Grundsatzurteil betrifft vor allem ausländische Pflegekräfte

Mindestlohn für 24-Stunden-Pflege: Kirchliche Stimmen loben Urteil

  • Ausländische Pflegekräfte, die Senioren in deren Wohnung betreuen, haben laut Bundesarbeitsgericht ein Recht auf Mindestlohn.
  • Das gilt auch für Bereitschaftszeiten.
  • Kirchliche Stimmen begrüßen das Grundsatzurteil zur 24-Stunden-Pflege.

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Ausländische Pflegekräfte, die Senioren in deren Wohnung betreuen, haben laut Bundesarbeitsgericht ein Recht auf Mindestlohn – auch für Bereitschaftszeiten. Kirchliche Stimmen begrüßen das Grundsatzurteil (5 AZR 505/20) zur 24-Stunden-Pflege.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbands, Peter Neher, sagte, das Urteil zeige, wie dringlich die Förderung legaler Beschäftigungsverhältnisse sei. Die kommende Bundesregierung müsse sich dringend mit einer Reform der häuslichen Pflege befassen.

 

Rechtsanspruch gilt als „Meilenstein“

 

Das evangelische Diakonische Werk lobte „einen Meilenstein auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen“. Bei Arbeitskräften aus Deutschland und dem Ausland dürfe „nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“ – auch nicht bei Mindestlohn und Arbeitszeit-Begrenzung, sagte Maria Loheide vom Diakonie-Vorstand.

Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands erklärte, das Urteil schaffe für tausende Betreuungskräfte „einen wichtigen Rechtsanspruch auf faire Entlohnung“. Es schiebe der Ausbeutung von Hausangestellten aus Osteuropa einen Riegel vor, die mit Dienstleistungsverträgen gezwungen würden, ständig für die zu betreuenden Personen zu sorgen, so der KAB-Bundesvorsitzende Andreas Luttmer-Bensmann.

 

Minister Heil: Urteil wegweisend

 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nannte das Urteil wegweisend. Arbeit habe „eine Würde, egal, ob Sie aus Bukarest oder aus Bottrop kommen“, sagte Heil. Mit Blick auf Bereitschaftszeiten betonte der Minister, es sei nicht in Ordnung, wenn Menschen aus Mittelosteuropa und anderen Teilen der Welt „bei uns 24 Stunden im Haus gehalten und nicht wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer behandelt werden“.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht großen Handlungsbedarf. „Die 24-Stunden-Betreuung muss zu einem Megathema der Politik werden, mit dem Ziel, weder funktionierende Pflegesettings zu zerstören noch prekäre Arbeitsbedingungen und fragwürdige rechtliche Konstellationen zu tolerieren“, sagte er den Zeitungen der Funke-Gruppe.

Westerfellhaus ergänzte, es sei zu wenig bekannt, dass „die meisten dieser Pflegesettings mit großen rechtlichen Risiken – unter Umständen bis hin zur Strafbarkeit – behaftet sind“.

 

Kostenexplosion erwartet

 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht anders als Westerfellhaus keine Notwendigkeit, Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort seines Ministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt. Es gebe keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wertete das Urteil als „Tsunami für alle, die daheim auf die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind“. Es werde zu einer Kostenexplosion führen, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Sozialverband VdK erklärte, nun werde Rund-um-die-Uhr-Pflege für die allermeisten Menschen unbezahlbar.

 

Der Fall

 

Geklagt hatte eine Bulgarin, die für eine Seniorin in Berlin sorgte. Der Arbeitsvertrag sah eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vor. In dem zwischen der Vermittlungsagentur und der Betreuten geschlossenen Vertrag war als „angedachter Einsatz“ angegeben: „24 Stunden Betreuung/Pflege“. Die Bulgarin gab an, 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche gearbeitet zu haben beziehungsweise in Bereitschaft gewesen zu sein.

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