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Olga Kinzel aus der Herz-Jesu-Gemeinde in Ahlhorn (Landkreis Oldenburg) sammelt Wachsreste für Notlampen in der Ukraine. Sie will damit in ihrer alten Heimat Menschen in Bunkern oder Soldaten in Schützengräben helfen. Der Kirchenchor der Gemeinde hat die Transporte im Advent mit einem Benefizkonzert unterstützt.
In Bunkern oder Schützengräben an der ukrainisch-russischen Front verbrennt derzeit auch Wachs aus Kirchen. Das von alten Osterkerzen zum Beispiel, die seit Jahren irgendwo im Schrank einer Sakristei lagerten – und vielleicht irgendwann vergessen und weggeworfen worden wären. Oder die Überbleibsel der dicken Stumpen vom Adventskranz, die möglicherweise auch in der Tonne gelandet wären.
Stattdessen hilft genau dieses Wachs jetzt Menschen, die es dringend brauchen: in der Ukraine. Als Brennstoff für Notlampen. Zum Beispiel, wenn bei einem Angriff durch Drohnen oder Raketen – etwa auf Charkiw, Cherson oder Saporischschja – im Bunker der Strom ausgefallen ist. Oder, damit sich Soldaten in bitterkalten Schützengräben an der Flamme der selbstgebastelten Leuchten wenigstens ein bisschen aufwärmen oder darauf etwas kochen können.
Mehr als zwei Tonnen gesammelt
Olga Kinzel würde es jedenfalls freuen. Weil genau das in den vergangenen Monaten zur Herzensangelegenheit der 45-Jährigen aus dem oldenburgischen Ahlhorn geworden ist: Wachsreste für ihre alte Heimat zu sammeln und Menschen darum zu bitten, Kirchengemeinden ebenso wie Privatleute. Und das mit Erfolg: Mehr als zwei Tonnen des Brennstoffs hat sie seit dem Start ihrer rein privaten Sammelaktion im Oktober schon zusammengetragen und auf den Weg in ihre alte Heimat gebracht.
„Zusammengerechnet bringen sie rund 10.000 Stunden Wärme und Licht“, rechnet Olga Kinzel vor. Wie wichtig diese Hilfe ist, findet sie immer wieder auf den Facebook-Fotos bestätigt, die ihr dankbare Ukrainer zuschicken, auch schon mal Soldaten direkt aus dem Schützengraben.
Olga Kinzel zu Kriegsbeginn in Lwiw
Andrea Rudel (50) kümmert sich um die Kerzenkartons in den vier Kirchen der St.-Johannes-Pfarrei in Bakum (Kreis Vechta). Alle zwei bis drei Tage leert sie die Sammelkartons und bringt sie die gesammelten Wachsreste zu Olga Kinzel nach Ahlhorn. | Foto: privat
Den Beginn des Krieges hat sie in der Ukraine selbst miterlebt – ihrer alten Heimat – und war wie die meisten geschockt. Sie erinnert sich noch an die ersten Bilder von Raketeneinschlägen, an all das Leid. „Keiner hat doch jemals geglaubt, dass so etwas kommen würde: Raketen auf schutzlose Menschen.“ In Olga Kinzels Stimme klingt Verzweiflung mit.
Als ob die Wochen für sie nicht auch so schon schwer genug gewesen wären. Nur wenige Tage vor dem 24. Februar, dem Beginn der Angriffe der Russen, war ihre Mutter gestorben. Sie lebte in der Nähe von Lwiw. Gott sei Dank hatte sie sich noch von ihr verabschieden können. Nach der Beerdigung am 21. Februar wollte sich die Tochter auf den Heimweg machen in Richtung Deutschland. Was nicht einfach war, denn der Krieg hatte auch die Abläufe auf dem Flughafen durcheinandergebracht.
Seit 20 Jahren in Deutschland
Auch daheim in Ahlhorn holte er sie schnell ein, in Form einer Anfrage der Gemeinde: Die ersten Geflüchteten aus der Ukraine seien angekommen. Ob sie nicht als Dolmetscherin helfen könne? Olga Kinzel zuckt mit den Schultern. Natürlich hat sie geholfen. „Auch wenn ich nach der Trauer um meine Mutter und dem Stress auf dem Flughafen noch gar nicht richtig wieder zur mir gefunden hatte. Und jetzt sollte ich andere Menschen auffangen.“
Seit 20 Jahren lebt die Sozialpädagogin mittlerweile in Deutschland. Nach ihrer Zeit als Au-Pair-Mädchen in Ahlhorn hatte die Sozialpädagogin dort eine neue Heimat gefunden, auch in der Ahlhorner Herz-Jesu-Gemeinde, einem Gemeindeteil der Pfarrei St. Peter Wildeshausen.
Wenige Handgriffe reichen für eine Notleuchte
Dort fragte sie auch nach, als sie im Herbst über Facebook erstmals eine Anfrage aus der Ukraine wegen Wachsresten erreichte, von einer Bekannten: „Olga, fahr bitte mal nach Bremen und hole drei Kerzen ab, die ich über Ebay besorgt habe. Die brauchen wir hier dringend.“ Zuerst wunderte sie sich. „Ich dachte: Wegen drei Kerzen fahre ich doch nicht vierzig Kilometer mit dem Auto.“ Aber die Bekannte ließ nicht locker und erklärte ihr genauer, wofür die Kerzenreste gebraucht werden und warum sie so wichtig sind: Weil sich daraus schnell und einfach Notlampen basteln lassen.
Dazu gießen Helfer in zahllosen kleinen Werkstätten im Land das erhitzte Wachs mit Pappstreifen als Docht in alte Konservendosen. Ein paar Handgriffe nur, und fertig sind die einfachen Lampen, die im Notfall wichtig sein können. In Bunkern, aber auch in Schützengräben.
Pfarrer aus Garrel reagierte als Erster
So wie hier zu sehen werden in zahlreichen kleinen Werkstätten in der Ukraine Notlampen aus Konservendosen, Pappe und heißem Wachs hergestellt. | Foto: Imago/Volodymyr Tarasov
Olga Kinzel sah den Sinn und wollte selbst auch Kerzenreste sammeln. Nachfragen bei Freunden und Bekannten brachten jedoch zunächst nur mäßigem Erfolg. Eine Diskussion über das Thema im Ahlhorner Ortsausschuss der Herz-Jesu-Gemeinde, zu dem sie gehört, brachte sie dann auf die Idee, Priester aus der Umgebung deswegen anzuschreiben. Pfarrer Paul Horst aus Garrel (Kreis Cloppenburg) reagierte als Erster. „Er schickte ziemlich viele Kerzen.“ Das machte ihr Mut: „Ich merkte, dass der Weg über Kirchengemeinden der richtige ist.“
Im Oktober stellte Olga Kinzel zusätzlich Sammelkartons in ihrer Heimatgemeinde auf und machte die Aktion über ihren WhatsApp-Status bekannt. Das weckte zum Beispiel Andrea Rudels Interesse. Die Frau aus Bakum (Kreis Vechta) kannte Olga Kinzel von einem Besinnungswochenende.
Erste Transporte zahlte Olga Kinzel aus eigener Tasche
Und sie sorgte dafür, dass seither auch in den vier Kirchen ihrer Pfarrei Sammelkartons stehen, die sie selbst regelmäßig für Olga Kinzels Aktion leert. Weitere Gemeinden folgten, die Sache kam ins Rollen. „Weihnachten zum Beispiel hat Andrea Rudel kofferraumweise Kartons mit Kerzenresten in meiner Garage abgestellt“, freut sich Olga Kinzel, die sich auch um den Transport in Richtung Ukraine kümmert.
In den ersten Monaten hat sie die Kosten dafür aus eigener Tasche bezahlt, gemeinsam mit Verwandten. Vor Weihnachten spendete der Ahlhorner Kirchenchor den Erlös eines Adventskonzerts dafür. Rund 470 Euro kamen dabei zusammen. Und seit kurzem unterstützt auch eine Hilfsaktion aus Oldenburg ihr Projekt.
Hat sie Bedenken, weil Kerzen aus Kirchen jetzt ausgerechnet in Schützengräben brennen? Olga Kinzel schüttelt den Kopf. „Die Kerzen werden ja nicht für etwas Schlimmes missbraucht. Sondern helfen Menschen in Not.“