Anzeige
Irme Stetter-Karp (68), Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), ist eine zentrale Stimme in der Debatte um kirchliche Reformen. Diese zu erreichen, sei „harte Millimeterarbeit“, sagt sie im Interview.
Nach dem „Schlichtungstreffen“ der deutschen Bischöfe mit der Kurie: Ist der Weg jetzt frei für den Synodalen Ausschuss, in dem Laien und Bischöfe gemeinsam über weitere Reformen beraten?
Ja, wir können jetzt weiterarbeiten. Das ist die entscheidende Nachricht. Im Juni soll sich der Synodale Ausschuss in Mainz treffen. Für die Zeit bis 2026 kommt es gleichzeitig für uns darauf an, ob das Vertrauen Roms in die Deutschen soweit wächst, dass wir einigermaßen frei arbeiten können. Wir haben weiterhin einen steilen Weg vor uns, und dazu brauchen wir Luft zum Atmen. Die deutschen Bischöfe sind natürlich nicht nur Rom verpflichtet, sondern auch den Menschen in ihren Bistümern. Und 96 Prozent der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland erwarten dringend Reformen. Das wissen wir aus der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Das heißt, wir haben das Mandat, auf diesem Weg weiterzugehen. Und das gilt auch für die Bischöfe. Schwierig genug, angesichts der internationalen Situation in der Weltsynode.
Ist auch finanziell jetzt gesichert, dass der Synodale Ausschuss arbeiten kann?
Zur Gründungsversammlung des neuen Trägervereins war in der Karwoche eingeladen. Die vier Bischöfe, die nicht mitfinanzieren wollten, konnten das am Ende nicht verhindern. Wiewohl wir natürlich schmerzhaft sehen, dass vier Bistümer nicht mitgehen, was innerhalb der Bistümer auch Unruhe unter den Mitgliedern des ZdK erzeugt.
In der Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung sieht man, dass nur wenige Katholiken sich mit ihrem Kirchenoberhaupt in Rom identifizieren. Heißt das, die Katholiken an der Basis sind vielleicht schon viel bereiter für Reformen als der Papst mit seiner Kurie?
Unter denen, die die Aufbruchszeit mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erlebt haben, haben sich schon in den beiden letzten Pontifikaten unter Papst Benedikt XVI. und Papst Johannes Paul II. Enttäuschungen aufgebaut. Bei den Jungen sehe ich einen Bruch zwischen ihrer Lebenswirklichkeit und den Dogmen der Kirche. Der Graben ist so breit geworden, dass es immens schwer ist, nachzuvollziehen, warum Veränderungen immer wieder und wieder verzögert werden. Zwei Generationen sind in ihrem Vertrauen in die Kirche gebrochen. Mich überrascht im Übrigen, dass oft die über-80-jährigen Frauen sich freuen, dass wir nicht länger nur dabei zusehen.
Wie ist die Stimmung unter jenen, die sich wie Sie dafür engagieren, dass es vorwärtsgeht?
Bei manchen unserer Delegierten bricht schon die Frage auf, ob wir uns etwas vormachen. Es sind Zweifel, ob am Ende angesichts dieser Institution und ihrer Beharrlichkeit Reformen stehen. Ich verstehe das. Es gibt aber auch viele, die trotz dieser Zweifel weiter dafür kämpfen möchten. Das ist harte Millimeterarbeit. Aber es ist ein Auf und Ab und ich finde es emotional ordentlich anstrengend.
Trotzdem: Einfach weitermachen – auch gegen die Barrieren, gegen die blutigen Nasen, die man sich schon geholt hat?
Es ist kein selbstverständliches „Easy going“, sondern es ist eher ein stetiges Prüfen mit der Frage: Hilft das noch? Wir als Laien haben zugesagt, die systemischen Ursachen des sexuellen Missbrauchs ernsthaft zu bearbeiten. Bislang haben wir allen Grund, diesen Weg weiterzugehen.
Blick auf den weltkirchlichen synodalen Prozess: Ist Ihnen das Thema Missbrauch präsent genug?
Ganz klar: Nein. Insbesondere im Vatikan, aber auch auf der Ebene der Weltsynode sehe ich zu wenig Bereitschaft, den Gründen für den Missbrauch in unserer Kirche und seiner Vertuschung ins Auge zu schauen. In den Ergebnissen der jüngsten Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche haben manche Konservative den Beweis gesehen, dass die katholische Kirche sich nicht um ihre spezifische Struktur kümmern muss, es sei ja überall dasselbe mit dem Thema. Das sehe ich nicht so. Wir haben die Aufgabe, die Ursachen in unserer Institution genau anzuschauen und dafür zu sorgen, dass sich Strukturen, die Missbrauch begünstigen, ändern.
Franziskus hat nun beschlossen, viele Themen der Weltsynode in Arbeitsgruppen auszulagern – darunter Themen, die dem ZdK von Anfang an wichtig waren: Ämter für Frauen und mehr demokratische Mitbestimmung. Wie zuversichtlich sind Sie, dass man im Oktober zu konkreten Ergebnissen kommt?
Ich bin noch skeptischer als im vergangenen Jahr. Schon während der Weltsynode entstand der Eindruck, dass in den Worten auch viel Lyrik liegt. Ich lese und höre Unkonkretes und viel Reflexion. So, als hätte die katholische Kirche alle Zeit der Welt, um weitere Jahre zu diskutieren. Ich sehe an der Reaktion auf den verschiedenen Kontinenten zu der Entscheidung von Papst Franziskus, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zuzulassen, wie hart umstritten bestimmte Entwicklungen sind. Ich sehe aber auf der anderen Seite, wie drängend beispielsweise die Frauenfrage ist. Das ist eben nicht nur ein Thema in Europa, sondern auch in Indien oder Lateinamerika – ebenso wie die notwendige Akzeptanz und Wertschätzung von LGBTQ-Personen durch die katholische Weltkirche. Die Sorge ist einfach groß, dass die Zeit davonläuft.
Ist das Segnungspapier, das kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde, ein Hoffnungsschimmer?
Aus meiner Sicht bleibt es ambivalent. Papst Franziskus vermittelt glaubwürdig, dass er den Menschen zugewandt ist. Aus diesem Grund öffnet er den Segen für alle Paare. Aber er rührt eben nicht an den Prinzipien, nicht an der Theologie. Das römische Lehramt ist in der Bewertung von Homosexualität immer noch betonartig. Natürlich sehe ich auch die Konflikte, in denen der Papst steht. Gleichzeitig hat er alle Macht, der Entwicklung der Kirche eine klare Richtung zu geben. Und ich frage mich öfter: Warum nutzt er sie nicht entschlossener, wenn er doch sieht, wo vielen Gläubigen der Schuh drückt?
Franziskus hat sich kürzlich über eine angebliche Genderideologie beschwert. Sind die Debatten in der katholischen Kirche auch Ausdruck eines Identitätskonflikts?
Klares Ja meinerseits. Ich habe jahrelang zur Frage der Geschlechtergerechtigkeit gearbeitet, sowohl im Kontext meiner Dissertation als Sozialwissenschaftlerin als auch in der Caritas Deutschland, wo ich als Genderbeauftragte über viele Jahre viel Hetze abbekommen habe. Diese ideologisierten Debatten sind für mich Ausdruck eines Backslashs. Das beobachte ich schon länger. Gespräche über die Gleichberechtigung von Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche, die für mich Menschenrecht ist, sind stark aufgeladen. Das ist meine Erfahrung auch aus Gesprächen mit katholischen Vertretern aus dem europäischen Ausland, etwa Polen, wo einigen unsere Öffnungsversuche schon zu weit gehen.