Vertreter der katholischen Bischöfe in Berlin zu den Plänen der Bundesregierung

Was erwartet die Kirche von der Regierung Scholz, Prälat Jüsten?

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Der Vertreter der katholischen Bischöfe in Berlin, Prälat Karl Jüsten, betont Gesprächsbereitschaft mit der neuen Bundesregierung auch bei kritischen Themen. Im Interview warnt er vor einer Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen, begrüßt die sozialverträgliche Ausgestaltung des Klimaschutzes und spricht sich für den weiteren Abbau klimaschädlicher Subventionen aus.

Herr Prälat, mit Olaf Scholz (SPD) hat Deutschland erstmals einen konfessionslosen Bundeskanzler. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?

Ich kenne Olaf Scholz bereits aus vielen Funktionen. Gegenüber den kirchlichen Anliegen haben wir ihn stets als aufmerksamen und guten Gesprächspartner erlebt. Nach meinem Eindruck schätzt er die Kirchen und ihr Wirken in der Gesellschaft.

Die Zahl kirchlich gebundener Minister ist in der neuen Regierung geringer als in vorherigen. Steht das für einen gesellschaftlichen Wandel?

Es ist schwer zu sagen, ob die neue Regierung insofern den Trend der sinkenden Mitgliederzahlen in den beiden großen Kirchen widerspiegelt. Die Zahl der konfessionell gebundenen Parlamentarier im Bundestag ist jedenfalls recht konstant. Nach meiner Erfahrung verschließen sich Regierungsmitglieder einem guten und sachlichen Diskurs in der Regel nicht, unabhängig von ihrer konfessionellen Bindung.

Der Koalitionsvertrag führt die Kirchen unter anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen an. Zeigt sich hier ein neues Verhältnis?

Bei allem Wandel werden Kirchen und Religionsgemeinschaften weiter als wichtiger Teil unseres Gemeinwesens gewürdigt, die einen wertvollen Beitrag für das Zusammenleben und die Wertevermittlung leisten. Zudem betont er an vielen Stellen, dass die Koalition die Kirchen in Gespräche einbeziehen will. Wir hoffen, dass sie insoweit in der Legislaturperiode Wort hält.

Wie sieht es mit Wohlfahrtsverbänden und Hilfswerken aus?

Auch die Wohlfahrtsverbände wie etwa die Caritas werden samt ihrer Angebotsvielfalt als wichtige Partner bei der Förderung des gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhalts und wesentliche Stütze der Daseinsvorsorge gesehen.

Wo sehen Sie Konflikte, wo Anknüpfungspunkte?

Der Koalitionsvertrag greift in vielen Bereichen Anliegen der Kirchen auf, seien es soziale Fragen, beim Klimaschutz oder der Migration. Andererseits werden wir beim Lebensschutz oder bioethischen Fragen sicher in einen kritischen Dialog treten müssen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat bereits angekündigt, das Werbeverbot für Abtreibungen in Strafrechtsparagraf 219a rasch streichen zu wollen. Steht der Lebensschutz zur Disposition?

Klar ist, dass wir gegen die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche sind. Es trägt zu einer objektiven und seriösen Beratung der Frau in einer Konfliktsituation bei und dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Wir würden es begrüßen, wenn zunächst der 2019 gefundene Kompromiss vollständig umgesetzt und ausgewertet wird.

Wie steht es um die geplante Kommission, die eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts prüfen soll?

Die Ampel-Koalition stellt offenbar den Aspekt der reproduktiven Selbstbestimmung in den Vordergrund. Das halten wir nicht für richtig. In der Sache hat sie sich aber im Koalitionsvertrag noch nicht positioniert. Hier werden grundlegende, ethisch sensible Themen am Lebensanfang und Grundrechte berührt, die eine intensive und breite gesellschaftliche Auseinandersetzung verlangen, in die wir uns einbringen werden.

Befürchten Sie eine Debatte wie Anfang der 1990er Jahre?

Die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch ist jedenfalls ein nach langen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen sowie juristischen Auseinandersetzungen gefundener gesetzlicher Kompromiss. Eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs halten wir mit Blick auf den Schutz des Lebens für unzureichend.

Die Kommission soll auch Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen. Wie bewerten Sie das?

Gegen eine Legalisierung der Eizellspende und der Leihmutterschaft spricht neben den gesundheitlichen Risiken bei der Entnahme der Eizelle auch die Gefahr einer weiteren Kommerzialisierung der Fortpflanzungsmedizin. Darauf werden wir aufmerksam machen.

In der Familienpolitik entfernen sich Regierungsvorhaben immer weiter vom kirchlichen Verständnis. Wird das katholische Ehe- und Familienmodell zur Sonderform?

Das sehe ich nicht so. Nach wie vor ist die auf Ehe gründende Familie die gängige Familienform. Allerdings nehmen andere Familienformen zu. Die Familienpolitik will diese nun noch stärker in den Blick nehmen. Sofern damit Armutsrisiken etwa von Alleinerziehenden und ihren Kindern begegnet werden soll, kann dies angezeigt sein. Auch das Ziel, Kinderarmut zu bekämpfen, wird von uns unterstützt. Allerdings sollten Rechtsänderungen im Familienrecht nicht Bewährtes in Frage stellen. Deshalb finde ich es wichtig, dass die Koalition etwa mit Blick auf eine geplante Verantwortungsgemeinschaft klarstellt, dass damit kein Konkurrenzinstitut zur Ehe geschaffen werden soll.

Mehr Anknüpfungspunkte für die Kirche bietet der Schutz von Klima und Schöpfung.

Grundsätzlich finden wir viele Vorhaben im Bereich Klimaschutz sehr positiv. Doch trotz ihres Bekenntnisses zum 1,5-Grad-Ziel richtet die Bundesregierung diese Vorhaben de facto nicht an dem Beitrag aus, der Deutschland nach seiner Einwohnerzahl zur Erreichung dieses Ziels zukommt. Auch die Forderung, umwelt- und klimaschädliche Subventionen abzuschaffen, wird nur vage aufgegriffen. Gleichzeitig freuen wir uns, dass wir einige unserer Anliegen zur sozialverträglichen Ausgestaltung von Klimaschutz wie die Einführung einer Klimakomponente beim Wohngeld oder die Abkoppelung der EEG-Umlage vom Strompreis wiederfinden.

Was erwarten Sie beim Thema Asyl und Migration?

Auch hier greift der Koalitionsvertrag langjährige kirchliche Forderungen auf. Die angestrebte Abkehr vom restriktiven Kurs bei der Migration begrüßen wir ebenso wie die Suche nach humanitären Lösungen für die vielfältigen Probleme. Wir erwarten eine rasche Umsetzung, etwa bei der Familienzusammenführung subsidiär Geschützter oder dem Zugang zu Gesundheitsversorgung für Personen mit irregulärem Aufenthalt. Zudem sollte beim Familiennachzug das Verwaltungsverfahren auf den Prüfstand. Familien müssen teilweise mehrere Jahre warten, bis sie ihre Visa erhalten.

In der Sozialpolitik haben sich kirchliche Sozialverbände bereits positiv zu Vorhaben geäußert.

Das gilt etwa für den Wohnungsbau. Bezahlbarer Wohnraum ist für viele Menschen ein drängendes Problem. Positiv sehen wir auch, dass die Koalition eine bessere Entlohnung der Menschen erreichen und die Tarifbindung stärken will. Bei der Pflege sind weitere Reformen notwendig. Es ist zu begrüßen, dass die Koalition die Eigenanteile in der stationären Pflege begrenzen, die Bezahlung weiter verbessern und auch einen besseren Personalschlüssel gewährleisten sowie die häusliche Pflege stärken will.

Allerdings stellt die Koalition das kirchliche Arbeitsrecht auf den Prüfstand.

Die Prüfung soll gemeinsam mit den Kirchen erfolgen. Wir sind selbstverständlich offen für solche Gespräche. Dabei können sich die im kirchlichen Arbeitsrecht erzielten Ergebnisse absolut sehen lassen: vom Vergütungsniveau bis zur betrieblichen Altersversorgung. Und wir erreichen eine flächendeckende Tarifbindung kirchlicher Einrichtungen sowie ein Deckungsgrad an Mitarbeitervertretungen von gut 90 Prozent. Wer zu Recht gute Löhne und eine hohe Tarifbindung anstrebt, sollte nicht das kirchliche Arbeitsrecht in Frage stellen.

Die Koalition will die Voraussetzungen zur Ablösung der Staatsleistungen schaffen. Wie stehen die Bischöfe dazu?

Wir begrüßen, dass die neue Regierung diesem Verfassungsauftrag im Dialog mit den Ländern und den Kirchen erreichen möchte. Nach unserer Auffassung gehört zu einem fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen die Beachtung des Äquivalenzprinzips bei der Ablösung.

Ferner soll das Staatskirchenrecht "weiterentwickelt" werden.

Das bestehende Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht hat sich aus unserer Sicht bewährt und ist offen für alle Religionen. Ob es für muslimische Gemeinden einer Ergänzung des Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften bedarf, wie es die Regierung plant, muss man sorgfältig prüfen. Die Erörterung soll laut Koalitionsvertrag in enger Abstimmung mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften erfolgen. Das ist gut. In diesen Dialog bringen wir uns selbstverständlich gerne ein.

Wie will die Kirche künftig ihre Positionen einbringen?

So wie stets: wohl überlegt und mit guten Argumenten im Sinne des kirchlichen Sendungsauftrags für die Menschen und das Gemeinwohl.