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Natürlich ist er auch heute Morgen pünktlich. Um 7.45 Uhr hat ihn der Fahrdienst an der Bushaltestelle in Emsdetten abgeholt. Schon wenig später steht Roman Bouma vor seinem Spind in der Caritas-Werkstatt für Menschen mit Behinderung und legt Arbeitshose und Sicherheitsschuhe an. Dann führt sein Weg in die große Halle für Holzverarbeitung. Über seinen Arbeitstisch werden heute etwa zwölf Lattenroste gehen. Er ist für die Endmontage zuständig: Bau-Elemente zusammenfügen, Einzelteile zusammenstecken, Schrauben anziehen.
„Er ist ein Vorbild an Pünktlichkeit und Motivation“, lobt Jörg Strecke den 29-Jährigen. Der Sozialpädagoge gehört zum Betreuer-Team in der Werkstatt und weiß, wie unterschiedlich die Voraussetzungen und Fähigkeiten der einzelnen Beschäftigten sind. Nicht jede Behinderung lässt jeden Einsatz zu. Die etwa 30 Arbeitskräfte in der Holzverarbeitung übernehmen die unterschiedlichsten Aufgaben, die genau auf ihre Möglichkeiten zugeschnitten sind. Sowohl von den Anforderungen, als auch vom direkten Arbeitsumfeld und den Maschinen.
Langsam herantasten
Als Bouma 2007 nach seiner Schulzeit in die Werkstatt wechselte, musste auch er sich erst langsam an komplexere Aufgaben herantasten. „Die ersten zwei Jahre gehören immer der Eingewöhnung, dem genauen Blick auf Fähigkeiten und Neigungen, der Schulung und Ausbildung“, erklärt Strecke. Für einige Beschäftigte geht der Blick dann auch auf einen möglichen Weg auf den ersten Arbeitsmarkt. Für Roman ist das keine Option. Er ist taubstumm in Verbindung mit kognitiven Einschränkungen. „Er möchte in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung bleiben.“
Jörg Strecke kommuniziert in Gebärdensprache mit Roman Bouma. | Foto: Michael Bönte
Dort ist er „glücklich“, das macht er seinem Betreuer in Gebärdensprache immer wieder deutlich. Sein Arbeitsplatz erfüllt ihn. Die Stationen, an denen er die Latten geschliffen und angebohrt hat oder Plastikkappen auf das Holz drückte, hat er hinter sich gelassen. Jetzt genießt er die vielseitige Aufgabe. Besonders der Einsatz des Luftdruck-Schraubendrehers hat es ihm angetan. Ohne großen Kraftaufwand werden die Schrauben damit ins Holz getrieben.
Gefühl der Sicherheit ist wichtig
„Die Menschen hier schätzen ihre Teilhabe am Arbeitsleben, weil sie gestärkt daraus hervorgehen“, sagt Strecke. Ihr gutes Gefühl ist nicht abhängig von der Abwechslung ihrer Tätigkeit. Viel wichtiger ist ein Gefühl der Sicherheit: „Sie wollen morgens wissen, was am Tag auf sie zukommt.“ So sind die Beschäftigten mit Aufgaben zufrieden, die Menschen ohne Behinderung kaum tagein, tagaus erledigen wollten. „Es geht um die persönliche Herausforderung, nicht um herausragende Leistungen in der Gruppe.“
Ein Interview über die Situation von Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf dem freien Markt mit dem Werkstattleiter in Emsdetten, Alexander Lürwer, lesen Sie in der akutellen Ausgabe von Kirche+Leben (Nr. 41/2017).
Auf der anderen Seite steht da eine Zahl, die unumstößlich ist, weiß Tischler Thomas Riedel. Er leitet die Holzverarbeitung in Emsdetten und kennt die Verträge, die zu erfüllen sind. „360 Stück des 90-Zentimeter-Lattenrostes müssen am Ende der Woche produziert und verpackt worden sein.“ Strenge Qualitätskontrollen sind wichtig. Sonst setzt man den mehrjährigen Auftrag des großen internationalen Möbelhauses aufs Spiel.
Druck bringt nichts
Dafür bewegt sich Riedel ständig zwischen den besonderen Voraussetzungen einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und den Anforderungen des freien Marktes. „Auf der einen Seite muss ich sehr flexibel reagieren, da die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten stark variieren.“ Auf der anderen Seite bringe es nichts, Druck aufzubauen, um das Produktionsziel zu erreichen. „Da bewirke ich oft das Gegenteil.“ Die Idee, die Kapazität auf 400 Lattenroste in der Woche zu erhöhen, um eine Rücklage zu produzieren, scheiterte daran.
Thomas Riedel im Gespräch mit einem Beschäftigten in der Holzverarbeitung. | Foto: Michael Bönte
Das Wochenziel wurde bislang trotzdem immer erreicht. Riedel erklärt diesen Erfolg. „Die Menschen mit Behinderung registrieren von allein, ob sie im Soll liegen.“ Wer sensibel mit ihnen umgehe, der könne sie dafür motivieren. „Man braucht dafür manchmal aber ganz schön dicke Samthandschuhe.“ Und eine intensive individuelle Unterstützung der Beschäftigen, erklärt Strecke: „Konkrete Förderpläne, Fortbildungen für alle Mitarbeiter und Spezialisierungen gehören dazu.“
Herzlich und motiviert
Mit diesem Wissen und viel Feingefühl könne man sich dann viele Vorteile gegenüber Anbietern auf dem ersten Arbeitsmarkt erarbeiten. „Die Ehrlichkeit und Offenheit gehören sicher zu den größten“, sagt Strecke. „Wenn es mal hakt im Arbeitsprozess, dann erfahren wir das sofort – das wird nicht drum herum getrickst.“ Die besondere Herzlichkeit der Menschen mit Behinderung schaffe zudem für alle eine motivierende Atmosphäre. „Wo sonst wird man morgens zu Begrüßung auch mal in den Arm genommen?“
Langenhorster Werkstätten
Die Caritaswerkstätten Langenhorst wurden 1969 im Ochtruper Stadtteil Langenhorst gegründet. Heute beschäftigt die Einrichtung an fünf Standorten fast 900 Menschen mit Behinderung und etwa 200 Mitarbeiter aus vorwiegend pädagogischen, pflegerischen und handwerklichen Berufen.
Die Arbeitsbereiche sind vielfältig: Metall- und Holzverarbeitung, eine Druckerei, Elektronik-Abteilungen, Nähereien, Verpackungs- und Montagegruppen, Gärtnergruppen oder Hauswirtschaftsangebote gehören dazu. Aus den Produktionserlösen werden die Löhne der Beschäftigten mit Behinderung finanziert.
Für die Betreuung, Schulung und Pflege erhalten die Werkstätten Gelder von Landwirtschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), von den Kommunen und von der Agentur für Arbeit. In der Einrichtung in Emsdetten arbeiten etwa 100 behinderte Menschen und 17 Mitarbeiter.
Die Caritaswerkstätten Langenhorst sind Schwerpunktwerkstatt für mehrfachbehinderte gehörlose Menschen. Für diese Personengruppe sind die Werkstätten für ein Gebiet von Bocholt bis Lotte zuständig.