Priester Heiko Marquardsen stellt in Ahrweiler die "dümmste aller Fragen"

Schlamm, Schuften, Seelsorge: Mit einem Priester unterwegs im Flutgebiet

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Im Hochwasser-Katastrophengebiet in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind zahlreiche Seelsorger unterwegs und kümmern sich um seelische Not. Wir haben Heiko Marquardsen aus Ahrweiler begleitet.

Zu den Menschen gehen, die "dümmste aller Fragen" stellen - darin sieht Heiko Marquardsen derzeit seine Hauptaufgabe. "Die Frage 'Wie geht es Ihnen?' ist wirklich dumm hier in all dem Schutt und den Trümmern. Denn momentan geht es niemandem gut", sagt der Priester in der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Täglich ist er in flutzerstörten Stadtteilen unterwegs, um Menschen zu begegnen, für sie da zu sein, zuzuhören. Dabei trifft er freiwillige Helfer, die anpacken, um Bausubstanz zu sichern. Sein Angebot ist hingegen Erste Hilfe für die Seele.

 

Das "Sie" hat die Flut weggespült

 

Auf dem Weg bleibt der Geistliche an Straßenecken und vor zerstörten Hauseingängen stehen, hört zu, wie es den Menschen geht. Helfern und Betroffenen, Ahrweilern und Angereisten. Sie "ackern den ganzen Tag", räumen Stück für Stück weiter auf. "Aber wer kümmert sich um ihre seelischen Schäden?"

Heiko - wie ihn alle seit der Flutkatastrophe nennen können, denn das förmliche "Sie" sei mit der Flut weggespült worden - hört vom Bäcker mitten im Schlamm auf der Gasse, wie schwer es sein wird, einen neuen Ofen zu bekommen: "Diese Öfen bestellt man normalerweise Monate im Voraus". Dass jemand sofort einen professionellen Backofen braucht, sei nicht vorgesehen, "sowas hat niemand am Lager wie einen Fernseher".

 

Gummistiefel statt Gesangbücher

 

Auch St. Laurentius im Stadtkern hat es getroffen, das Wasser hat die Kirche verwüstet. Die Holzböden wurden herausgerissen, die schlammverschmierten Kirchenbänke stehen kreuz und quer, "teilweise auch, weil die Wassermassen sie dort hingespült haben".

Ohne Strom wird augenfällig, wie dunkel Kirchenräume sind. Im Licht der Seitentür haben Helfer ein provisorisches Lager eingerichtet: Gummistiefel, Besen und Kabeltrommeln, wo sonst Gesangbücher aufgereiht sind.

 

Großes Gerät trägt Schuttberge ab

 

Ein paar Schritte weiter beenden Feuerwehrleute gerade ihre Pause vor dem zersplitterten Schaufenster eines Ladenlokals, dem nicht mehr anzusehen ist, was dort vor der Flut angeboten wurde. Im Schlamm der Fußgängerzone vertritt sich der ehrenamtliche Koch einer Essensausgabe kurz die Füße. Jeder braucht mal ein paar Minuten Luft.

Der Blick durch das Ahrtor auf die Müll-Sammelstelle erschüttert: Bauunternehmen und Technisches Hilfswerk tragen gestapelte Autowracks und haushohe Schuttberge mit Baggern ab, verladen den schlammigen Müll auf Kipplaster, während dazwischen Gruppen Freiwilliger mit Schaufeln und Eimern ausgerüstet über den sonst geräumigen Parkplatz gehen.

 

Friedhof verwüstet

 

Auf dem Friedhof liegen Autos, sind die meisten Grabsteine umgekippt, mit Schlamm überzogen, die Friedhofsmauer ist weggeschwemmt. Allein die baufällige alte Friedhofskapelle ist teilweise stehen geblieben.

Entlang der Ahr stapeln sich Schuttberge. Fremde Menschen packen überall mit an. "Diese Hilfe ist unglaublich", sagt eine Bewohnerin. "Das gibt einem das Gefühl: Wir sind nicht alleine, wir stehen zusammen."

 

Angst bei angekündigtem Regen

 

Anfangs habe sie befürchtet, das Haus nie frei von Schlamm und Wasser zu bekommen: "Und dann kommen die Helfer und päppeln einen wieder auf." Der Nachbar ergänzt: "Da kommt dann so ein Trupp, der sagt: ,Wir haben schon Haus Nummer 5 und 6. Wenn Sie Hilfe brauchen, dann machen wir hier weiter. Wenn nicht, dann gehen wir zur 8'."

Priester Marquardsen bringt Zeit statt Muskelkraft - für jeden, der sie braucht. Er trifft einen jungen Mann, der extrem verängstigt ist, weil Regen vorhergesagt sei. "Für die Menschen hier ist der Regen sofort mit dem Schrecken besetzt, das Hochwasser könnte wiederkommen."

 

Manche ertragen das Dusch-Geräusch nicht

 

Seelsorger Heiko weiß von Betroffenen, die Schwierigkeiten mit dem Duschen haben, weil sie das Geräusch an jene Nacht erinnere. Spürt der Seelsorger, dass Beratung über das kurze "Wie geht es Ihnen?" hinaus hilfreich sein könnte, zieht er aus seiner Hosentasche einen Flyer mit Telefonnummern und Hilfsangeboten im Bistum Trier.

Nebenan schrubbt ein Mädchen ein graues Stofftier in einer Wanne mit klarem Wasser sauber. Sie habe das Lieblingstier des Nachbarkindes völlig verschlammt im Matsch gefunden und gerettet. Jetzt will sie den Plüsch-Esel wieder so schön wie möglich machen und dem Kind in der Notunterkunft vorbeibringen: "Sie konnte doch keine Spielsachen retten, jetzt hat sie dann wenigstens den Esel wieder zum Kuscheln."

 

Was machen die Menschen durch, wenn fertig geschippt ist?

 

Auf der Hauptstraße hält ein Kombi an, aus der Heckklappe wird Pizza gereicht. Müde Hände nehmen sie dankend an, so manchem huscht ein Lächeln übers Gesicht.

"Aktuell funktionieren und arbeiten die Leute mit allen Kräften, die sie haben." Doch Priester Heiko sorgt sich um die Zukunft: "Ich habe Angst vor dem Moment, wo nichts mehr zum Schippen da ist, wo Warten angesagt ist, die Menschen Zeit haben zum Denken und zum Sprechen. Ich glaube, dann müssen wir da sein, da müssen wir hin."

Dann brauche es auch professionell ausgebildete Kräfte, die den Betroffenen zur Seite stehen. "Wir versuchen, Ersthelfer bei den Wunden zu sein. Aber beim Versorgen braucht es wohl Menschen, die dabei kompetenter sind als wir als Seelsorger."

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