„Ein friedvolles neues Jahr 2023“ - Teil 1

Iryna Duha: „Ich hoffe auf die Rückkehr meines Mannes aus dem Krieg“

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„Ein friedvolles neues Jahr 2023“ – dieser Wunsch wird in diesen Tagen zigfach geäußert. Was oft nicht mehr als eine Floskel ist, bekommt durch den Krieg in der Ukraine eine enorm wichtige Bedeutung. Wir haben verschiedene Menschen aus der Ukraine gefragt, mit welchen Gefühlen sie auf das neue Jahr blicken. Den Auftakt macht Iryna Duha (43), die mit ihrer Tochter Anastasiia nach Münster geflüchtet ist.

Auf Weihnachten und Silvester habe ich mich seit meiner Kindheit immer am meisten gefreut: auf den Weihnachtsbaum, die leuchtenden Dekorationen, den Duft von Mandarinen und Tannennadeln, Geschenke, Schnee, Feiertage, Spaß, Vorweihnachtsvorbereitungen und natürlich wohltuende Begegnungen und Abendessen im Familienkreis.

Früher war es so... Aber nicht in diesem Jahr. In diesem Jahr wird meiner Familie das Wichtigste vorenthalten – der Luxus der Kommunikation, der ruhigen Abende und der Familienfeiern. Kürzlich las ich einen Ausdruck, der meine innere Verfassung vollkommen widerspiegelt: „Niemand und nichts kann die festliche Stimmung verderben. Denn es gibt kein Fest und keine feierliche Stimmung.“ Im Folgenden beschreibe ich einige meiner Gefühle und Gedanken.

Kurze Rückkehr in die Ukraine

Anfang März 2022 habe ich meine minderjährige Tochter nach Münster gebracht. In eine für sie unbekannte Stadt, zu unbekannten Menschen. Ich musste sie hier zurücklassen und selbst in die Ukraine zurückkehren.

Meine Entscheidung zur Rückkehr wurde von mehreren Umständen bestimmt: Mein Mann zog in den Krieg und ich musste Uniformen für ihn besorgen. Mein Bruder und seine Familie blieben im besetzten Cherson und wir mussten ihm bei der Ausreise helfen. Mein ältester Sohn, meine kranke Mutter und Schwiegermutter blieben in der Ukraine.

Leben in der Ungewissheit

Zu dieser Zeit arbeitete ich weiterhin als Informatiklehrerin an einer Kiewer Schule. Es ist beängstigend, wenn ich mich an meinen damaligen psychischen Zustand erinnere: völlige Erschöpfung und die Ungewissheit, was als Nächstes passieren wird.

Mein Ehemann befand sich im Krieg, unser Sohn studierte unter ständigem Beschuss weiter an der Universität in Kiew. Es ist uns gelungen, meinen Bruder und seine Familie aus dem okkupierten Territorium herauszuholen. Meine Mutter befindet sich noch immer im besetzten Gebiet.

Hilfsbereite Menschen getroffen

Im Sommer kehrte ich zu meiner Tochter nach Münster zurück. Es gibt eine gute Weisheit: „Du kannst kein Geld haben, dennoch das Glück, gute Menschen zu treffen.“

Genau das ist unser Fall. Die deutsche Familie Stöcker hat sich zunächst um meine Tochter gekümmert. Dann fand und kaufte diese Familie mit ihren erwachsenen Kindern eine kugelsichere Weste für meinen Mann und half mir später bei vielen Problemen, mit denen ich hier konfrontiert war.

Kein Weihnachten feiern

Bis jetzt leben meine Tochter und ich bei Cornelia und Hans-Werner Stöcker. Ich bin ihnen für alles sehr dankbar: für die Adventskalender, die sie für mich und meine Tochter selbst gebastelt haben, für das Erzählen über die Traditionen des Weihnachten feierns in Deutschland, für den Weihnachtsbaum und die Dekoration im Haus, für jede Kleinigkeit, was das Paar für uns tut.

Die unglaubliche Trauer meines Landes und unser Schicksal hat uns zu dieser Familie geführt, aber ich bin glücklich, dass sie in unserem Leben erschienen sind. Ich würde diese Menschen ungern enttäuschen, aber ich möchte in diesem Jahr kein Weihnachten feiern.

Feiertage gibt es erst nach dem Krieg

Ich wurde kürzlich gefragt, wie lange ich mit meinem Mann verheiratet bin. Und ich antwortete, dass wir seit 20 Jahren verheiratet sind, obwohl es in Wirklichkeit 21 Jahre sind. Ich habe mich nicht absichtlich geirrt. Dann habe ich gemerkt, dass der Countdown der Zeit für mich stehen geblieben ist und mit der Zeit auch das Gefühl des Feierns.

Und um dieses Gefühl zurückzubekommen, brauche ich den Sieg der Ukraine und die Rückkehr meines geliebten Mannes nach Hause. Dann werden wir uns als Familie versammeln und all die Feiertage feiern, die uns der Krieg genommen hat. Jetzt ist unsere Hauptaufgabe zu überleben, auszuhalten, zu gewinnen!

Für die Übersetzung der Aufzeichnung vom Ukrainischen ins Deutsche dankt „Kirche-und-Leben.de“ Mariya Sharko.

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