Pater Daniel Hörnemann über das Sprachenwunder und die Geschenke des Geistes

Auslegung der Lesungen vom Pfingstsonntag / Lesejahr A

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Pfingsten - was ist da eigentlich genau passiert? Wie war das mit dem Sprachenwunder? Und warum ist der Eindruck falsch, zu Pfingsten seien „die Geschenke am geringsten“? Auslegung der Lesungen von Pater Daniel Hörnemann aus Gerleve.

An Pfingsten sehen wir vor unserem geistigen Auge Feuerzungen, während unser geis­tiges Ohr eine Sinfonie von Sprachen hört, die sich über die Menschenmenge ergießt. Es gab an diesem Fest ein Ereignis, bei dem die Jünger Jesu mit der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt wurden und mit verblüffender Autorität und Klarheit zu einer Versammlung von Juden aus der Diaspora sprachen.

Lukas nennt sehr verschiedene Nationalitäten, das mag unser Bild trüben von einer grundlegenden Homogenität dieser Gruppe. Sie waren, wie es das amerikanische Hoheitszeichen und Dienstsiegel besagt, „e pluribus unum“, das heißt aus Vielen Eines. Die Menge setzte sich zusammen aus gottesfürchtigen Juden, die gekommen waren, um das jüdische Pfingstfest zu feiern, das „Wochenfest“ sieben Wochen nach dem Pessach, zugleich Fest der Erstlingsfrüchte und Fest der Weisungen Gottes.

Gemeinsamer Glaube

Die Lesungen vom Pfingssonntag (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Die Gläubigen stammten aus allen möglichen Orten, hatten sich aber versammelt, weil sie alle in einem gemeinsamen Glauben verwurzelt waren. Diese multiethnische Gruppe besaß eine jüdische Seele.

Das von Lukas beschriebene Wunder wird dadurch nicht geschmälert. Es handelt sich nur weniger um ein sprachliches als um ein wahrhaft geistliches. Damit die Jünger diese Menge in den anwesenden Muttersprachen ansprechen konnten, brauchten sie vielleicht nur auf Aramäisch oder Griechisch zu ihnen zu sprechen.

Erst im geschützten Raum, dann im Freien

Was wäre dann so verwunderlich an diesem Pfingsten? Lukas beschreibt die Ankunft des Heiligen Geistes bei den Jüngern noch in einem sicheren und geheimen Raum. Dann verlagert sich der Schauplatz jedoch zu einem Ereignis im Freien. Da begannen sie geisterfüllt mit Macht und Autorität zu sprechen.

Das muss in der Tempelanlage geschehen sein. Normalerweise wurde wegen der Heiligkeit des Ortes dort nur die Heilige Sprache gesprochen. Die Volkssprache aller Regionen wurde durch die gemeinsame Sprache Hebräisch ersetzt, obgleich sie für viele Juden eine unverständliche Fremdsprache war. 

Gemischte Reaktionen

Nun Aramäisch und Griechisch dort zu hören, das muss ein schockierender Klang gewesen sein. Plötzlich hört man inmitten der Beter die vertrauten Klänge und konnte das Gesagte verstehen. Natürlich ruft das gemischte Reaktionen hervor.

Die einen fragen: „Was soll das bedeuten?“. Die anderen halten die Jünger für so betrunken, dass sie Sinn und Anstand für den heiligen Ort verloren haben und dort gewöhnliche Sprachen sprechen. Petrus macht aber eine wichtige Zeitangabe, es sei erst neun Uhr morgens, da könne man noch nicht betrunken sein.

Vielmehr ist jetzt die Zeit eines noch nie dagewesenen Ereignisses. Es ist die Zeit der Ankunft des Heiligen Geistes, den der Prophet Joel schon vorausgesagt hat, Zeit für den Geburtstag einer neuen Schöpfung, einer neuen Glaubensgemeinschaft Kirche.

Ein Pfingsten auch für die heutige Kirche?

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann.
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Nur wer in diesem Heiligen Geist spricht, kann sagen: „Jesus ist der Herr!“ (1 Kor 12). Sehr schnell schieden sich die Geister: Die einen spotten und geben ihrer Ablehnung der neuen Jesusbewegung freien Lauf. Die anderen sind Feuer und Flamme für sie.

Der Heilige Geist muss sich erst einmal Bahn brechen zu den Menschen, so wie er die verängstigten Jünger durch verschlossene Türen erreichte. Er durchdringt ihre Abschottung und schenkt ihnen von dem, worin er selbst lebt: von seinem Geist. Es ist wie bei der Schöpfung der Welt, das Unbelebte wird erst durch den göttlichen Hauch lebendig.

Man möchte der Kirche unserer Zeit ein Pfingsten wünschen. Dass der Geist wie ein Sturm durch den Wald fegt und alles Vertrocknete und Morsche niederringt, dass er wie der Atem durch jeden Menschen weht und ihn neu aufleben lässt, dass er wie der Urhauch bei der Schöpfung alles lebendig macht. 

Geringe Geschenke?

Immer erscheint der Geist in Zusammenhang mit dem Leben: In der Urgeschichte schwebt er über dem Wasser. Nach der Formung des Menschen wird ihm Atem und Lebensgeist von Gott in die Nase geblasen. „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104,30).

Bertolt Brecht meinte einmal im Vergleich der Feste und den dazugehörenden Gaben spöttisch: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten.“ Das ist keineswegs so. Wir müssen als Individuen wie als Kirche die Geist-Geschenke nur wahrnehmen, auspacken und nutzen. Da ist für jeden und jede etwas dabei: „Ein und derselbe Geist teilt jedem seine besondere Gabe zu, wie er will“ (vgl. 1 Kor 12,8-11). 

Sämtliche Texte der Lesungen vom Pfingstsonntag (Lesejahr A) finden Sie hier.

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