"Unreflektierter Leitungsstil“, "mangelnde Einsicht", "grenzverletzendes Verhalten"

Bischof Genn löst „Totus Tuus“ wegen geistlichen Missbrauchs auf

  • Bischof Felix Genn hat mit Dekret vom 4. November dem privaten Verein von Gläubigen „Totus Tuus“ die kirchliche Anerkennung entzogen.
  • Der Bischof begründet die Entscheidung mit geistlichem Missbrauch, personenfixiertem und unreflektiertem Leitungsstil und mangelnder Einsicht.
  • Der Entscheidung ist seit 2017 eine Phase der Visitation, Aufarbeitung und Entscheidungsfindung vorausgegangen.

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Der Münsteraner Bischof Felix Genn hat den Verein von Gläubigen „Totus Tuus Neuevangelisierung“ aufgelöst. Das teilt die Bischöfliche Pressestelle mit. In einem Dekret, das der Bischof am 4. November unterzeichnet hat, macht er deutlich, dass mit dieser Entscheidung „Totus Tuus“ („Ganz Dein“) kein nach dem Kirchenrecht anerkannter kirchlicher Verein mehr ist.

„Totus Tuus“ hatte 2007 von Genns Vorgänger Reinhard Lettmann (+2013) die Approbation erhalten. Mit der Zusage des Bischofs war der Verein auch überdiözesan kirchlich anerkannt. Demzufolge gilt auch der Entzug der Approbation durch Bischof Genn nicht nur im Bistum Münster, sondern generell.

 

Mitarbeit und Aktivität verboten

 

Nach einer Phase der Visitation, der Aufarbeitung und Entscheidungsfindung, die 2017 begonnen hat, legt Bischof Genn in dem Dekret nun fest, dass „Totus Tuus“ sich nicht länger als katholische Vereinigung bezeichnen darf. Mitarbeitern im pastoralen Dienst des Bistums Münster wird jede Mitwirkung oder Mitgliedschaft in „Totus Tuus“ untersagt. Der Vereinigung wird jede Form von Veranstaltungen oder Aktivitäten im Bistum Münster verboten.

Zur Begründung der Auflösung führt Genn in dem Dekret aus, dass „die Verantwortlichen in der Vereinigung ‚Totus Tuus‘ nicht willens, bereit und in der Lage sind, die im Bericht erkannten schwerwiegenden Mängel im geistlichen Umgang mit Mitgliedern dieser Gemeinschaft zum einen einzusehen und zum anderen die gravierenden Missstände auch abzustellen“. Engführungen und grenzverletzendes Verhalten sind nach Angaben der Bischöflichen Pressestelle nicht als solche identifiziert worden. Hinweise auf Straftaten oder sonstiges rechtliches Fehlverhalten seien nicht gefunden worden.

 

"Personenfixierter Leitungsstil"

 

In einem Schreiben, mit dem sich Genn am Tag vor der Unterzeichnung des Dekrets an die Mitglieder der Gemeinschaft gewandt hat, betont er, dass sich schwerwiegende Mängel insbesondere darin gezeigt hätten, dass Leitung und geistliche Begleitung in der Gemeinschaft nicht voneinander getrennt gewesen wären: „Durch einen personenfixierten und unreflektierten Leitungsstil wurde ein Klima begünstigt, das Spiritualität quantifiziert, Kritik zum Ausweis mangelnder geistlicher Reife erklärt und ein geschlossenes Elitedenken befördert hat.“

Der Bischof unterstreicht weiter: „Aufgrund der Visitationsergebnisse und nach eingehender Beratung bin ich zu der Einschätzung gelangt: Es kam in der Gemeinschaft Totus Tuus wiederholt zu Handlungen und Kommunikationsverhalten, die wir heute unter den Begriff geistlicher Missbrauch fassen. Die Gemeinschaft hat Strukturen und Verhaltensweisen entwickelt, die ein solches Handeln ermöglicht und gefördert haben.“

In den vergangenen Monaten habe sich zudem gezeigt: „Es fehlt an Einsicht in die Tragweite der Missstände.“ Genn betont: „Im Bistum Münster gibt es auch bei geistlichem Missbrauch, worunter ein grenzverletzendes Verhalten im seelsorglichen Kontext und ein spiritueller Machtmissbrauch in kirchlichen Gemeinschaften zu verstehen ist, eine Haltung der Null-Toleranz.“

 

Lange Phase der Aufarbeitung und Entscheidung

 

„Totus Tuus“ war von 2017 bis Herbst 2018 von Pfarrer Jochen Reidegeld und der Ordensfrau Schwester Birgitte Herrmann visitiert worden. Eine Visitation in diesem Sinn ist eine kirchenrechtliche Überprüfung der Gemeinschaft. Kritik von Mitgliedern an der Gemeinschaft wurde im Auftrag des Bischofs untersucht und Empfehlungen wurden ausgesprochen. Auf eine erste Untersuchungsphase folgte für die Gemeinschaft ein fast zweijähriger begleiteter Gesprächs- und Aufarbeitungsprozess, der mit einem Abschlussbericht im November 2020 endete.

Dieser Gesamtprozess wurde daraufhin ausgewertet. Eigentlich hatten Aufarbeitung und Entscheidung bereits vor einem Jahr enden sollen. Warum es dann so deutlich länger dauerte, begründet die an dem Prozess beteiligte Leiterin der Fachstelle Orden, Säkularinstitute, Geistliche Gemeinschaften, Birgit Klöckner, mit der Sorgfalt des Vorgehens und der Hoffnung auf Veränderungsbereitschaft in der Gemeinschaft. Der Entzug der Approbation sei als „letztes Mittel“ gesehen worden.

 

Was ist "Totus tuus"?

 

Die deutschlandweit aktive Gemeinschaft, die bisher unter der Aufsicht von Bischof Genn stand, hat nach eigenen Angaben heute 135 Mitglieder. Im Bistum Münster sind es weniger als 20 Personen, teilt die Bischöfliche Pressestelle mit; vor Bekanntwerden der Missstände seien es etwa zehn mehr gewesen. Trotz der relativ geringen Mitgliederzahl ziehe der Verein jedoch vor allem mit Angeboten von Wallfahrten und Camps jährlich Hunderte bis Tausende Jugendliche an, heißt es.

"Totus tuus" versteht sich vor allem der Neuevangelisierung verpflichtet. Der Name ("Ganz dein") steht für die Weihe an die Gottesmutter Maria und die Schriften des heiligen Ludwig Maria Grignion von Montfort (1673-1716). Impulsgeber für die Gründung waren Erlebnisse um kirchlich nicht anerkannte Marienerscheinungen in Medjugorje (Bosnien-Herzegowina).

Das Bistum Münster bittet Menschen, die von geistlichem Missbrauch betroffen sind, sich zu melden. Ansprechperson für Betroffene von geistlichem Missbrauch in der Gemeinschaft Totus Tuus oder in anderen katholischen Gemeinschaften ist Birgit Klöckner, Tel. 0251-495-17200, kloeckner(at)bistum-muenster.de. Den Mitgliedern von Totus Tuus wird empfohlen, das Gespräch mit einem Seelsorger des Vertrauens zu suchen, um persönliche Entscheidungen und Schritte klären zu können.

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