Einschätzung des Münsteraners zum kirchlichen Arbeitsrecht

Kirchenrechtler Schüller: „Queere Mitarbeitende sind nun sicher“

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Eine Tagung am 31. März und 1. April im Franz-Hitze-Haus Münster befasst sich mit der Reform des katholischen Arbeitsrechts und den Folgen für queere Beschäftigte. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Tagung mit organisiert und steht im „Kirche-und-Leben.de“-Interview Rede und Antwort.

Herr Schüller, Ende der 1980er Jahre erzählte mir ein leitender kirchlicher Mitarbeiter, er habe mit seiner Freundin wochenlang in einem engen Trailer in Kanada gelebt, um zu prüfen, ob beide eine Ehe eingehen wollen. Er habe sich nicht getraut, hierzulande das Experiment zu wagen – aus Angst, seine Arbeit zu verlieren. War die Angst übertrieben?

Ende der 80er Jahre gab es noch kein eigenes katholisches Arbeitsrecht, weil die staatlichen Gerichte zumeist den Kirchen bei Kündigungsschutzklagen folgten, wenn sie in der persönlichen Lebensführung ein abweichendes Verhalten von der katholischen Hochmoral erblickten. Insofern lebten katholische Mitarbeiter:innen in der ständigen Angst, wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Verstöße in der persönlichen Lebensführung arbeitsrechtlich sanktioniert zu werden.

Die TV-Dokumentation zur Initiative „OutInChurch“ hat die prekäre Situation queerer Menschen in der Kirche eindrucksvoll gezeigt. Aufgrund des Drucks haben die Bischöfe im November den Rahmen für ein neues kirchliches Arbeitsrecht beschlossen. Wäre es auch ohne Druck gegangen?

Bereits vor #OutInChurch gab es schon eine Arbeitsgruppe beim Verband der deutschen Diözesen in Bonn, die unter Leitung von Kardinal Woelki das überarbeitete katholische Arbeitsrecht aus 2015 evaluieren und Vorschläge zur Veränderung dieses Rechts vorlegen sollte. #OutInChurch hat nach Aussage der Geschäftsführerin dieser Arbeitsgruppe, aber auch der dort involvierten arbeitsrechtlichen Experten aus der Wissenschaft, die Arbeit in dieser Arbeitsgruppe dynamisiert und entschiedene Reformen forciert. Entscheidend ist aber die staatliche Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, die – auch durch die höchstrichterliche europäische Rechtsprechung – immer weniger arbeitsrechtliche Sanktionen der katholischen Kirche aufgrund von Verstößen in der persönlichen Lebensführung akzeptieren. Die Bischöfe sind also Getriebene der staatlichen Rechtsprechung und konnten nur so zu wirklichen Veränderungen motiviert werden. Einige der Bischöfe hätten sich sicher gerne die alten Zeiten zurückgewünscht, in denen man unbehelligt von der staatlichen Judikatur in die Herzen und Betten der Mitarbeiter schauen, drohen und je nach Gusto sanktionieren konnte.

Warum hat die Kirche überhaupt ein eigenes Arbeitsrecht?

Das Grundgesetz gesteht den Religionsgemeinschaften zu, dass sie ihre inneren Angelegenheiten selber ordnen und verwalten können. Allerdings war es – entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses – schon immer so, dass grundsätzlich bei den kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen das staatliche Arbeitsrecht bis heute gilt. Ab den 1990er Jahren forderten die höchsten deutschen Gerichte die Kirchen auf, differenziert nach den konkreten Tätigkeiten und der konfessionellen Beheimatung der kirchlichen Mitarbeiter:innen stärker bei den Loyalitätsobliegenheiten und der entsprechenden Sanktionierung bei Verstößen arbeitsrechtlich zu differenzieren. Die Kündigung sollte nicht mehr der Regelfall, sondern nur noch die „ultima ratio“ sein. So kam es nach der Wiedervereinigung 1993 zur ersten Grundordnung, die bis 2015 Bestand hatte, ehe sie in diesem Jahr erstmalig leicht verändert wurde.

Seit Januar 2023 gilt das neue Arbeitsrecht in den meisten Bis­­tümern. Was hat sich geändert?

Die katholischen Einrichtungen selbst werden mit ihren Leitungsorganen aufgefordert, institutionell stärker die Verantwortung für das katholische Profil zu übernehmen. Der Privatbereich der Mitarbeiter:innen soll bei der arbeitsrechtlichen Bewertung außen vor bleiben. Die Loyalitätsobliegenheiten und deren mögliche arbeitsrechtliche Sanktionierung wurden nahezu ersatzlos gestrichen. Auch Ehrenamtliche in den Leitungen der Einrichtungen werden aufgefordert, die institutionelle Verantwortung zu übernehmen. Wobei man fragen könnte, ob dies arbeitsrechtlich überhaupt so machbar ist. Als mögliche Kündigungsgründe bleiben im Grunde nur noch der Austritt aus der katholischen Kirche und ein offensichtliches kirchenfeindliches Verhalten, das sich zum Beispiel auch in Ausländerfeindlichkeit ausdrücken kann.

Die Reform umfasst zwei Dokumente, den Normtext zur „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ und die „Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst“. Warum gibt es die Differenzierung?

Die Grundordnung ist der Normtext selbst, die Erläuterungen, die es immer schon gab, geben den Rechtsanwendern in den Einrichtungen Hinweise, wie die Grundordnung im Detail zu verstehen ist und welche Motive die bischöflichen Gesetzgeber bei der Reform geleitet haben.

Laut neuer Grundordnung unterliegt der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ keinen rechtlichen Bewertungen mehr und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers. Können sich zivil Wiederverheiratete und Menschen aus der LGBTIQ+-Community an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen nun sicher und respektiert fühlen?

Indem die Bischöfe direkt eine Passage aus dem Allgemeinen deutschen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) an dieser Stelle zitieren, dürfte rechtlich eindeutig geklärt sein, dass diesen Mitarbeiter:innen tatsächlich nichts mehr passieren wird. Sie dürfen sich sicher fühlen.

Kritiker sagen, Menschen, die nicht ins binäre Geschlechtersystem passen, seien im neuen Arbeitsrecht nicht ausreichend geschützt. Zudem könne kirchenfeindliches Verhalten oder der Kirchenaustritt ein Kündigungsgrund sein. Was ist kirchenfeindliches Verhalten?

Mit dem Zitat aus dem AGG, das sagen alle von mir befragten Jurist:innen, sei auch gewährleistet, dass non-binäre Mitarbeiter:innen arbeitsrechtlich nichts mehr zu befürchten hätten. Allerdings beobachte ich hier verständlicherweise bei den Betroffenen noch eine Skepsis und ein Unbehagen, sich wirklich öffentlich zu positionieren. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit in den nächsten Monaten notwendig. Kirchenfeindliches Verhalten kann zum Beispiel die Propagierung von straffreier Abtreibung sein, aber auch inakzeptables Verhalten gegenüber Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder Ethnie.

Vor acht Jahren erzählten mir Studierende hinter vorgehaltener Hand vor der Verleihung ihrer „Missio canonica“, eigentlich müsse ihnen wegen ihrer Partnerschaft die Unterrichtserlaubnis verweigert werden. Sie fühlten sich in einer Grauzone. Hat das dazu geführt, dass die Zahl der Theologie-Studierenden stark rückläufig ist? Wird sich das mit dem neuen Arbeitsrecht ändern?

Die Missio-Ordnungen werden zurzeit entsprechend der neuen Grundordnung auch entschärft, was die persönliche Lebensführung angeht – sehr zum Unwillen der römischen Behörden. Die starken Rückgänge bei den Studierendenzahlen allein darauf zurückzuführen, wird der Vielzahl an Gründen für den rapiden Vertrauensverlust der katholischen Kirche aber nicht gerecht. Die katholische Kirche in Deutschland wird zu einer Minderheitenkirche, die darauf personell und ihrer Außendarstellung noch nicht wirklich vorbereitet ist. Solange die bekannten Ursachen für sexualisierte Gewalt nicht grundlegend angepackt werden – wie zum Beispiel die radikale Einhegung der inzwischen weitestgehend delegitimierten unbegrenzten Machtfülle klerikaler Entscheidungsträger, die ausschließlich Männer sind – wird diese Abwärtsentwicklung unbegrenzt weitergehen.

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