Ruhr-Bischof im Interview über Eindrücke aus Altena

Bischof Overbeck im Hochwasser-Gebiet: Menschen aus der Schockstarre raus

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Vor gut einer Woche verwandelte Starkregen über Westdeutschland kleine Flüsse in reißende Ströme und verwüsteten ganze Landstriche. Bei den anschließenden Einsätzen riskierten Rettungskräfte ihr Leben. In Altena im Märkischen Kreis starb ein Feuerwehrmann. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist am Freitag an die Unglücksstelle gefahren, um dort zu beten. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet der Geistliche von einem Gespräch mit der Witwe des Feuerwehrmanns und fordert eine sozial-ökologische Wende.

Herr Bischof Overbeck, Sie waren soeben in Altena im Märkischen Sauerland unterwegs - einer der Orte im Bistum Essen, die von der Unwetter-Katastrophe getroffen wurden. Was haben Sie gesehen?

Gemeinsam mit dem Bürgermeister sowie mit Kirchen- und Caritasvertretern habe ich einige der Stätten besucht, an denen es die heftigsten Schäden gegeben hat. Dort sind unvorstellbare Wassermassen die Berge heruntergestürzt, haben Häuser unter Wasser gesetzt und Keller überflutet. Ich war erstaunt, wie viel schon wieder aufgeräumt war. An den Geländern, die zum Fluss Lenne hinunterführen, hängen schon wieder Blumenkästen. Hier haben die Menschen mit Mut vieles wieder angegangen. Wir waren bei einer Draht-Firma, die völlig unter Wasser gestanden hat und jetzt sehen muss, wie sie als Unternehmen überlebt. Wir haben auch die Stelle besucht, an der ein Feuerwehrmann vergangenen Donnerstag ertrunken ist. Ich habe dort gebetet und hinterher lange mit der Witwe telefoniert.

Wie geht es der Frau?

Sie war sehr gefasst. Sie hat von der Hoffnung auf ein Wiedersehen gesprochen, aber auch von der Unfassbarkeit dieser unglaublichen Gewalt, mit der das Wasser durch die Straßen geschossen ist und alles mitgerissen hat. So wurde auch ihr Mann unter Wasser gedrückt und ist ertrunken. Sie ist eine sehr gläubige Frau. Das hat sogar mich im Gespräch getröstet.

Wie wirkten die Menschen in Altena auf Sie?

Die meisten Menschen sind nach einer Woche aus der Schockstarre heraus. Die einen sehen mit großer Nüchternheit, was der Wiederaufbau ihrer Häuser und Wohnungen auf Dauer heißt. Die anderen fürchten, dass ihre Häuser nicht wieder herzustellen sind. Viele sind jedoch sehr hoffnungsfroh und wollen alles tun, damit die Region wieder zu einer guten Normalität zurückfindet. Alle sind sehr dankbar für die große Hilfe und Solidarität. Der Bürgermeister hat erzählt, dass Helferinnen und Helfer sogar nach Hause geschickt werden mussten, weil es so viele waren.

Mit welchem Eindruck gehen Sie aus diesem Besuch heraus?

Ich werde später noch nach Plettenberg fahren, um mir wenigstens einen ersten Überblick zu verschaffen über die am meisten betroffenen Regionen unseres Bistums. Ich gehe erstens mit der Erkenntnis heraus: Es ist gut so zu leben, dass man nicht glaubt, alles sei sicher. Es ist zweitens ein gutes Zeichen für eine Bürgergesellschaft, wenn es so viel Solidarität und Hilfsbereitschaft gibt, die sich auch bei den vielen Spendenaktionen zeigt. Als ich bei der Unglücksstelle für den Verstorbenen gebetet und mit der Witwe gesprochen habe, dachte ich drittens, dass unser Glaube einen Horizont bietet, der weiter reicht als diese Welt. Das ist angesichts all dieser Zerstörungen eine wichtige Botschaft, die Hoffnung geben kann.

Ist ihre Erkenntnis, dass nichts sicher ist, nicht ein wenig negativ für einen Seelsorger?

Im Leben gibt es immer wieder unerwartete Situationen, die uns vor große Herausforderungen stellen. Das zu lernen, gehört zu den Reifungsschritten, die wir alle durchmachen und weltweit immer wieder erleben. Menschengemachte Katastrophen - Tsunamis, Dürrekatastrophen, Abholzungen im Amazonas - stellen uns vor Herausforderungen, von denen frühere Generationen nicht zu träumen wagten. Ich sehe das nicht allein als eine negative Botschaft, sondern als eine Einladung zur Nüchternheit, die fähig machen soll umzukehren. Ich hoffe, dass das geschieht.

Was können wir als Gesellschaft und als Einzelne tun?

Auf der einen Seite werden wir klug und nüchtern schauen müssen, wie wir mit der Natur umgehen können. Alles nur auf den maximalen Nutzen auszurichten, wird nicht ausreichen. Wir brauchen eine sozial-ökologische Wende, die noch intensiver betrieben werden muss. Das Christentum verpflichtet uns, selbst so handeln, dass es für die nächsten Generationen noch einen positiven Gewinn gibt und nicht nur Belastungen.

In den vergangenen Tagen haben mehrere bekannte Persönlichkeiten die Flutgebiete besucht. Daran gibt es auch Kritik. Politikern etwa wird Wahlkampf vorgeworfen. Warum war es Ihnen wichtig, persönlich in die Orte zu kommen?

Um ein Zeichen der Solidarität zu setzen - sowohl mit den Gläubigen des Bistums als auch mit allen Menschen, die hier leben. Ich bin erst gekommen, nachdem es unsere zuständigen Seelsorger vor Ort für angemessen hielten. Es geht mir um seelsorgerliche Nähe und um eine wache Wahrnehmung der komplexen Ursachen der Katastrophe. Es geht auch um Gebet für die Toten und Betroffenen und um die Frage, was es für uns Christen heißt, wenn wir uns den immensen Veränderungen stellen müssen, wie sie jetzt durch ein solches Ereignis gefordert werden. Darum fand ich es angemessen, eine Woche nach der Katastrophe hier gewesen zu sein.

Spendenkonten für die Hochwasser-Hilfe in Deutschland
- Aktionsbündnis Katastrophenhilfe, unter anderem mit „Caritas international“: DE65 100 400 600 100 400 600
- „Caritas international“: DE88 6602 0500 0202 0202 02, Stichwort „Fluthilfe Deutschland CY00897“
- Aktion „Deutschland hilft“, unter anderem mit dem Malteser Hilfsdienst: DE62 3702 0500 0000 1020 30
- Malteser Hilfsdienst: DE10 3706 0120 1201 2000 12