Frömmigkeit auf neuen Wegen (1) - Margret Pernhorst aus Lüdinghausen

Christsein im Wandel: Wie aus Bitt-Prozessionen Radtouren wurden

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Die Kirche gehörte früher selbstverständlich dazu – von den Festen im Jahreslauf bis hin zu prägenden Ereignissen im individuellen Leben. Heute sind die kirchlichen Bezüge lockerer geworden – was jedoch nicht bedeuten muss, dass die Menschen weniger gläubig sind. Margret Pernhorst wuchs mit religiösen Traditionen der bäuerlichen Familie auf. In Zeiten zurückgehender Volksfrömmigkeit hat sie zusammen mit anderen Frauen Ideen entwickelt, alten Bräuchen neue Ausstrahlung zu geben.

Das religiöse Leben durchdrang den Alltag. Margret Pernhorst wuchs mit sechs Geschwistern auf dem elterlichen Bauernhof bei Münster-Handorf auf. Es gab keine Tage, keine Ereignisse, keine Feste, die nicht auch im Glauben begangen wurden. Volksfrömmigkeit als ständiger Begleiter, als stetige Richtschnur im Leben, als Halt in jedem Augenblick.

Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Die 78-Jährige erinnert sich aber noch allzu gut daran. „Das Gebet strukturierte unser Leben – zu den Tageszeiten, zu den Mahlzeiten und zu besonderen Anlässen.“ Auch das Kirchenjahr spielte dabei eine Rolle. Im Marienmonat Mai wurde in der Diele des Bauernhauses ein Marienaltar aufgebaut. „Wir Kinder sammelten Blumen, um ihn zu schmücken.“ 31 Tage lang kniete die Familie jeden Abend davor und betete, sang Lieder und las aus der Bibel.

Leben untrennbar mit Christsein verbunden

Es gab viele solcher religiöser Traditionen, die von den Eltern nie infrage gestellt wurden. Dazu gehörte auch der Ablauf des sonntäglichen Kirchgangs. „Es ging mit dem Auto zur Kirche, alle Kinder auf der Rückbank.“ Nach der heiligen Messe verschwand der Vater für einen kurzen Frühschoppen in der Kneipe. „Wir haben im Auto gewartet, bis er zurück war – immer mit einer Tafel Schokolade für uns alle.“

Das soziale Leben war untrennbar mit dem Christsein verbunden. Die fortwährende Erinnerung an den Glauben strahlte in das eigene Handeln aus, sagt Pernhorst. „Mein Vater konnte an keinem Anhalter vorbeifahren – er musste ihn mitnehmen.“ Auf der Frage der Mitreisenden, was sie ihm dafür schuldig seien, gab er ihnen immer die gleiche Antwort: „Beten Sie ein Vaterunser.“

Suche nach modernen Formen des Glaubens

So geprägt ging es für Pernhorst ins selbstständige Leben, auch in die Veränderungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. „Viele Selbstverständlichkeiten aus meiner Kindheit und Jugend veränderten sich damals“, sagt Pernhorst. „An die Stelle jener Frömmigkeit traten vermehrt inhaltliche Auseinandersetzungen mit Glaubensthemen, Diskussionen, neue Formen von Gottesdiensten.“ Gerade in ihrer Zeit in der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) oder später als Vorsitzende des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster war das so.

Als sie auf einen Hof in Lüdinghausen einheiratete, ging diese Entwicklung weiter. Auf der einen Seite hielten sich einige Traditionen wie Prozessionen oder Tagesgebete. Auf der anderen Seite suchte die junge Familie nach modernen Formen, Glauben zu leben. 1975 gründeten sie einen Kreis junger Familien, die Freizeit zusammen gestalteten, aber auch Gottesdienste selbstständig vorbereiteten. „Das war die Gruppe, in der wir Leben und Glauben teilten.“

Prozessionen wurden zu Fahrradtouren

Das Hofkreuz ist für die Familie Pernhorst immer noch ein wichtiger Ort für ihr Glaubensleben. | Foto: Michael Bönte
Das Hofkreuz ist für die Familie Pernhorst immer noch ein wichtiger Ort für ihr Glaubensleben. | Foto: Michael Bönte

Dass das traditionelle Glaubensleben schwand, war aber unübersehbar, sagt Pernhorst. Sie macht das an dem Beispiel der Bitt-Prozession deutlich, die jedes Jahr vor Christi Himmelfahrt durch die Felder zog, um für eine gute Ernte zu beten. „Die Teilnehmerzahl wurde immer kleiner, weil die jungen Menschen damit nichts mehr anzufangen wussten.“ Es entwickelte sich die Idee, das Thema „Schöpfung“ mehr in den Mittelpunkt zu stellen und eigene Texte für die Stationen zu suchen. „Mittlerweile fahren wir mit dem Fahrrad die einzelnen Höfe an, deren Familien für die Gestaltung der Impulse zuständig sind.“

Treibende Kraft für neue Ideen war ein Kreis mit Frauen aus allen Bauerschaften rund um Lüdinghausen, der sich vor etwa 15 Jahren gründete. Sie brachten Bewegung in die Gestaltung alter Traditionen. Prozessionen wurden zu Fahrradtouren, Kreuzwege wurden mit Kunst und Kreativität gestaltet, neue Bräuche entwickelten sich. Wie etwa das Zusammenkommen der bäuerlichen Familien an einem der vielen Hofkreuze am Heiligabend. „Wir bringen unsere eigenen Texte und Lieder mit – und auch den heißen Kakao und die Plätzchen.“

Bunt und kreativ darf es sein

Die Entwicklung über die Jahre beschreibt Pernhorst so: „Wenn es ein kirchliches Angebot gab, hieß es früher: Alle gehen mit. Später hieß es: Einer aus der Familie geht mit. Heute heißt es: Wenn einer Zeit und Lust hat, geht er mit.“ Deshalb sei es wichtig, die Hintergründe der Traditionen in die heutigen Lebenswelten der Menschen zu übersetzen. „Dabei darf es bunt und kreativ zugehen – und vor allem selbstverantwortlich gestaltet und nicht vorgegeben, weil es immer so war.“

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