Der 60-Jährige ist dort Küster

Zu groß, zu kahl? Sven Frohn-Langnick liebt „sein“ Berliner Krematorium

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Er hilft anderen beim Abschiednehmen und hat selbst ein besonderes Verhältnis zum Sterben. Sein ganzes Leben hat Sven Frohn-Langnick der Bestattungsarbeit gewidmet. Einblicke in eine gar nicht mal so düstere Welt.

Für Sven Frohn-Langnick ist das Sterben alltäglich. Sein ganzes Leben schon arbeitet der hochgewachsene 60-Jährige an einem Ort, an dem er es mit Trauernden zu tun hat. Einem Ort, an dem täglich Särge ankommen und Leichname eingeäschert werden. An dem Menschen verabschiedet werden und ihrer gedacht wird. Schon als 16-Jähriger begann er an diesem Ort seine Lehre als Friedhofsgärtner. Daher kennt er das Krematorium Berlin-Baumschulenweg wie seine Westentasche: Als Küster betreut er heute das Krematorium, die Hinterbliebenen und begleitet die Einäscherung Verstorbener.

Der Neubau liegt fernab des Hauptstadttrubels im Berliner Osten, idyllisch mit Wald, Kanal und Spree in Laufnähe. Über eine lange Kiesallee erreichen Besucherinnen und Besucher den außen eher unscheinbaren Bau. Innen hingegen eröffnet sich die imposante, elf Meter hohe Vorhalle aus Beton mit ihren 29 schlanken Säulen. Von oben fällt gedämpft das Licht hinein. Ein sakraler Ort, wenngleich er „völlig religionsfrei“ sei, wie Frohn-Langnick betont. Düsternis, wie sie manch einer, auch historisch bedingt, mit einem Krematorium assoziieren mag? Fehlanzeige.

Architekten des Gebäudes entwarfen auch das Bundeskanzleramt

Die Feuerbestattung hat hier eine lange Tradition: Es ist bereits das dritte Krematorium, das seit 1913 an dieser Stelle steht, umgeben von einem Friedhof mit Urnengräbern. Das Gebäude der vom Senat betriebenen Einrichtung wurde 1999 eingeweiht. Die international renommierten Architekten vom Büro Schultes Frank, die beispielsweise auch das Bundeskanzleramt entworfen haben, ließen sich dafür von altägyptischen Tempeln inspirieren.

Während vor einigen Jahrzehnten die Feuerbestattung zumindest in Westdeutschland kaum eine Rolle spielte, entscheidet sich heute eine Mehrheit in West und Ost dafür, den Körper des Verstorbenen einäschern zu lassen. Dem Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB) zufolge wählen die Hinterbliebenen - oder der Verstorbene zu Lebzeiten - in nicht einmal mehr einem von drei Fällen die klassische Erdbestattung. In drei Kremationsöfen finden im Krematorium Baumschulenweg rund 10.000 Einäscherungen pro Jahr statt.

Frohn-Langnick war schon Gärtner und Sargträger - Küster ist er am liebsten

Er habe von der Pike an alles durchlaufen, was man überhaupt in diesem Feld machen könne, berichtet Frohn-Langnick. Von der Gärtnerei auf dem Friedhof über die Exhumierung - die Ausgrabung und Umbettung von Leichen - bis hin zum Sargträger. Seine jetzige Rolle als Küster ist ihm die liebste.

Ein Küster ist eigentlich jemand, der in der Kirche Gottesdienste vorbereitet. Auch ohne konfessionelle Gebundenheit des Ortes ist die Rollenbeschreibung für Frohn-Langnick doch in gewisser Weise treffend: Seine wichtigste Aufgabe besteht heute darin, Trauerfeiern vorzubereiten, die Hinterbliebene hier in den drei unterschiedlich großen Trauersälen abhalten können. Er bestellt Blumen, spielt mitgebrachte Musik ein oder wählt selbst welche aus. Und auch das ist seine Aufgabe: Die Menschen zu begleiten, rund um den emotionalen Moment, in dem sie sich von einer geliebten Person verabschieden müssen.

Wenn der Tod eintritt, „werden viele etwas kopflos”

Oft erzählten sie ihm ihre Geschichten. Einige kämen sehr hektisch an, sagt er. „Wenn der Tod eintritt, werden ja viele etwas kopflos.“ Er sieht sich als Anker, der die Angehörigen etwas erden kann: „Viel, viel zuhören, was die Leute erzählen, ihnen ein bisschen Trost spenden.“ Manche seien freundlich, drückten ihn hinterher. Ein einsamer Witwer habe ihn nach dem Tod seiner Frau immer wieder besucht, bis er ihm eines Tages freudestrahlend verkündet habe, im Supermarkt eine neue Freundin gefunden zu haben. Auch kritische Situationen kämen vor, wenn etwa bei einer Trauerfeier Menschen aufspringen und die Zeremonie stören, weil ein alter Konflikt aufbricht.

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Danach fragten ihn viele Menschen. Für ihn ist klar: Ein Leben, wie wir uns das vorstellten, sei es nicht: „Aber der Tod ist nicht das Ende.“ Was danach komme, sei „reine Energie“. Da ist er sich sicher, denn als Vierjähriger habe er infolge einer Krankheit eine Nahtoderfahrung gemacht und sei selbst schon einmal „auf der anderen Seite“ gewesen. Dadurch fürchte er sich nicht vorm Sterben und nehme das Leben lockerer, meint er.

Mancher Hinterbliebene mag Extravaganz des Ortes nicht - Frohn-Langnick liebt ihn

Wie viele Familien er schon betreut hat? Da muss Frohn-Langnick lang überlegen. „Ick mach das ja schon mein janzes Leben“, sagt er. Tausend seien es sicherlich. Darüber hinaus ist er aber auch Hauswart und zuständig für das Organisieren sämtlicher Abläufe und Veranstaltungen, die hier stattfinden. Wenn in der Kremationstechnik Personal fehlt, packt er auch schon mal dort mit an. Niemand arbeitet hier so lang wie er, und der 60-Jährige kennt jede Ecke des dreigeschossigen Gebäudes.

Während die Räumlichkeiten in ihrer Dimension und Extravaganz von den Hinterbliebenen teils nicht gut angenommen würden, einigen zu groß und zu kahl seien, genießt Frohn-Langnick den Ort. Fast liebevoll beschreibt er das Spiel von Licht und Schatten, das sich mit Jahres- und Uhrzeiten stetig verändere. Er liebt die Weite, liebt es, hier zwischen Trauerfeiern, Führungen, Filmdrehs oder Fotoshootings auch mal allein zu sein. Manchmal nutze er dann die Akustik der Halle und singe Lieder.

Von der Sarg-Ankunft bis zum Ofen - fast alles automatisiert

Hinter einer unscheinbaren Tür führt eine Treppe ins Untergeschoss. Dort befindet sich unterirdisch ein Carport, an den Bestatter die Särge mit den Leichnamen liefern. Der Weg eines Sarges von der Ankunft bis zum Ofen läuft weitgehend automatisiert ab. Von einem magnetisch geleiteten Transportfahrzeug wird er in ein heruntergekühltes Sarglager befördert. Auf drei Ebenen lagern dort die Särge zur letzten Inspektion.

Die hölzernen Särge werden schließlich zu einem Raum mit Brennöfen befördert. Dort ist es viel wärmer und riecht nach verbranntem Holz. Es ist ein technischer Akt ohne religiöse Rituale, den Angehörige, wenn sie wollen, mitverfolgen dürfen, um Abschied zu nehmen. Gerade fährt langsam ein Sarg in den Ofen ein, wo er bei nahezu 1.000 Grad Celsius in drei bis vier Stunden verbrannt wird.

Man muss sich abgrenzen können - das ist wichtig

Ein Kremationstechniker bedient und beaufsichtigt die Verbrennung. Auch Frohn-Langnick kennt sich aus mit den technischen Details, obwohl er nicht dafür ausgebildet ist. Ob er bei einer Verbrennung daran denkt, dass es sich hier um einen Menschen mit einer Geschichte handelt? „Nee, da würde man ja kaputt gehen“, sagt er. Sich abzugrenzen, sei wichtig.

Was von einem menschlichen Körper letztlich übrig bleibt, passt in eine kleine Kiste. Es sind poröse Knochen, die nochmals von einer Maschine gemahlen werden. Metallene Schrauben, die Menschen nach Operationen im Körper haben, verbrennen nicht mit. Die Asche wird in schlichte, anthrazitfarbene Urnen gefüllt. Von hier aus geht es in den Urnenversand - bis nach Amerika, China, Thailand, wo Totenasche auch über dem Meer oder frei in der Natur verstreut werden darf. Dass er tagein, tagaus mit dem Tod konfrontiert ist, tut dem Seelenheil des Küsters keinen Abbruch. Im Gegenteil: Er scheint in sich zu ruhen. Dass er eines Tages seine eigenen Eltern hier einäschern würde, hätte er früher nicht gedacht. Inzwischen liegen sie und sein Bruder, seine Cousins, sein Onkel und seine Tante nur wenige Meter neben dem Eingang des Krematoriums auf dem Friedhof begraben. Manchmal besucht er sie in der Mittagspause.

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