Von Trauergespräch bis Doppelkopf

Was Priester aus Indien in Deutschland lernen müssen

Etwa 200 Priester der Weltkirche sind in den Gemeinden im Bistum Münster im Einsatz. Sie kommen aus Afrika und Rumänien, vor allem aber aus Süd-Indien. Bevor sie in ihrer Pfarrei den ersten Gottesdienst feiern, haben sie viel gelernt – nicht allein die Sprache.

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Wie wird Schützenfest gefeiert, was steht auf dem Gehaltszettel, was leisten Pastoralreferenten? Wer als Priester aus einem anderen Kontinent kommt, lernt in Deutschland eine fremde Kultur und Mentalität kennen. Und so ein Seelsorger braucht eine längere Begleitung, ehe sein Einsatz in der Gemeinde beginnt. Renate Brunnett ist daher seit Januar 2015 zuständig für die so genannten Priester der Weltkirche im Bistum Münster.

Die meisten stammen aus Indien, deshalb hat die Pastoralreferentin und Supervisorin im Frühjahr den Subkontinent besucht. Sie erlebte Indien als Land mit lauten Geräuschen, kräftigen Farben, intensiven Düften und scharfen Gewürzen. Als sie WhatsApp-Nachrichten nach Deutschland schickte, dachte sie: „Eigentlich müsste ich Gerüche mitschicken.“

 

Religionen prägen das Leben in Indien

 

Renate Brunnett
Zuständig für die Priester der Weltkirche: Renate Brunnett | Foto: Christof Haverkamp

Zugleich hat Renate Brunnett erfahren, dass Indien nicht gleich Indien bedeutet: Die Menschen in den einzelnen Bundesstaaten unterscheiden sich viel stärker als Westfalen und Rheinländer, Bayern und Berliner. Etwa jeder Zweite der 140 indischen Seelsorger, die im Bistum Münster tätig sind, kommt aus den Bundesstaaten Andhra Pradesh und Tamil Nadu – rund die andere Hälfte stammt aus Kerala im Südwesten des Landes.

Hier sind Christen stolz darauf, dass einst der Apostel Thomas nach Kerala gesegelt ist, um zu missionieren. Begraben wurde er der Überlieferung nach in Madras (heute Chennai). Thomas-christen verweisen gerne darauf, dass in ihrer Heimat das Christentum um Jahrhunderte älter ist als in Europa. Sie sind es zugleich gewohnt, als Katholiken in der Minderheit zu leben. „Da sind sie uns sehr voraus“, sagt Renate Brunnett. Hindus, Buddhisten, Sikhs, Muslime und Christen kommen im Süden Indiens gut miteinander aus: Christen besuchen Prozessionen von Hindus und Hindus Marienwallfahrten.

Religion prägt ganz selbstverständlich den Alltag. Hier will die katholische Kirche zur Entwicklung der indischen Nation beitragen: Sie fördert Eliten, unterhält aber auch Schulen für die Ärmsten der Armen. Bildung wird ganz groß geschrieben.

 

Priesterausbildung in Indien beginnt vor dem Abitur

 

Wer als indischer Seelsorger nach  Deutschland wechselt, war vorher in seinem Heimatland oft schon Generalvikar oder Regens eines Priesterseminars. Er hat eine Sozialstation geleitet oder eine Schule mit 2.000 Schülern. Andere kommen direkt nach der Weihe. „Die meisten sind zwischen 30 und Mitte Vierzig“, sagt Renate Brunnett.

Zwölf Jahre dauert die Priesterausbildung in Indien, und sie beginnt bereits vor dem Abitur. Einem dreijährigen Vollzeitstudium in Philosophie schließt sich das Theologiestudium an. Manche promovieren danach in Rom. Vor dem Wechsel lernen alle Priester in einem sechsmonatigen Kurs am Goethe-Institut in Indien Deutsch.

 

Vieles ist fremd

 

Weiter geht es mit einem halbjährigen Deutschkurs in der Akademie Klausenhof am Niederrhein, unterbrochen durch ein Praktikum in einer Gemeinde. Hier lernen die Priester kulturelle Besonderheiten kennen: Wie geschieht Firmvorbereitung, wie laufen Tauf- und Trauergespräche ab? Aber auch: Was ist Doppelkopf?

Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln und sie einem Mentor zu schildern. Auch befremdliche Erfahrungen. Etwa, dass ein Priester nicht automatisch als Autorität anerkannt ist. Oder dass Christen in einer Region mehrheitlich evangelisch sind oder Menschen keiner Religion angehören.

 

Ehrenamtliche Deutschlehrer für jeden

 

Zurück in Klausenhof steigt nach Einschätzung von Renate Brunnett die Motivation, die Deutschkenntnisse zu vertiefen. Denn jeder hat festgestellt, wo er noch Lücken hat.
Im nächsten Schritt folgt ein Pastoralkurs, verbunden mit der Einführung in die westliche Kultur. Wie läuft Teamarbeit in der Gemeinde, wie werden Fahrtkosten abgerechnet? Fragen über Fragen, die nun beantwortet werden.

Großen Wert legt das Bistum auf die Phonetik, also die Aussprache. Dafür ist eine komplette Studienwoche eingeplant. „Es ist vorher schwer abzuschätzen, ob jemand mit der deutschen Sprache zurechtkommt oder nicht“, sagt Brunnett. Manche gehen in einen Kindergarten, und lernen ganz nebenbei mit den Jüngsten die deutsche Sprache. Später, in der Gemeinde, steht jedem ein ehrenamtlicher Deutschlehrer oder eine Deutschlehrerin zur Seite.

 

Drei-Jahres-Vertrag am Anfang

 

Für die erste Stelle schließt das Bistum für jeden ausländischen Seelsorger zunächst über drei Jahre einen Vertrag ab. Er kann später verlängert werden auf fünf Jahre und dann erneut um weitere fünf Jahre. Nach zehn Jahren kehrt jeder Priester üblicherweise wieder in seine indische Heimat zurück – um viele Erfahrungen, aber auch um Sprachkenntnisse bereichert.

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