Interview mit Stefan Ottersbach zum Weltjugendtag in Lissabon

BDKJ-Präses: Papst muss Jugendlichen beim WJT Reformen versprechen

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Zum katholischen Weltjugendtag in Lissabon machen sich in diesen Tagen Hunderttausende aus aller Welt auf, darunter 8.000 Deutsche. Was erwartet sie? Welche Themen prägen das Treffen? Antworten von Stefan Ottersbach, Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).

Herr Ottersbach, was bedeutet Jugendlichen der Weltjugendtag (WJT) in Zeiten, die geprägt sind von Klimakrise und Krieg sowie innerkirchlich vom Missbrauchsskandal und von Reformdebatten?

Viele empfinden es als große Chance, an einem Fest teilzunehmen, bei dem sie sich mit anderen Jugendlichen verständigen und Freundschaften knüpfen können. Gerade in Zeiten von Krieg ist nicht zu unterschätzen, was bei so einem Ereignis an Völkerverständigung stattfindet. Zudem können Jugendliche erfahren: Ich bin Teil einer Glaubensgemeinschaft, die die Welt umspannt und zu der viel mehr Menschen gehören, als ich das oft zuhause erlebe.

Kürzlich hatte es Wirbel gegeben um eine „politisch unkorrekte“ Vatikan-Briefmarke zum WJT. Sie zeigte Papst Franziskus auf dem Denkmal der Entdeckungen in Lissabon – an Stelle des portugiesischen Eroberers und Seefahrers Heinrich, der als Begründer des portugiesischen Kolonialreichs gilt. Ist der WJT auch ein Anlass, die Rolle der Kirche im Kolonialismus aufzuarbeiten?

Aus meiner Sicht muss er das auf jeden Fall sein. Wir als katholische Kirche und auch der Papst müssen uns dazu positionieren. Im März hat es ja eine Verlautbarung des Vatikans zur sogenannten Entdeckungsdoktrin gegeben (der vermeintlichen „Entdeckung Amerikas“ durch Europäer, die Red.). Sie wurde aber nur von zwei Behörden des Vatikans unterzeichnet. Was bisher noch aussteht ist, dass sich Papst Franziskus auch persönlich dazu äußert. Der WJT ist für uns als katholische Kirche eine große Chance, offen und angstfrei über Kolonialismus zu sprechen.

Dieses Jahr haben sich deutlich weniger Jugendliche angemeldet als zu den letzten WJTs. Worauf führen Sie das zurück?

Nach der Pandemie sind, glaube ich, noch viele vorsichtig mit solchen Großveranstaltungen. Viele sagen auch: Wir wollen erst mal mit der eigenen Gruppe auf Fahrt gehen, die eigenen Gruppenerfahrungen wieder stark machen. Nicht zuletzt vermute ich auch, dass nicht wenige Jugendliche mit so einer kirchlichen Großveranstaltung fremdeln.

Wegen des Missbrauchsskandals?

Genau. Bei den jungen Menschen, denen ich in meiner alltäglichen Arbeit begegne, nehme ich wahr, dass das Fremdheitsgefühl gegenüber kirchlichen Machtstrukturen deutlich größer geworden ist. Gegenüber dem Glauben nicht unbedingt, aber gegenüber der Institution.

Wie greift der WJT das Thema Missbrauch auf?

Ich hoffe sehr, dass von Papst Franziskus dazu ein starkes Wort ausgeht. Dass er jungen Menschen sein Wort gibt, alles dafür zu tun, um zukünftig auch die Strukturen anzugehen, die Missbrauch begünstigt haben. Die Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt in der Kirche werden noch nicht überall auf der Welt gleich stark vorangetrieben. Auch von den Bischöfen erhoffe ich mir, dass sie das Thema nicht unter den Teppich kehren, sondern den WJT als Möglichkeit nutzen, es anzusprechen.

Das Motto des WJT 2023 stammt aus dem Lukas-Evangelium: „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg.“ Maria ist hierzulande bei vielen jungen Leuten nicht unbedingt populär – jedenfalls nicht in der klassischen Deutung der sich aufopfernden Frau, die ihr ganzes Leben in den Dienst anderer stellt. Wie passt das zu jungen Menschen heute?

Es gibt Gott sei Dank sehr vielfältige Marienbilder. Auch das einer jungen Frau, mit der sich viele identifizieren können: „Sie machte sich auf den Weg“ – das kennen doch unglaublich viele junge Menschen. Sich auf den Weg zu machen, ohne genau zu wissen, wo es hingeht. Maria als eine solidarische Figur, die um Sorgen und Unsicherheiten weiß, sich diesen im Vertrauen auf Gott aber stellt.

Ist aus dieser Deutung der Reformgedanke herauszuhören?

Maria ist eine Frau der Reform, des Neuanfangs, absolut! Sie singt im Magnifikat von Gott: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ Wie viele Kinder und Jugendliche, die um ihre Rechte gebracht werden in dieser Welt, würden nicht gern in dieses Lied mit einstimmen? Etwa diejenigen, die jetzt schon an den dramatischen Folgen des Klimawandels leiden.

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