Anzeige
Sommer, 28 Grad, 19 Uhr, in einer Steinfurter Wohnsiedlung: Der Duft von Grillwürstchen liegt in der Luft, auf der Straße spielen Kinder, zwischen Planschbecken, Rasensprengern und Blumenbeten in den großen Gärten hinter den Häusern geht es lebhaft zu. Feierabendatmosphäre, wie sie jeder kennt. Auch im Garten von Monika und Alfred Hille ist einiges los. Nach und nach treffen die Gäste ein, darunter die Kinder und Enkelkinder von nebenan. Die Gartenparty könnte starten – tut sie aber nicht. Die Menschen sind gekommen, um Gottesdienst zu feiern.
„gottesdienst@garten“, heißt das Format, das seit zwei Monaten vom Pastoralteam der St.-Nikomedes-Pfarrei in Steinfurt angeboten wird. Die Corona-Pandemie war der Impuls für die Idee. Wenn Gottesdienste nur unter Auflagen stattfinden können, wird es schwer, allen einen Besuch zu ermöglichen. 15 Mal ist ein Seelsorger aus dem Team bereits gebucht worden. Mal für einen Wortgottesdienst, mal für eine heilige Messe – im Garten, im Wohnzimmer oder in der Küche.
Improvisation und viel Erfahrung
„Wer hält die Lesung?“, fragt Pfarrer Jochen Reidegeld. „Freiwillige vor!“ Die Vergabe der Aufgaben ist kein Problem. Die Gruppe, die zusammengekommen ist, ist aus einem Familienkreis vor fast 50 Jahren entstanden. Ehrenamt in der Pfarrei, Arbeit im Liturgiekreis, gemeinsame Pilgerfahrten – Gottesdienstgestaltungen in außergewöhnlicher Umgebung ist nichts Neues. „Ich merke schon, hier ist gibt es jede Menge Erfahrung.“ Der Lektor ist schnell gefunden, die kleine Glocke für das Läuten während der Wandlung schnell vergeben, die gerissene Seite auf der Gitarre noch schnell gewechselt.
Alles andere steht schon bereit. Die Tische sind am Nachmittag auf die Terrasse geschleppt worden. Mit Blick auf die dunklen Wolken am Horizont ein zusätzliche Pavillon aufgebaut worden. Für den Blumen- und Kerzenschmuck hat sich Monika Hille etwas einfallen lassen. „Einweckgläser mit Sand aus dem Sandkasten der Enkel“, sagt sie. Dazu bunte Gartenpflanzen: „Alles was gerade so blüht.“
Predigt im Dialog
Reidegeld hat seinen schwarzen Koffer mittlerweile ausgepackt. Hostienschale, Kelche, Wasser, Wein, Hostien, Lektionar… Das weiße Spitzendeckchen dagegen kommt aus der Esszimmerschublade der Hilles, das Tischkreuz aus ihrem Wohnzimmerschrank, die Osterkerze vom Esstisch. Der Pfarrer nimmt auf dem Gartenstuhl am Ende der langen Tafel Platz, direkt vor den roten Geranien. Aus einer Kühlbox wird kaltes Wasser serviert. Dann kann es losgehen.
„Wir wollen mal sehen, ob wir mit unserem Gesang die Laube hier zum Wackeln bringen“, sagt Reidegeld noch. Dann greift der Gitarrist am anderen Ende des Tisches in die Saiten. Die Liste der Lieder liegt auf dem karierten Papier vor ihm, jeder hat sein Gotteslob dabei. Nicht nur das Singen ist lebendig, der ganze Gottesdienst lebt von einer besonderen Teilnahme aller. Die Predigt geschieht im gemeinsamen Gespräch. „Liebt einander – was geht da durch eure Köpfe?“, fragt der Pfarrer. „Wir haben mit der Pandemie alle ein gleiches Problem und sollten deshalb wieder zur Nächstenliebe zurückkehren“, ist eine Antwort. „Gerad jetzt sollten wir allen überflüssigen Hass stoppen“, eine andere.
Schlusslied ist noch nicht das Ende
In dem Gartenhäuschen neben dem Pflaumenbau wir dann Eucharistie gefeiert. Einige Wespen schwirren umher. Reidegeld verscheucht sie mit einer sanften Handbewegung. „Auch ihr seid Geschöpfe Gottes“, sagt er lächelnd. Einen Garten ohne die Insekten gibt es derzeit ohnehin nicht.
Nach dem Schlusslied bleiben sie sitzen. „Ich könnte noch stundenlang weiter so Gottesdienst feiern“, sagt Monika Hille. Sie feiern anders weiter. Während Reidegeld seinen Koffer wieder packt, kommen wieder kühle Getränke auf den Tisch. Es wird gesellig, die Enkelkinder spielen vor dem Pavillon Fußball. „Eigentlich hätten wir das Angebot gar nicht nötig“, ist die einhellige Meinung. „Wir sind am Sonntag ohnehin alle wieder im Gottesdienst in der Kirche.“ Einig sind sie alle aber auch, dass sie das Projekt noch möglichst oft nutzen wollen. „Eine super Idee, total schön, richtig innig…“
Pastoralteam will umdenken
Das Pastoralteam will das Angebot aufrecht halten, sagt Reidegeld. „Länger, als die Pandemie dauern wird.“ Er blickt dabei auf die Zeiten vor Corona: „Da haben wir uns in der Kirche doch mit vielem schwer getan – wir sollten die jetzige Krise nutzen, um umzudenken.“ Das Erleben der Gemeinschaft sollte in seinen Augen neu gestaltet werden: „Nicht auf die Teilnehmer-Zahlen schauen, zusammenrücken zu einer erlebbaren Größe, Glauben in die persönlichen Räume holen…“ Natürlich sei das erst einmal ein größerer Aufwand, aber „vielleicht können wir am Ende auf einen Regelgottesdienst verzichten, um zwei oder drei Mal in großer Nähe vor Ort zu feiern“ sagt er. Dann packt er sein liturgisches Gewand ein und geht mit den Kindern noch etwas Fußball spielen.