Themenwoche „Faszination Pfadfinden“ (2) - DPSG-Diözesankurat im Interview

Wie ist die Lage bei den katholischen Pfadfindern, Herr Naumann-Hinz?

Anzeige

Während die katholische Kirche so hohe Austrittszahlen wie nie zuvor meldet, gibt es für manche Pfadfindergruppe sogar Wartelisten oder Aufnahmestopps. Woran das liegt und was die Pfadfinder so anders macht, hat „Kirche-und-Leben.de“ Andreas Naumann-Hinz gefragt. Er ist geistlicher Leiter (Diözesankurat) für die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) im Bistum Münster.

Kolpingsfamilien lösen sich auf, auch andere Verbände überaltern, die Zahlen gehen überall in der Kirche nach unten. Wie sieht es bei der DPSG aus?

Wir haben leicht steigende Mitgliederzahlen, derzeit gut 8.600 gemeldete Mitglieder in den 120 Ortsgruppen unseres Bistums inklusive des niedersächsischen Teils. Besonders jüngere Gruppen erfahren einen starken Zuwachs. Ich schätze, dass unsere Form Freizeit zu gestalten ein Grund für den Erfolg ist: Das Gemeinschaftsgefühl durch die Kluft, Lagerfeuer und Aktionen werden positiv aufgenommen. Wir bilden einen Lebensort und ein Lernfeld außerhalb von Familie und Schule – das schafft Attraktivität. Zudem habe ich den Eindruck, dass die Elterngeneration uns nicht mit Kirche identifiziert.

Inwiefern?

Themen, die mit der Kirche assoziiert werden – sexueller Missbrauch, die Stellung von Frauen, das Verständnis von Demokratie innerhalb der Kirche – müssen wir nicht mittragen. Es ist etwa für säkulare Medien selbstverständlich, dass sie uns im Sommer kontaktieren und fragen, wo wir ein Pfadfinderlager haben und ob sie es für einen Beitrag besuchen können. Ob zum Beispiel auch queere Menschen bei uns als katholischem Verband einen Platz haben – das interessiert die gar nicht.

Haben queere Menschen denn einen Platz bei den Pfadfindern?

Natürlich (lacht)! Wir haben bereits vor Jahren die Satzung sprachlich angepasst, um dem gerecht zu werden, denn sexuelle Identität ist vielschichtig. Paritätisch zu besetzende Ämter werden nicht mehr nur für Männer oder Frauen ausgeschrieben, sondern für männlich oder divers beziehungsweise weiblich oder divers. Bereits vor 15 Jahren wurde ein gleichgeschlechtlich liebender Mann zum Stammeskurat gewählt – das war für den Stamm vollkommen normal. Jedoch muss ich sagen, dass auch bei uns im Verband in der Vergangenheit gleichgeschlechtlich liebende Menschen diskriminiert wurden – etwa durch Lästereien am Lagerfeuer. Das ist ein Teil der Schuldgeschichte.

Was gehört darüber hinaus zur Schuldgeschichte?

Auch bei den Pfadfindern hat es in der Vergangenheit sexuellen Missbrauch gegeben. Das Bistum Münster ist da bereits weiter, bei uns hat die Aufarbeitung erst begonnen. So existiert eine Plattform für Betroffene, auf der sie sich vernetzen können. Dieses Angebot wird wahrgenommen. Auch in meiner siebenjährigen Amtszeit hat es Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe oder unerträglich chauvinistisches Verhalten eins Stammesvorsitzenden gegeben, ebenso rechtskräftige Verurteilungen. Jugendliche werden auch untereinander übergriffig, das hatte ich vor einigen Jahren noch nicht auf dem Schirm. Bei den Fällen, von denen wir Kenntnis erlangen, werden wir direkt aktiv.

Es gibt auch konservativere Gruppierungen wie die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE). Wie stehen Sie zu diesem Verband?

Die DPSG ist gemeinsam mit der katholischen Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG), einem interkonfessionellen, einem evangelischen sowie einem muslimischen Verband im Ring deutscher Pfadfinder*innenverbände organisiert. Die KPE ist kein Teil dieser Gemeinschaft und hätte derzeit auch keine Chance, Mitglied zu werden. Wir sehen deren Pädagogik sehr kritisch und als zu konservativ, insbesondere ihr Verständnis der Geschlechter und der sexuellen Identität. Ich spreche ihnen aber nicht ab, katholisch oder Pfadfinder zu sein.

Was unterscheidet die DPSG von einem weltlichen Pfadfinderbund?

In unserer Pädagogik hat die Spiritualität einen klaren und selbstverständlichen Platz. Wenn wir unterwegs sind, beginnt und endet der Tag mit einem Impuls. Das muss nicht etwas Religiöses wie ein Gottesdienst sein, auch Körpererfahrungen oder Bewusstseinsschärfungen sind möglich. Das haben auch interkonfessionelle Verbände, doch bei der DPSG hat diese Spiritualität eine klare Verortung. Zum anderen haben wir eine selbstverständliche Verbindung zur katholischen Kirche: Wir nehmen an den Festen teil und begehen den Stammestag mit einem Gottesdienst. Letztlich begreifen wir uns als Teil der katholischen Kirche; wir haben nicht nur eine Idee, wie Christsein geht, sondern haben der ganzen Kirche auch etwas zu sagen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel was die selbstverständliche Leitung in Gemeinschaft durch Menschen verschiedener Geschlechter angeht, die Sicht vom Menschen in seiner Identität und Sexualität, die Formen der Mitbestimmung und Demokratie, aber auch die Sensibilität für die drängenden ökologischen Fragen. Bei uns sind Menschen beheimatet, die in unseren Kirchengemeinden oder Katechesen wie der Firmung keinen Ort für ihr Christsein finden.

Ihr Stamm wurde 1987 in der katholischen Gemeinde Christ König in Marl-Sickingmühle gegründet. Wie eng sind Pfarrei und Pfadfinder verbunden?

Ursprünglich waren Pfarreien und Ortsgruppen sehr eng miteinander verbunden: Die Ortsgruppen gründeten sich in den Gemeinden und nutzten auch die Kirchenräume. Mit Pfarreifusionen und pastoralen Räumen sind die Kontakte zwischen Pfadfindern und Ortsgemeinden lockerer geworden. Besonders am Niederrhein ist das ein Thema. Wenn in den Kreisdekanaten Wesel und Kleve Örtlichkeiten der Gemeinde aufgegeben werden, verlieren die dortigen Stämme ihre Wirkorte: den Dachboden des Pfarrheims zum Übernachten, die Pfarrwiese zum Spielen.

Welche große Aktion ist als nächstes geplant?

Ganz wichtig ist für uns die Aktion Friedenslicht. Es wird in Betlehem entzündet, wo Jesus geboren wurde, und dann wie das Olympische Feuer weitergegeben, bis es im St.-Paulus-Dom in Münster am dritten Advent ankommt. Viele junge Menschen warten auf das Friedenslicht, die es wiederum weitergeben – etwa an Menschen in Altenheimen, oder um es in die heimische Krippe zu holen.

Diakon Andreas Naumann-Hinz (49) ist seit 2000 Seelsorger im Bistum Münster. Als er in Marl-Sickingmühle als pastoraler Mitarbeiter tätig war, lernte er den Pfadfinderstamm Christ König kennen und trat ihm bei. Als Diözesankurat stellt er auf Bistumsebene die finanzielle Basis sicher, erledigt Personalarbeit, sorgt für Präventions- und Schutzkonzepte und dafür, dass Spiritualität sowie Religiosität einen Platz im Verband haben.

Anzeige