbauer und Tischler an einem Berufskolleg? Sophia Dohle beschreibt, warum sie ihren Beruf ergriffen hat, was sie erreichen will – und was sie tun muss, ohne es gelernt zu haben.
Da schwamm sie plötzlich im kalten Wasser, sagt Sophia Dohle. Sie war im Anerkennungsjahr hineingesprungen. Nach ihrem Abitur absolvierte sie das in der Caritas-Jugendhilfe in Werne. Es war eine Zeit, die bis heute nachwirkt – positiv: Der Kontakt mit den jungen Menschen in Extremsituationen hat ihren Blick geweitet. Damit kann sie heute als Berufsschullehrerin am Hans-Böckler-Berufskolleg in Marl und Haltern immer noch viel anfangen.
Aber warum war das Wasser damals so kalt? „Wo ich aufgewachsen bin, war die katholische Welt noch in Ordnung“, sagt die 30-Jährige. Sie spricht von Brilon im „beschaulichen Sauerland“. In dem sie klassisch kirchlich sozialisiert aufwuchs. Mit allem, was dazu gehörte: Messdiener, Jugendarbeit, Ehrenamt. „Und dann wurde ich plötzlich mit dem Leben von Jugendlichen konfrontiert, das gerade überhaupt nicht gut lief.“
„Stark machen für die Zukunft“
Beziehungsbrüche, Gewalt, Vernachlässigung – sie war ganz nah dran an den Abgründen. „An der Wirklichkeit“, sagt Dohle. Und meint das nicht abwertend. „Nein, das Jahr war total beeindruckend.“
Manchmal fühlte sie sich wie eine „50-Prozent-Mama“ für ihre Klienten. Eine Rolle, die sie schnell lernen musste, denn der Kontakt zu den jungen Menschen war in der Regel nur vorübergehend. „Das Beste, was passieren konnte, war, dass wir sie in eine Pflegefamilie vermittelten.“ Ihre wichtigste Erkenntnis dadurch? Sie überlegt nicht lange: „Ich bin nicht verantwortlich für das, was sie erlebt haben, aber dafür, sie stark für die Zukunft zu machen.“
Für viele Schüler spielt Religion kaum eine Rolle
Stark für die Zukunft – sie hat den Satz mitgenommen in ihren Beruf als Lehrerin für Religion und Pädagogik. „Ich möchte den Schülern helfen, mit den Herausforderungen des Lebens umgehen zu können.“
Ihr ist bewusst, wie das bei ihr selbst funktioniert – das es ihr Glaube ist, der sie dann trägt. „Er ist Kraftquelle, mit der ich reflektieren und Hoffnung formulieren kann.“ Das kann sie aber nicht eins zu eins auf ihre Schüler übertragen. Die kommen immer häufiger aus einer völlig anderen Kulisse, als sie Dohle in Brilon erleben durfte. Sondern aus einem Umfeld, indem Religion im besten Fall noch eine untergeordnete Rolle spielt.
„Ansatzpunkte gibt es immer“
„Wenn ich meinen Schülern erzähle, dass Gott ‚nichts als Fügen tut‘, erlebe ich viel Unverständnis.“ Das sagt Dohle ohne einen Unterton des Vorwurfs. „Sie kennen das Leben nicht, in dem der Glaube sie in vielen Situationen begleitet und Lösungen eröffnet.“ Die Einstellung der Schüler ist oft eine andere: „Ich muss nur konkret für etwas beten und dann erledigt Gott das für mich.“ Wenn das nicht so funktioniert, erfüllt der Glaube nicht seinen Zweck.
An diesem Punkt erlebt sie ihre Berufsauffassung als echte Herausforderung, sagt sie: „Ich möchte die Lebenswirklichkeit der Schüler in meinen Unterricht hineinholen und dann mit ihnen gemeinsam Kontaktflächen mit dem Glauben finden.“ Es geht ihr dann um „echte religiöse Relevanz“. Die Suche danach gestaltet sich nicht immer leicht, gibt sie zu. „Ansatzpunkte gibt es letztlich aber immer.“
Zugang zu Metallbauern und Tischlern
Als Beispiel kann sie von einer Klasse für angehende Metallbauer und Tischler berichten. „Es war zu Beginn echt ein wenig desillusionierend, da einen religiösen Zugang zu finden.“ Vor ihr saßen überwiegend junge Männer, die im Alter von meist 16 bis 20 Jahren ganz andere Dinge im Kopf hatten als die Auseinandersetzung mit religiösen Gefühlen. „Ich fragte mich, was ich das rauskitzeln sollte.“
Sie tat das, was dann immer hilft: „An ihr Berufsfeld anknüpfen.“ Thema: Nachhaltiger Umgang mit Rohstoffen. Den ökologischen Hintergrund brachte sie in Verbindung mit den Schöpfungsgedanken der Kirche und erarbeitete Schnittmengen auf die Frage, warum es wichtig ist, mit der Erde und dem Leben darauf verantwortungsvoll umzugehen?
Oft nur ein „Anstupsen“
Sophia Dohle. | Foto: privat.
„Mehr als ein Anstupsen solcher Gedanken ist es oft nicht“, sagt Dohle. Umso wichtiger ist ihr dann, mit großem Fingerspitzengefühl darauf zu achten, an welchen Stellen es noch mehr Tiefe geben kann. Sie weiß aber, dass es dabei so gut wie nie klappt, die „Fülle des Glaubens“ zu vermitteln.
„Ich freue mich trotzdem, wenn auch nur ein Schüler fühlt, dass es einen Raum dafür gibt, in dem er sich vielleicht mal irgendwann öffnen kann.“ Einen Raum, der Antworten aus dem Glauben heraus bietet, wenn es die Fragen des Lebens plötzlich in sich haben. Wie damals in ihrer Zeit bei der Jugendhilfe: „Lebensbrüche, Abschiede, Überforderungen…“
Auch mit Pflegerinnen und Erzieherinnen zu tun
Bei den Klassen, in denen Pflegerinnen und Erzieherinnen sitzen, findet sie schneller solche Zugänge. „In ihrem Arbeitsalltag sind sie öfter mit der christlichen Hoffnungsdimension konfrontiert.“ Der Umgang mit Tod und Trauer begegnet etwa den Auszubildenden in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen mit großer Wahrscheinlichkeit regelmäßig. „Die Arbeit in sozialen Bereichen und in der Seelsorge haben immer eine große Schnittmenge“, sagt Dohle. „Schon allein ihr Einsatz in den zum größten Teil konfessionellen Einrichtungen verlangt das auch von ihnen.“
Ihren Beruf als Lehrerin sieht sie an einer ähnlichen Schnittstelle. Auch wenn ihr Arbeitsplatz keine kirchliche Schule ist. Es war ihr wichtig, mit ihrer Missio Canonica, der kirchlichen Beauftragung der katholischen Kirche mit Verkündigungs- und Lehraufgaben, an eine öffentliche Schule zu gehen.
Sie wollte raus aus dem katholischen Milieu
Sie wollte mit ihrer Auffassung möglichst weit raus aus dem kirchlichen Milieu. „Da habe ich Weite gesucht“, sagt Dohle. „Ich wollte Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft erreichen, nicht nur aus dem Bereich, den ich als Jugendliche erlebt hatte.“
Ein Gefühl, dem sie schon am Ende ihres Studiums gefolgt war, als sich die Frage stellte, ob sie in den pastoralen Dienst geht oder Lehrerin werden will. „Raus aus dem katholisch sozialisierten Umfeld – rein in möglichst viele Lebenswirklichkeiten.“ Ihr Entscheidungen waren logisch.
Sie muss für die Kirche geradestehen
Es waren Schritte in eine Umgebung, in der sie sich mit ihrem Glauben manchmal als „Einzelkämpferin“ bewähren muss. „Dabei gibt es durchaus zermürbende Erlebnisse.“
Etwa, wenn sie als „Frau der Kirche“ mit den aktuell dominierenden Themen der Kirche gleichgesetzt wird. Wenn sie von einigen Schülern bisweilen als „Priesterin oder Pastorin“ angesprochen wird, ist deren Frage nicht weit, wie sie für eine Institution arbeiten kann, die etwa mit dem Missbrauch in den eigenen Reihen so skandalös umgeht.
Überzeugung zählt
„Da kann ich nur durch Haltung überzeugen“, sagt Dohle. „Wenn ich in der Beziehung zu diesen Schülern ein anderes Bild vermittele, wirkt das viel stärker als der Versuch, die Probleme wegzudiskutieren.“
Das ist für sie zu einem Grundsatz geworden. Sie hat in ihren drei Jahren am Berufskolleg immer wieder erlebt, dass sie Religion nicht als Wissen vermitteln kann, sondern als Gefühl. „Es ist vor allem meine Überzeugung, die zählt.“
Seelsorgerin „aus dem Bauch heraus“
Dabei wird sie immer wieder auch als Seelsorgerin wahrgenommen. Wenngleich das eigentlich nicht ihr Aufgabenbereich ist. Aber die Fläche einer Religionslehrerin für persönliche Fragen, ist groß. „Du bis von der Kirche, also bist du auch für meine Sorgen zuständig“, formuliert sie die Vermutung mancher Schüler. Auch das sieht sie alles andere als kritisch: „Das ist in Ordnung – wo ich helfen kann, tue ich das.“ Wenn nicht, vermittelt sie Hilfe.
Ihre Kritik geht an dieser Stelle eher in eine andere Richtung: „Wir haben diesen Part als Religionslehrerin in der Ausbildung nie gelernt.“ Dort standen vor allem das Wissen und die Wissensvermittlung im Vordergrund – die Methode, den Jugendlichen religiöse Inhalte präsentieren. Auf Anfragen an sie als Seelsorgerin muss sie dagegen aus ihrem Bauch, aus ihrer eigenen Lebenserfahrung reagieren. „Also mehr autodidaktisch und emphatisch“, sagt Dohle.
Wie damals im kalten Wasser
Genau so, wie sie es gelernt hat, als sie damals ins kalte Wasser sprang: „Das Leben der jungen Menschen in all seinen Ausprägungen wahr- und ernst zu nehmen.“ Nicht nur ihre Erfahrungen aus der Jugendhilfe sind ihr dabei präsent, auch ihr persönlicher Background aus ihrer eigenen Kinder- und Jugendzeit im gut katholischen Brilon helfen ihr dann, den richtigen Ton zu treffen.