Der neue Abt der Benediktinerabtei Gerleve über Führung, Nachwuchs, Internet und Latein

Abt Andreas: Fürs Kloster muss man schon ziemlich abgedreht sein

Abt Andreas Werner übernimmt die Leitung der Abtei Gerleve in schwierigen Zeiten. Was er mitbringt, wie es weitergehen soll und was Klosterleben mit Humor zu tun hat, sagt der neue Abt im exklusiven Interview mit "Kirche-und-Leben.de".

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Am Samstag haben die Mönche der Benediktinerabtei Gerleve (Kreis Coesfeld) einen neuen Oberen gewählt. Abt Andreas Werner übernimmt die Leitung der Abtei Gerleve in schwierigen Zeiten: die Bedeutung der Kirche schwindet, Nachwuchs fehlt, die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Was er mitbringt, wie es weitergehen soll und was Klosterleben mit Humor zu tun hat, sagt er im Interview. Die Abtsweihe spendet Bischof Felix Genn dem neuen Abt am 27. August - coronabedingt nur mit wenigen geladenen Gästen. "Kirche-und-Leben.de" überträgt den Gottesdienst live ab 9 Uhr.

Abt Andreas, als in Gerleve zuletzt 2006 ein Abt zurücktrat, wollte Ihre Gemeinschaft zunächst keinen Abt, sondern „nur“ einen Prior-Administrator wählen. Auch in anderen Klöstern wie etwa in Maria Laach haben sich die Gemeinschaften so entschieden. Warum hat Ihre Gemeinschaft direkt einen Abt gewählt?

Es gab im Konvent eine große Klarheit, jetzt einen Abt zu wählen. Ohne dass ich verbotenerweise Interna ausplaudere: Wir sind recht schnell zu einem Ergebnis gekommen. Auch das zeigt, dass es sehr stimmig war für unsere Gemeinschaft. 

Sie sind 69 Jahre alt – laut Ihrer Statuten muss ein Abt mit 70 Jahren zurücktreten. Also werden Sie nur ein Jahr Abt sein?

Es wäre in der Tat sogar noch etwas weniger. Mit 70 ist tatsächlich Schluss, dann muss eine Wahl stattfinden – wohl Mitte des nächsten Jahres. Es besteht dann die Möglichkeit, mich noch einmal für sechs Jahre zu wählen. Das wäre eine Option. Aber das wird man dann sehen. 

Warum ist es gut für die Menschen und Gemeinden im Bistum Münster, dass es Gerleve gibt?

Ein Gast hat mit einmal gesagt: „Sobald ich auf den Kloster-Parkplatz fahre, empfinde ich eine unglaubliche Ruhe.“ Wenn wir ein solcher Ort auch der geistlichen Unterstützung sein können, bin ich dankbar. Und außerdem sind wir hier in Gerleve einfach eine tolle Truppe. 

Was macht eine gute Führungspersönlichkeit aus – im Kloster, in der Kirche, aber auch in Firmen und Behörden?

Eine Führungspersönlichkeit muss ein Herz haben für die Leute, die nicht so im Licht stehen. Sie muss Begabungen entdecken können – bei den Einzelnen und bei der Gemeinschaft. Diese ihre Möglichkeiten gilt es zu fördern. Und ganz klassisch-benediktinisch ist natürlich das Hören wichtig, auch um letztlich Entscheidungen zu fällen. Irgendwann heißt es hüh oder hott, da ist Klarheit wichtig. Und dafür halte ich wache Kommunikation und gutes Netzwerken für unerlässlich. Das fehlt heute oft. 

Welche Begabungen bringen Sie mit? 

Ich glaube, dass ich eine Portion rheinischen Humor habe, den ich mir auch zu erhalten hoffe. Ich glaube, ich kann zuhören. Ich glaube, dass ich ein empathischer Mensch bin und dass ich – meinem Alter geschuldet – Erfahrung mitbringe.

Humor verbinden wohl die Wenigsten mit Klosterleben … 

Das ist wohl so. Ich fürchte, viele denken als Erstes daran, worauf man als Mönch alles verzichten muss – und dann fallen einem sofort mindestens 20 Sachen ein. Also müsse man tierisch ernst sein, sonst kriegte man das nicht geregelt. Aber wer einen von uns Mönchen ein kleines bisschen besser kennenlernt, der weiß, dass es selbst unter unseren westfälischsten Mitbrüdern viel zu lachen gibt. Und das sage ich als Rheinländer!

Seit der 100-Jahrfeier der Erhebung zur Abtei vor 16 Jahren ist Ihre Gemeinschaft statistisch jährlich um einen Mönch geschrumpft. Heute sind Sie noch 37 Brüder. Und in der gesamten 14-jährigen Amtszeit ihres Vorgängers hat sich kein neuer Bruder für immer an dieses Kloster gebunden. Was macht Gerleve falsch?

Abtei Gerleve in den BaumbergenUmgeben von viel Natur und den Baumbergen des Münsterlands liegt die Abtei Gerleve in der Nähe von Billerbeck (Kreis Coesfeld.) | Foto: Markus Nolte

Ich denke schon, dass sich jeder hier in Gerleve bemüht, authentisch als Mönch zu leben. Wir bilden natürlich auch die Situation der Gesellschaft, der Kirche, der demographischen Entwicklung ab. Bei dem Überangebot dafür, was man heute so aus seinem Leben machen kann – da muss man schon ziemlich abgedreht sein, um ins Kloster zu gehen. Mir fällt aber noch etwas anderes auf: Die beiden Klöster in unserer Kongregation, von denen ich sagen würde, dass sie blühende Klöster sind – nämlich Nütschau bei Hamburg und Marienrode bei Hildesheim –, diese Klöster liegen beide in der Diaspora. Womöglich bringt diese Situation eine ernstere und bewusstere Auseinandersetzung mit einem Leben im Kloster mit sich.

Sie beten in Gerleve Vesper und Komplet auf Latein. So richtig modern klingt das nicht …

Das ist eine Übereinkunft hier in der Gemeinschaft. Viele Mitbrüder schätzen den gregorianischen Choral und das Latein. Ich mag es auch, ohne dass ich darauf dogmatisch fixiert wäre. 

Vor kurzem hat die Abtei überraschend Schlagzeilen gemacht, als Sie wegen des Corona-Skandals bei Westfleisch in Coesfeld spontan Ihr Gästehaus für infizierte Mitarbeiter als Quarantäne-Quartier öffneten. Wie kann Gerleve mehr von sich reden machen?

Zentrum mönchischen Lebens: die Abteikirche von Gerleve mit dem Chorgestühl der Mönche.Zentrum mönchischen Lebens: die Abteikirche von Gerleve mit dem Chorgestühl der Mönche. | Foto: Markus Nolte

Indem wir das leben, was wir leben sollen. Das gilt auch für die Aufnahme der Westfleisch-Mitarbeiter. Denn darin drückt sich die Gastfreundschaft aus, die der heilige Benedikt als Wesenselement klösterlichen Lebens versteht. Aber ich finde es auch nicht wirklich schlimm, dass Gerleve nicht so bekannt ist wie Maria Laach. Allerdings haben wir uns im digitalen Bereich weiterentwickelt: In den letzten Monaten war etwa der „Corona-Blog“ von Pater Elmar und Pater Marcel auf unserer Homepage so beliebt, dass es die Texte jetzt sogar als Buch gibt. Und wir haben ja auch dank Ihrer Anregung angefangen, Vesper und Komplet täglich live zu übertragen – auf unserem Youtube-Kanal und auf „Kirche-und-Leben.de“. Da kann womöglich auch noch mehr geschehen – aber behutsam. Wir wollen ein Ort der Ruhe und des Gebets sein. 

Wie hat Gerleve die Corona-Krise erlebt? Wie geht es der Abtei wirtschaftlich?

Allmählich gehen unsere Betriebe wieder los, etwa was die Bildungs- und Exerzitienarbeit oder die Buchhandlung angeht. Unser Café boomt, Gott sei Dank. Aber es war schon sehr schwierig, und wir mussten an unsere Rücklagen gehen. Ich verhehle nicht, dass die Aufnahme der Westfleisch-Mitarbeiter uns einen Monat lang auch in finanzieller Hinsicht geholfen hat. Unsere Angestellten haben wir alle gehalten und das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent aufgestockt. Aber es bleibt schwierig, sodass wir auf die Unterstützung von außen, etwa durch das Bistum, angewiesen sind. Das macht mir Sorge.

Warum braucht die Kirche Mönche, während in den Gemeinden Priester fehlen?

Seien Sie froh, dass ich kein Pfarrer bin! Die meisten von uns sind hier eingetreten, weil sie Mönch werden wollten, nicht weil sie Priester werden wollten. Ich glaube im Übrigen, dass auch der Bischof nicht froh darüber wäre, wenn wir zwar fünf, sechs Gemeinden übernähmen, aber unsere Gemeinschaft dabei den Bach runterginge. Die Kirche braucht unterschiedliche Lebensformen – das macht sie aus. Jesus hat kein Mönchtum gegründet – aber Mönche verwirklichen einen Aspekt seines Lebens, nämlich den der Zurückgezogenheit und des Gebets. Andere verwirklichen seine Zuwendung zu den Armen und Leidenden, andere seine Verkündigung. Unsere Aufgabe ist es, schlichtweg zu sein – nicht, um eine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin hier, weil Gott mich hierher gerufen hat. Wir Mönche sind Menschen auf der Suche nach Gott. Dieses Lebensprogramm ist für manche Menschen sehr attraktiv. Ich bin einer davon. Wenn wir das einigermaßen glaubwürdig leben, bekommen das Menschen mit, kommen zu uns – und nehmen an unserer Suche teil.

Abtsbenediktion live auf "Kirche-und-Leben.de"
Münsters Bischof Felix Genn spendet Abt Andreas die Abtsbenediktion am 27. August 2020, dem Fest der Kirchweihe von Gerleve. Wegen der Corona-Regeln können nur wenige geladene Gäste an dem Gottesdienst teilnehmen. Die Liturgie wird jedoch ab 9 Uhr live von "Kirche-und-Leben.de" übertragen.

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