Ärzte in Münster engagieren sich ehrenamtlich

Malteser helfen Kranken ohne Versicherung

In Deutschland leben bis zu einer halben Million Menschen in der Illegalität. In Münster behandelt ein Team ehrenamtlicher Ärztinnen Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus und ohne Krankenversicherung.

Anzeige

Die junge Frau hat blaue Flecken im Gesicht. Durch einen heftigen Faustschlag ihres Zuhälters hat die 20-jährige Prostituierte ihre Schneidezähne verloren. Sie ist am Ende ihrer Kräfte und weiß sich keinen Rat mehr. In ihrer Not hat sie sich an die Praxis der Malteser Medizin in Münster gewandt und bittet um Hilfe.

Gabrielle von Schierstaedt, Leiterin der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Münster nimmt sich der Patienten an und verhandelt mit einem Oberarzt in der Uniklinik. Dort wird die Frau untersucht.

 

„Sicher ein spektakulärer Fall“

 

Sie hat Hepatitis, es stellt sich Nierenversagen ein und es wird eine frühere Fehlgeburt diagnostiziert. „Im Grunde eine durchaus klassische Karriere“, sagt die 69-jährige Ärztin. Die Malteser Migranten Medizin konnte ihr durch ein einfaches Gebiss entscheidend weiterhelfen.

Die junge Frau aus Münster ist nur eine von vielen Patienten aus Deutschland und dem Ausland, die die Praxis aufsuchen. „Sicher ein spektakulärer Fall“, sagt Schierstaedt.

 

300 Patienten jährlich

 

Aber hinter jedem Fall verbergen sich nach ihrer Erfahrung Armut, Not und Elend. Ob ausländische Kinder, Frauen und Männer, die sich in Deutschland ohne Krankenversicherung aufhalten, ob deutsche promovierende Studenten, die nicht versichert sind, oder ob bankrotte Selbstständige, die schon viele Jahre lang keinen Beitrag mehr in eine Krankenversicherung gezahlt haben – sie alle sind in Not, haben Schmerzen und brauchen Diagnose und Therapie.

Seit zehn Jahren gibt es die Malteser Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung. Im Durchschnitt kommen jährlich 300 Patienten aus Münster, aber auch aus vielen Teilen des Münsterlandes und des Ruhrgebietes in die wöchentliche Sprechstunde.

 

Nach Vorbild von Berlin und Köln

 

Das Team: Adelheid Boesing (von links), Annette Oslowski, Gabrielle Schierstaedt, Elke Fischer, Cordule Stening, Christa Wilbertz, Magdalena Lehmenkühler und Stefanie Glabmeier. | Foto: MalteserDas Team: Adelheid Boesing (von links), Annette Oslowski, Gabrielle Schierstaedt, Elke Fischer, Cordule Stening, Christa Wilbertz, Magdalena Lehmenkühler und Stefanie Glabmeier. | Foto: Malteser

Spyros Marinos (+2017), früherer Oberarzt im evangelischen Krankenhaus und Ausländerbeauftragter der Stadt Münster, hatte schon vor 2007 viele Patienten behandelt, die nicht versichert waren. „Nach seiner Pensionierung kam er auf mich zu und fragte, ob die Malteser nicht wie in Berlin und Köln eine solche Sprechstunde einrichten könnten“, erinnert sich von Schier­staedt.

Seit 2005 war sie bereits ehrenamtliche Diözesanoberin und stellvertretende Diözesanleiterin der Malteser. „Wir haben dann in den Gremien der Malteser geklärt, ob wir ein solches Projekt auch langfristig stemmen können. Selbst dann, wenn die Spenden für die Behandlung nicht ausreichen.“

 

Erster Patient: Ein entflohener Häftling

 

Am 17. April 2007 hatte von Schierstaedt ihre erste Sprechstunde. Die Ärztin kann sich noch gut an diesen Tag erinnern. „Ich war alleine und mein erster Patient kam sehr seriös mit einer Aktentasche unter dem Arm herein und stellte sich als entflohener Gefangener vor. Zum Glück ging keine Gefahr von ihm aus. Er wollte auch eigentlich juristische Auskünfte, die ich ihm jedoch nicht geben konnte.“ Die Ärztin muss lachen, wenn sie sich an diesen Tag erinnert. Es ist nur eines von zahlreichen skurrilen Erlebnissen.

Mit sieben weiteren Ärztinnen teilt sich von Schierstaedt die Sprechstunde. Die Medizinerinnen arbeiten vier Stunden im Wechsel. „Bei diesem außergewöhnlichen Projekt möchten viele mitmachen. Vor allem diejenigen, die ihre Praxis aufgeben und im Ruhestand leben“, sagt von Schierstaedt. „Diese Praxis ist mein Baby.“

 

 „Wir haben gelernt, Untersuchungen ohne Geräte durchzuführen“

 

Die Anfänge auf dem Gelände der Malteser in Münster waren sehr bescheiden. „Es gab nicht viel Equipment. Ein Ultraschallgerät und ein EKG bekamen wir geschenkt“, erinnert sich von Schierstaedt. Anfangs mussten die Patienten auf dem Flur warten. Erst später zog die Malteser Migranten Medizin in einen größeren Raum um und erhielt auch eine technisch bessere Ausstattung und einen Computer für ihre Arbeit.

In der Maltesersprechstunde werden die Patienten untersucht und an weitere Fachärzte vermittelt. „Mit dieser Ausstattung ist eine weitergehende Behandlung nicht möglich. Selbst über ein Labor verfügen wir hier nicht“, erklärt die Oberin. „Wir haben gelernt, Untersuchungen ohne Geräte durchzuführen – mit den Augen, mit dem Stethoskop und Händen. Das ist in der Sprechstunde sehr hilfreich. Teure Untersuchungen wie Röntgen, ein CT oder MRT können wir nur in dringenden Fällen bezahlen“, beschreibt von Schierstaedt die Situation. „Auch die Anbindung an ein Krankenhaus wie in Köln, Darmstadt oder Mannheim ist in Münster ja nicht gegeben.“

 

Machen die Ärzte sich strafbar?

 

Sprechstunde heißt auch, viele Gespräche mit den Klienten zu führen. | Foto: Michael BönteSprechstunde heißt auch, viele Gespräche mit den Klienten zu führen. | Foto: Michael Bönte

Trotz der entlegenen Lage der Malteser im Industriegebiet Münster, unweit der Autobahn, hat die enge Verzahnung mit dem Diözesanverband durchaus Vorteile. „Wir können die Logistik der Malteser nutzen. Zur Not steht hier auch ein Krankenwagen bereit“, sagt von Schier­staedt. Und da außerdem keine Overheadkosten entstehen, komme jede Spende auch eins zu eins den Patienten zugute.

Seit der Eröffnung im Jahr 2007 wurden mehr als 2.000 Patienten aus 92 Herkunftsländern kostenlos und anonym behandelt. Die Patienten kommen unter anderem aus Rumänien, Bulgarien, Serbien und Polen. „Als wir mit der Arbeit begannen, hatten wir zunächst die Sorge, uns strafbar zu machen, wenn wir die Namen nicht beim Ausländeramt meldeten“, erinnert sich von Schierstaedt. „Wir haben jedoch von Anfang an immer deutlich gemacht, dass die Migranten Medizin die Kranken anonym behandelt.“

 

Gefahr der Abschiebung

 

Ähnlich ist auch die Stelle in Berlin verfahren. Für die Kranken bestand durchaus die Gefahr, abgeschoben zu werden, wenn die Namen beim Ausländeramt bekannt wurden. Das Gesetz wurde 2010 geändert. Heute müssen die Patienten nicht mehr gemeldet werden.

„Aber auch heute besteht die Möglichkeit, dass die Daten der Patienten, die beim Sozialamt als Notfall gemeldet werden, an das Ausländeramt weitergegeben und sie dann abgeschoben werden“, beschreibt von Schierstaedt die Situation. Es seien schon Frauen nach dem Mutterschutz in ihr Heimatland zurückgebracht worden.

 

„Wahrscheinlich ist sie heute bereits tot“

 

Von Schierstaedt weiß, dass diese Angst manche abgehalten hat, wieder in die Sprechstunde zu kommen. Sie erinnert sich an eine krebskranke Frau. „Wir hatten schon alles für eine weiterführende Therapie auf den Weg gebracht. Doch sie ist nicht mehr gekommen. Und wahrscheinlich ist sie heute bereits tot.“ Darüber ist die Ärztin sehr enttäuscht.

„Diese gesetzliche Regelung muss unbedingt humaner gestaltet werden“, sagt die Diözesanoberin.