Deutliche Anfragen an Anerkennungs-Verfahren und Mitglieder-Berufung

Trierer Kommission: 513 Missbrauchs-Betroffene – Kritik an Bistum

  • Die Unabhängige Kommission zur Missbrauchs-Aufarbeitung im Bistum Trier hat einen ersten Zwischenbericht vorgelegt.
  • Demnach konnten für den Zeitraum von 1946 bis 2021 bisher 513 Betroffene von Missbrauch identifiziert werden.
  • Als Beschuldigte beziehungsweise überführte Täter seien 195 Personen erfasst.

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Die seit Juni 2021 tätige Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier (UAK) hat einen ersten Zwischenbericht vorgelegt. Demnach konnten für den Zeitraum von 1946 bis 2021 bisher 513 Betroffene von Missbrauch im Verantwortungsbereich des Bistums "namentlich oder anonym identifiziert werden". Davon seien 162 weiblich und 311 männlich. Für 40 Betroffene fehlten Angaben zum Geschlecht. Als Beschuldigte beziehungsweise überführte Täter seien 195 Personen erfasst.

Die UAK kritisierte "den Umstand, dass und wie vermeintliche oder überführte Täter innerhalb und außerhalb des Bistums versetzt wurden, und dass es am neuen Ort erneut zu Missbrauchstaten an Jugendlichen und Kindern kam". Weiter hieß es: "Zumindest in einer großen Reihe von Fällen wurden seitens des Bistums aus Sicht der UAK keine Maßnahmen zum Schutz potenziell Betroffener vor sexuellem Missbrauch vorgenommen."

Was die Kommission vom Bistum fordert

Die Kommission unter Vorsitz des früheren rheinland-pfälzischen Justizministers Gerhard Robbers (SPD) kündigte an, bis Mitte Oktober eine erste Studie zum Missbrauchsgeschehen in der Ära von Bischof Bernhard Stein (1904-1993) vorzulegen. Ihm wird vorgeworfen, in seiner Amtszeit von 1967 bis 1980 von sexuellem Missbrauch durch Kleriker gewusst und Täter gedeckt zu haben.

Die Kommission stellte darüber hinaus aktuelle Forderungen an das Bistum: Zum einen sei es "unabdingbar", dass die bisherige Praxis zur Gewährung von Akteneinsicht für Betroffene "deutlich verbessert" werde. Nötig sei, dass das Bistum den Betroffenen "mit einem transparenteren und wenig aufwändigen Verfahren" Einsicht in die sie und ihren Fall betreffenden Akten einräume.

"Situation der Betroffenen zu wenig beachtet"

Gefordert wird zudem, dass das Bistum Betroffene "regelmäßig" und "intensiver" über den Fortgang des kirchlichen Verfahrens unterrichtet, das in Verfolgung des jeweiligen Missbrauchs initiiert worden sei. "Klar erkennbar ist, dass die Situation der Betroffenen in der kircheninternen Bearbeitung der Fälle viel zu wenig beachtet wurde", heißt es im Bericht.

Außerdem sei das Verfahren zur Anerkennung des Leids "sehr formell organisiert". Betroffene beklagten, die Bearbeitung der Verfahren dauere sehr lange. Es scheine unumgänglich, für die Betroffenen über dieses Verfahren hinaus eine langfristige Beratungs- und Anlaufstelle zu schaffen - "entweder in Form einer besonderen Seelsorge oder durch eine unabhängige Ombudsstelle".

Betroffene und Experten in der Kommission

Auf Anregung der UAK sei eine Stiftung gegründet worden, die "die Erfüllung der finanziellen Erfordernisse der Aufarbeitung sicherstellt und die Unabhängigkeit der Kommission zusätzlich stärkt". Die Stiftung habe den Zweck, "in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Bildung und Soziales die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier zu fördern". Eine Aufgabe der Stiftung sei auch "die Initiierung entsprechender Studien zum sexuellen Missbrauch im Bistum".

Seit der konstituierenden Sitzung der UAK am 26. Juni 2021 gab es den Angaben zufolge 21 Treffen. Dem Gremium gehören sieben Menschen an, Missbrauchsbetroffene und Fachleute aus verschiedenen Berufen.

Kommission: Kritik an unserer Unabhängigkeit unbegründet

Durch den Umstand, dass die Kommissionsmitglieder durch Ortsbischof Stephan Ackermann berufen wurden, hätten Betroffene und Teile der Öffentlichkeit die Unabhängigkeit der Kommission infrage gestellt, hieß es weiter. Zwar halte die UAK die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit für unbegründet, werte die Diskussion aber "als einen Beleg für den allgemeinen Verlust an Glaubwürdigkeit vor allem der katholischen Kirche". Die UAK erwäge deshalb, "ob es förderlich wäre, wenn die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung gegen sexuellen Kindesmissbrauch in die Berufung der Kommission einbezogen würde".

Der Zwischenbericht enthält auch zwei gravierende Fallbeispiele katholischer Geistlicher aus den 1950er Jahren ("Fall Paul Krischer") sowie aus den 1960er und 1970er Jahren ("Fall Franz Engelhardt"). Diese Fälle dokumentieren laut UAK die damalige "Praxis der Bistumsleitungen, Fälle sexuellen Missbrauches intern zu regeln und vor der Öffentlichkeit, ja sogar vor dem Zugriff der staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu verbergen".

Fall "Karin Weißenfels" nicht eigens aufgeführt

Der zuletzt viel diskutierte Fall einer Betroffenen mit dem Pseudonym "Karin Weißenfels" wird im Zwischenbericht nicht eigens aufgeführt. Die "Süddeutsche Zeitung" meldet, Weißenfels sei angehört und "von der Kommission offiziell als Betroffene sexualisierter Gewalt anerkannt" worden. Eine Veröffentlichung des Falls im Zwischenbericht habe sie aber abgelehnt.

Grund seien zwei Sätze, die im Bericht stehen sollten und die sie laut "Süddeutschen Zeitung" als unzumutbar empfinde. Die aus ihrer Sicht mehrdeutige Formulierung laute: "Der Fall ist nach Auffassung der Kommission eine bedrückende Leidensgeschichte. Sie zeigt große psychische Probleme und langanhaltende Verletzungen."

Diesem Text habe Weißenfels nicht zustimmen wollen. Er könne ihren Ruf schädigen, weil man darin auch lesen könne, sie sei ja ohnehin psychisch krank gewesen. Nach Angaben der Zeitung leidet Weißenfels infolge der Übergriffe an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, lebt zurückgezogen und allein.

Bischof Ackermann begrüßt Bericht
Bischof Stephan Ackermann begrüßt den Zwischenbericht der Aufarbeitungs-Kommission. Er gebe "einige Anregungen zu einer stärkeren Betroffenenorientierung - ich verstehe sie auch als Aufforderung zu einer weiteren Professionalisierung in der gesamten Thematik", so Ackermann.

Zu der von der Kommission geforderten deutlich besseren Akteneinsicht für Betroffene sagte der Bischof, schon seit Beginn dieses Jahres gebe es ein neues Personalakten-Gesetz, "das auch die Frage der Akteneinsicht transparent regelt". Ackermann betonte, er nehme die Empfehlungen und Hinweise des Berichts "gerne an" und werde "mit dem diözesanen Beraterstab sowie mit dem Betroffenenbeirat beraten, wie diese konkret umzusetzen sind".

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