Themenwoche „Ein Jahr Ukraine-Krieg“ (7) - vom Kriegsalltag

Zwischen Front und Familie: Darum glaubt Dmytro (30) an den Ukraine-Sieg

  • Der Kriegsausbruch in der Ukraine hat das Leben des Journalisten Dmytro Horyevoy komplett verändert.
  • Der 30-Jährige brachte seine Familie in Sicherheit und verteidigte die Stadt Lwiw.
  • Als Religionsexperte und Dolmetscher ist er mit ausländischen Journalisten im ganzen Land unterwegs.

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Seit einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Der russische Angriff hat auf beiden Seiten viele Opfer gefordert. Dennoch hegt der ukrainische Journalist Dmytro Horyevoy Hoffnungen für 2023, dass die Kämpfe enden. Über seinen Alltag und die Bedeutung der Kirchen in der Ukraine spricht er mit „Kirche-und-Leben.de“.

Frieden – das ist der größte Wunsch des 30-Jährigen aus Lwiw in der Westukraine. Doch für ihn ist klar, dass dieser nur möglich werde, wenn die Ukraine den Sieg über Russland verkünden könne. „Wir haben keine anderen Optionen“, sagt er. Diese Lektion habe sein Land nach der Krim-Annexion 2014 gelernt. Damals stellten sich mehrere Friedensabkommen mit dem Kreml als wertlos heraus. Ein Fehler, der sich nicht wiederholen dürfe.

Frau und Kind gingen nach Polen

Der Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 stellte das Leben von Dmytro Horyevoy, wie von Millionen Ukrainern auch, auf den Kopf. Er unterbrach seine Arbeit als Journalist und sorgte sich zunächst um die Sicherheit seiner Frau und seiner damals einjährigen Tochter. Er schickte die beiden nach Polen. Gleichzeitig hielt er Kontakt mit Verwandten in Cherson in der Ostukraine, die unter russischer Besatzung lebten und nicht evakuiert werden konnten.

„Zu dieser Zeit fehlte mir die Inspiration zum Schreiben von Artikel“, erklärt der 30-Jährige aus der jetzigen Perspektive seine Schreibblockade zu Beginn des Krieges. Er begann, als Dolmetscher für ausländische Journalisten zu arbeiten. Er arbeitete mit US-Amerikanern, Briten, Franzosen und iranischen Kollegen.

Kirchen mit starkem Einfluss in der Ukraine

Als ich den Ukrainer bei einem Workshop mit internationalen Journalisten im Oktober 2021 in Rom kennenlernte, war der Krieg noch in weiter Ferne. Wir informierten uns über die Institutionen im Vatikan, tauschten uns mit Repräsentanten der Kurie aus und berichteten einander von der kirchlichen Situation in unseren Heimatländern.

Jetzt, mehr als ein Jahr später, berichtet der Religionswissenschaftler, der Anfang Januar 2023 als Religionsexperte in der ARD-Sendung „Tagesthemen“ interviewt wurde, von einer stark veränderten Rolle der Kirchen in der Ukraine. Die zwei orthodoxen Kirchen, die unabhängige „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ und die „Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats“, verfolgen zwei konträre Ziele. Kurz gesagt: Die unabhängige Kirche unterstützt die Kiewer Regierung, die andere Kirche, die deutlich mehr Gemeinden unter sich vereint, unterstützt die russische Seite.

Vertrauen in Moskauer Kirche nimmt ab

Dmytro Horyevoy mit Gewehr an einem Wachposten
An einem Checkpoint wartete Dmytro Horyevoy auf russische Soldaten, doch sie kamen nicht. | Foto: privat

„Generell vertrauen die Ukrainer den Kirchen als soziale Institutionen“, erklärt Horyevoy. Doch mit zunehmender Dauer des Krieges und dem Bekanntwerden von Fällen, in denen Priester russischen Truppen geholfen haben, nimmt das Vertrauen in den Moskauer Zweig ab. Im Januar wurde bekannt, dass die Regierung moskautreue Gemeinden per Gesetz verbieten wolle. Daraufhin protestierte der Kreml umgehend, schließlich werde dadurch die Religionsfreiheit verletzt.

Auch wenn die Unterstützung der moskautreuen „Ukrainisch-orthodoxen Kirche“ laut Umfragen abnehme, dürfe deren Macht nicht unterschätzt werden, erklärt der 30-Jährige, der selbst der unabhängigen „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ angehört. Er schätzt, dass es einen Kern von rund einer Million Anhängern der Moskauer Kirche gebe, die die Ziele Russlands, die von Patriarch Kyrill I. gebetsmühlenartig wiederholt werden, weiterhin unterstützen.

Hoffnung auf den Sieg der Ukraine

Und wie geht es mit dem 30-Jährigen selbst weiter? Noch zu Kriegsbeginn war er Teil der Bürgerwehr seines Dorfes und wartete an einem eigens erbauten Wachposten mit einem Gewehr auf russische Soldaten, die „Gott sei Dank nicht bis nach Lwiw gekommen sind“, so Horyevoy. Daraufhin kehrten Frau und Kind im Mai 2022 wieder zurück zu ihm, während Dmytro seine Arbeit als Journalist langsam wieder aufnahm. Er war im inzwischen weltberühmten Ort Butscha nahe Kiew, als dieser noch vermint war, und in Cherson, als die russische Artillerie Raketenangriffe durchführte.

Ja, sein Leben sei gefährlicher als vor dem Krieg. Den Gedanken, seine Heimat zu verlassen, hat er bislang noch nicht gehabt. Er wollte sich einmal für die Landesverteidigung verpflichten lassen, doch sagte man ihm, es seien mehr als genug Bewerbungen eingegangen. Er sorge sich vielmehr um die eigene Familie und Verwandte als um sich selbst. Seine Hoffnung ist, dass die Ukraine noch in diesem Jahr den Sieg feiern könne und alle besetzten Gebiete, inklusive der Krim-Halbinsel, zurückerobern werde. Bis es so weit sei, werde er weiter über den Krieg berichten. Aktuell ist er mit einer US-amerikanischen TV-Crew in Kiew unterwegs.

Stichwort: Christliche Kirchen in der Ukraine
Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine. Sie ist die größte katholische Ostkirche mit nach Vatikan-Angaben weltweit rund 4,5 Millionen Christen. Die eigenständige Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) entstand erst 2018 aus dem 1992 gegründeten Kiewer Patriarchat und der 1921 ins Leben gerufenen Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche. Nach Beginn des russischen Krieges in der Ostukraine 2014 war damals der Ruf nach einer von Russland unabhängigen orthodoxen Kirche lauter geworden. Ihr Oberhaupt ist der Kiewer Metropolit Epiphanius. Die russisch-orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat) betrachtet die Ukraine als ihr Stammland und lehnt eine kirchliche Unabhängigkeit (Autokephalie) für das südliche Nachbarland strikt ab. Auch viele andere orthodoxe Landeskirchen haben die neue eigenständige ukrainische Kirche bislang nicht offiziell anerkannt. Die moskautreue Kirche verfügt in der Ukraine über deutlich mehr Gemeinden als die neue Kirche. Sie räumte aber zuletzt den Verlust von mehr als 100 Pfarreien an die Orthodoxe Kirche der Ukraine ein. Die Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK) betont einerseits ihre traditionelle Einheit mit der russischen Orthodoxie; andererseits genießt sie eine weitreichende Autonomie. Sie gründet eigenständig Eparchien (Diözesen), wählt selbst ihre Bischöfe und ist finanziell unabhängig von Moskau. (KNA)

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