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Im frostigen Februar 2021 hatte ein Küster ihm die Tür zu einem Cloppenburger Pfarrheim aufgeschlossen. Vor der campiert Mirco Metjer immer mal wieder. Im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ hat er von seinem Corona-Jahr erzählt. Warum er Kälte nicht fürchtet und warum Weihnachten ihm fremd geworden ist.
Frost macht ihm nichts aus. Über minus vier Grad lacht er nur. „Klar, wenn man den ganzen Tag im warmen Büro sitzt, meint man, das sei nicht auszuhalten.“ Mirco Metjer grinst mitleidig unter seiner Fellmütze hervor und sagt: „Natürlich schlafe ich im Winter draußen! Wieso denn nicht?“
So wird er auch heute wieder sein Quartier im Schatten der Cloppenburger Augustinuskirche beziehen, im Nebeneingang des Pfarrheims. Sein Stammplatz, wenn der 48-Jährige in Cloppenburg ist, wo ihn viele kennen und grüßen.
Sein Schlafsack reicht bis minus 25 Grad
Eine Bauplane soll ihn vor Feuchtigkeit schützen. „Mein Schlafsack reicht bis minus 25 Grad“, sagt er. „Das wäre auch in der Kaltfront im Februar genug gewesen.“
Trotzdem hatte er da das Angebot des Küsters angenommen. Jürgen Heckmann sorgte sich um den Obdachlosen, der immer mal wieder für ein paar Wochen beim Pfarrheim sein Nachtquartier aufschlägt, und hatte ihm die Tür ins Warme aufgeschlossen.
Mirco Metjer ist geimpft und geboostert
Mirco Metjer in der Cloppenburger St.-Andreas-Kirche. Es war sein erster Kirchenbesuch seit Jahrzehnten. | Foto: Michael Rottmann
Und, wie ist es ihm seither ergangen, auf der Straße im zweiten Coronajahr? „Alles ist schwieriger geworden“, meint der Mann mit dem Rauschbart. Immerhin ist er geimpft und geboostert. Trotzdem bleibt er vorsichtig, trägt Maske beim Interview auf Abstand in der Cloppenburger St.-Andreas-Kirche, wo er sich interessiert umschaut. Es ist ein besonderer Ort für ihn.
„Ich war schon seit Jahrzehnten nicht mehr in einer Kirche, und dann ist es auch noch eine fremde Kirche.“ Denn der gebürtige Ostfriese ist evangelisch-lutherisch. Er zeigt auf die Beichtstühle und sagt: „Die gibt es bei uns nicht.“ Auch an eine Krippe in der Kirche kann er sich nicht erinnern.
Leben mit 14 Euro am Tag
Auf die Frage nach seinem Leben und seinem Alltag in Corona-Zeiten schildert er seinen Tagesbeginn: Morgens nach dem Aufstehen packt er seinen Kram zusammen und raucht erst mal. Anschließend läuft er zum Bahnhof zur Toilette und holt sich danach einen Morgenkaffee vom Bäcker.
Mirco Metjer lebt von Grundsicherung, pro Tag etwas mehr als 14 Euro. Das Geld gibt es wegen Corona nicht mehr tageweise, sondern für eine oder zwei Wochen im Voraus. „Einer der wenigen Vorteile von Corona. Weil ich dann beim Einkaufen besser planen kann.“
Sein Bettelhut bringt wegen Corona weniger ein
Mirco Metjer mit dem E-Bike-Gespann, das er sich zusammengespart hat. Er lebt als Obdachloser auf der Straße. | Foto: Michael Rottmann
Als Diabetiker muss er auf seine Ernährung achten. Früher hat er sich auch schon mal was warmgemacht, in letzter Zeit nicht mehr. Die meisten Dosengerichte enthalten oft zu viel Zucker.
Ab und zu setzt er sich auch mit seinem Hut zum Betteln in die Innenstadt. „Das bringt aber wegen Corona nicht mehr so viel“, sagt er. „Es sind weniger Leute unterwegs. Und manche machen einen Bogen um ihn, weil irgendwann mal geschrieben wurde, Obdachlose würden Corona übertragen, weil sie sich nicht gründlich waschen.“ Das regt ihn auf. „So ein Unsinn.“
Weihnachten feiert er schon lange nicht mehr
Er duscht zum Beispiel an Lkw-Raststätten. Da kann er auch seine Sachen waschen. Billig ist das nicht. Zehn Euro kostet eine große Waschmaschine und das Waschpulver noch einmal zwei Euro extra.
Für Weihnachten hat er sich aber nicht extra fein gemacht. „Das sind Tage wie alle anderen für mich“, sagt er. „Ist doch alles nur noch Konsum.“ Früher, als Kind, da war das noch anders, aber seither? Er schüttelt den Kopf. Vielleicht liegt es an den Erlebnissen dazwischen. Mirco Metjer erzählt, wie ihn sein Stiefvater mit 18 Jahren vor die Tür setzte. „Ich war immer das schwarze Schaf.“
Mirco Metjer will auf keinen Fall nach Hause zurück
Aus der Kirche ausgetreten ist er aber nicht. „Und wenn ich mal sterben sollte, habe ich für meine Beerdigung noch einen evangelischen Pfarrer in der Verwandtschaft.“ Der hat ihn schon mal besucht, um ihn dazu zu bringen, wieder nach Hause zu kommen. Den Weg hätte er sich aber sparen können. „Ich gehe nicht zurück“, sagt Mirco Metjer.
Mit dem Alkohol hat er vor mehr als 20 Jahren aufgehört und gemerkt: Er braucht das nicht. Das Leben auf der Straße würde er höchstens eintauschen gegen einen Wohnwagen mit festem Stellplatz. Bisher ist dieser Traum noch nicht in Erfüllung gegangen.
Ausgangssperre? Darüber lacht er nur
Corona habe für ihn als Obdachlosen manchmal fast komische Züge. Mirco Metjer lächelt. „Was bedeutet für mich eigentlich der Begriff ,Ausgangssperre‘ oder die Vorschrift dass sich nur noch Angehörige von zwei Haushalten treffen dürfen? Und was ist mit mir?“
Und wenn es im Februar wieder richtig friert? Würde er dann wieder ein Angebot wie das des Küsters in Cloppenburg annehmen? „Ich weiß noch nicht“, sagt er, und es klingt ein bisschen wie „Vielleicht ja doch“.