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Die Wahl war - anders als beim polnischen Vorgänger Johannes Paul II. und dem argentinischen Nachfolger Franziskus - keine ganz große Überraschung. Der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger galt als ein Favorit für das Papstamt. Bereits im vierten Wahlgang wählten die 115 Kardinäle am 19. April 2005 den langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation an die Spitze der katholischen Weltkirche - als ersten Deutschsprachigen seit 482 Jahren.
Schon als auf der Mittelloggia des Petersdoms der lateinische Vorname „Iosephum“ fiel, brandete auf dem Platz Applaus auf. Als dann der Name „Ratzinger“ folgte und der Papstname Benedikt XVI., war der Jubel groß. Fahnen wurden geschwenkt, es fielen Freudentränen.
„Nach dem großen Papst Johannes Paul II.“
Um 17.49 Uhr des zweiten Konklave-Tags stieg zunächst grauer Rauch aus dem Schornstein der Sixtina, der aber immer heller wurde. Bald bestätigte Glockengeläut: Die Entscheidung ist gefallen. Menschen strömten zum Petersplatz, der sich füllte wie auch die anschließende Via della Conciliazione. Rund um den Vatikan brach Verkehrschaos aus. TV-Kameras aus aller Welt richteten sich auf die Fassade des Petersdoms.
Eine Stunde später öffnete sich der purpurrot Vorhang hinter dem Mittelbalkon für den neuen Papst. Freundlich und bescheiden begrüßte Benedikt XVI. die Menge. Fast schüchtern winkte er, erstmals im weißen Papstgewand. „Nach dem großen Papst Johannes Paul II.“, begann Ratzinger seine kurze Ansprache - und erntete für diese Reverenz sofort lauten Applaus. Nun hätten die Kardinäle ihn, einen „einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn gewählt“. Kaum hatte er seinen ersten Segen „Urbi et orbi“ gespendet, formierten sich auf dem Bernini-Oval die ersten „Benedetto, Benedetto“-Sprechchöre. Und sogar in der deutschen Heimat, die zu Rom und dem bayerischen Kardinalpräfekten nicht das innigste Verhältnis pflegte, titelte eine Zeitung: „Wir sind Papst“.
Ratzinger: Selbstherrlichkeit im Klerus
In den Tagen nach dem Tod Johannes Pauls II. war Ratzinger mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Als Dekan des Kardinalskollegiums führte er die Kirche in der Zwischenzeit. Er feierte auf dem Petersplatz die Totenmesse, bei der der nüchterne Intellektuelle auch Emotionen zeigte. Er wies auf das Fenster der Papstwohnung und sagte: „Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst nun am Fenster des Hauses des Vaters steht, uns sieht und uns segnet.“
Noch mit einer anderen Äußerung hatte der deutsche Kardinal in jenen Tagen für Aufsehen, aber auch für manchen Einspruch gesorgt. Beim Karfreitags-Kreuzweg am Kolosseum zeichnete er ein düsteres Bild der Kirche: Sie sei wie ein sinkendes Boot; es gebe „viel Schmutz“, und im Klerus herrschten Hochmut und Selbstherrlichkeit. Offenbar traf diese Offenheit den Nerv der Kardinäle.
Spekulationen und Indiskretionen
Als Dekan leitete Ratzinger die Kardinalsversammlungen vor dem Konklave. Über die Dynamik dieser Tage kamen manche Spekulationen und Indiskretionen in Umlauf. Von zwei Lagern war die Rede, für die Ratzinger und der frühere Mailänder Erzbischof, Kardinal Carlo Maria Martini, standen. Beide hätten zunächst gleichauf gelegen, bevor sich Martini, der angeblich an Parkinson litt, zugunsten Ratzingers zurückzog.
Nach anderen Versionen soll der Argentinier Jorge Mario Bergoglio der Gegenkandidat gewesen sein. Auch er habe verzichtet - und sei dann acht Jahre später zum Zug gekommen. Auf jeden Fall soll Ratzingers Vorsprung erheblich gewesen sein. Dem Vernehmen nach hatten im Vorfeld einige Lateinamerikaner rege Lobbyarbeit für ihn gemacht.
„Theologe auf dem Papstthron“
Offensichtlich sah die Mehrheit der Kardinäle in ihm einen Garanten für eine Kontinuität an der Kirchenspitze. Immerhin war Ratzinger 23 Jahre lang der engste Mitarbeiter des Vorgängers. Aber sie trauten ihm auch die Souveränität und den Intellekt zu, um aus dessen großen Fußstapfen herauszutreten und eigenes Profil zu gewinnen. Zugleich ließ sein Alter von 78 Jahren nicht wieder ein überlanges Pontifikat erwarten.
Trotzdem legte der „Theologe auf dem Papstthron“ ein beachtliches Arbeitstempo vor. Nach dem Visionär Karol Wojtyla, der maßgeblich am Fall des Kommunismus in Polen und Osteuropa beteiligt war, der von den Medien anfangs als „Superstar“ gefeiert wurde und der zahllose Initiativen anstieß, ging es Benedikt XVI. vor allem um eine Vermittlung, Vertiefung und Klarheit des Glaubens. Bewunderer wie Kritiker würdigen seinen scharfen Intellekt, seine Analysen, seine geschliffene Sprache und seinen weiten theologischen und kulturellen Horizont.
Ärger mit Islam und Judentum
Zu seinem theologischen Vermächtnis gehören seine drei Jesus-Bücher. Mit vielen Ansprachen, Dokumenten und auch bei Reisen förderte er Ökumene und interreligiösen Dialog - mit Erfolgen wie auch Rückschläge. Seine „Regensburger Rede“ mit mohammedkritischen Zitaten erzeugte vor allem in der islamischen Welt böses Blut. Und mit seinem gut gemeinten Entgegenkommen für die traditionalistische Piusbruderschaft verärgerte er jüdische Gesprächspartner - zumal einer ihrer Bischöfe Holocaust leugnete. In beiden Bereichen konnte Benedikt XVI. wieder zu Bereinigung und Beruhigung beitragen.
Zudem leitete er im Vatikan wichtige Reformen ein: Er führte die Vatikanbank IOR aus der Skandalzone und unterwarf seinen Wirtschafts- und Finanzbereiche internationalen Kontrollmechanismen. Vor allem aber intensivierte er seinen schon als Kardinal geführten Kampf gegen die Missbrauchsskandale in der Kirche, bemühte sich um Prävention und Hilfen für die Opfer.
Zum Schluss eine Sensation
Als suboptimal erwies sich die Auswahl seines Staatssekretärs, Tarcisio Bertone. Er brachte nicht die diplomatische Erfahrung und die kuriale Vernetzung wie seine Vorgänger mit. In der Folge lief der Motor der Kurie mitunter unrund. Und dann musste der Papst auch den Vertrauensbruch seines Butlers Paolo Gabriele erleben, der geheime Dokumente von seinem Schreibtisch stahl und weitergab: die „Vatileaks“-Affäre.
Das alles zehrte auch an seiner Physis. Benedikt XVI. zog daraus bahnbrechende Konsequenzen: Als er sah, dass seine Kräfte nicht mehr reichten, legte er - als erster Papst seit 719 Jahren - sein Amt nieder. Anders als seine Wahl 15 Jahren zuvor war dieser Schritt vom 1. März 2013 eine Sensation.