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Pawlo Honczaruk (44) ist römisch-katholischer Bischof von Charkiw-Saporischschja in der Ostukraine. Er berichtet aus der von russischen Truppen angegriffenen Metropole Charkiw.
Herr Bischof, was ist die Aufgabe der katholischen Kirche mitten im Ukraine-Krieg?
Kirche, das ist die Anwesenheit Gottes. Eine klare Anwesenheit von Christus und Gott inmitten der Menschen. Wir müssen mit den Menschen sprechen, ihnen helfen. Durch Sakramente, durch Beichte, Kommunion, durch Treffen, Gespräch, durch psychische Stärkung, aber auch durch materielle. Das ist Christus, der durch seine Kirche anwesend ist inmitten der Menschen. Man muss nichts Besonderes leisten im Vergleich zu sonst, man muss einfach nur Kirche sein.
Wir rufen Sie in Charkiw an. Wie ist die Lage dort?
Ich bin im Gebäude der Diözesankurie. Die ganze Nacht wurde in Charkiw geschossen, es gibt keine Ruhe. Wir werden ständig angegriffen, die Lage ist brenzlig. Auch das Dach der Kurie wurde vor ein paar Tagen von Splittern getroffen, aber niemand wurde verletzt. Die Stadt und die Straßen sind leer, die Leute sitzen in U-Bahn-Schächten oder Kellern. Man geht nur kurz raus, um eine Besorgung zu machen und versteckt sich dann. Während wie hier reden, verstecken sich 150.000 Menschen in ihren Kellern.
Wie sieht Seelsorge in solch einer Situation aus?
Meine Diözese liegt in insgesamt sieben Oblasten [ukrainischen Gebietsbezirken]. Hier in Charkow können die Menschen nicht in die Kirchen, denn die haben wir verschlossen. Es ist einfach zu gefährlich. Die Priester besuchen die Leute, gehen in Krankenhäuser. Sie schauen, was möglich ist außerhalb der Ausgangssperre, die von 18 bis 6 Uhr gilt. Etwa Beichte abnehmen oder Gottesdienste im kleinen Kreis feiern, denn es kann keine größeren Zusammenkünfte geben. Dafür ist es zu gefährlich. Die Priester engagieren sich durch karitative Arbeit, sie organisieren Dinge, sie helfen, wo sie können. Aber auch Hilfe zu leisten, ist gefährlich. Denn die Russen schauen, wo es Stützpunkte der humanitären Hilfe gibt - und nehmen diese unter Beschuss. Wenn es kein normales Leben gibt, dann gibt es auch keine normale Seelsorge, das ist dann Seelsorge im Krieg.
Wenn sich Priester in Lebensgefahr begeben, ist das dann Märtyrertum?
Ich weiß nicht, ob man das so bezeichnen kann. Es gibt Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Menschen, denen wir etwa Essen bringen. Die Not ist da. Da denkt niemand an Märtyrer, wir dienen den Menschen.
Wie schaffen Sie es, die Hoffnung im Krieg nicht zu verlieren?
Der Krieg bringt mit sich, dass alles nah beieinander ist - der Himmel, aber auch die Hölle. Es ist die Frage, wohin die Seele blickt. Wenn sie in Richtung Gott schaut, wird sie dadurch gestärkt. Wenn man sich aber davon abwendet, dann wird man selbst auch Hoffnungslosigkeit erleben. Und was uns hilft, eine Normalität zu bewahren, das ist der innere Zustand der Seele. Gott hilft dabei. Das beweist sich in den schwierigen Momenten. Ich danke ihm für das Geschenk des Glaubens und seiner Anwesenheit. Denn ich kann bezeugen: Er ist die Stärke.
Gibt es ökumenische Kontakte der Kirchen?
Schon vor dem Krieg waren wir in guten Beziehungen mit der Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats und haben uns gegenseitig besucht. Der Krieg hat uns noch mehr dazu gebracht, dass wir zusammen den Menschen helfen. Mit dem Moskauer Patriarchat geht das nicht, sie haben ein großes Problem.
Erwägen Sie eine Flucht?
Nein, ich werde keinesfalls wegfahren. Ich bleibe. Ich hätte längst gehen können, aber ich werde hier gebraucht, mein Dienst wird gebraucht und so bleibe ich bis zuletzt.