Zentralrats-Chef fordert Staat zum Handeln auf

Judenhass-Fälle in Deutschland vervierfacht - Unis sind No-Go-Areas

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Jüdinnen und Juden in Deutschland sind auch in ihrem unmittelbaren Umfeld massiv gestiegenem Antisemitismus ausgesetzt. Ein neuer Bericht legt Zahlen vor. Diese seien „erschreckend“, so der Zentralrat der Juden.

Seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober ist in Deutschland die Zahl judenfeindlicher Vorfälle drastisch gestiegen. 29 antisemitische Vorfälle pro Tag und ein Anstieg von 320 Prozent – das ist das Ergebnis eines neuen Berichtes zu Judenhass in Deutschland nach dem Massaker der Hamas in Israel. Bis zum 9. November registrierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) bundesweit 994 Vorfälle mit Bezug zu den Hamas-Massakern, wie aus dem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Bericht hervorgeht. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte die massive Zunahme an Antisemitismus „erschreckend“.

Demnach waren es durchschnittlich 29 Vorfälle pro Tag. Es handele sich um einen Anstieg von 320 Prozent zum Jahresdurchschnitt von 7 Vorfällen am Tag im Jahr 2022. Den Meldestellen des Verbandes werden auch Ereignisse gemeldet, die keine Straftaten sind. Das Aufkommen an Meldungen sei anhaltend hoch, hieß es. Berichtet werde vermehrt von Vorfällen an Orten des Alltags wie Nachbarschaft, Arbeitsplatz und Hochschulen.

Angst vor Antisemitismus in Hochschulen

„Besonders verunsichernd sind Vorfälle im Wohnumfeld“, so Rias. Gemeldet worden seien 59 solcher Vorfälle. Der Verband nannte ein Beispiel: „In Gießen drangen zwei Männer gewaltsam in die Wohnung eines Israelis ein, um eine aus dem Fenster gehängte Israelflagge zu entfernen.“

Vermehrt werde an Hochschulen antiisraelische Propaganda verbreitet: Schmierereien, Versammlungen und Flyer. Insgesamt wurden laut Rias 37 antisemitische Vorfälle an Hochschulen dokumentiert. Jüdische Studierende berichteten, dass sie für das Verhalten Israels verantwortlich gemacht würden – und mieden daher die Hochschule.

„Wenn jüdische Studierende dem Campus aus Sorge vor antisemitischen Erfahrungen fernbleiben, sind ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, aber auch die Hochschulleitungen und organisierten Studierendenschaften in der Pflicht, mit aller Konsequenz gegen Antisemitismus vorzugehen“, forderte der Geschäftsführer des Rias-Bundesverbandes, Benjamin Steinitz.

Desinformation mobilisiert Antisemiten

Zentralratspräsident Josef Schuster sagte in einem Interview der „Welt“ (Dienstag online): „Dass gerade Orte wie Universitäten, die sich für besonders zivilisiert halten, teilweise zu No-Go-Areas für Jüdinnen und Juden werden, gibt ein trauriges Bild ab.“

Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Hanna Veiler, nannte die Zahlen erschreckend, aber nicht verwunderlich: „Junge Jüdinnen und Juden berichten seit dem 7. Oktober ununterbrochen, wie stark der Antisemitismus, den sie in ihrem alltäglichen Leben wahrnehmen, vor allem im universitären Kontext, zugenommen hat.“

Im Auswertungszeitraum wurden laut Bericht 177 antisemitische Versammlungen erfasst. „Die Verbreitung von Desinformation trägt zur Mobilisierung bei: Nachdem eine ungeprüfte Meldung über einen angeblichen Angriff der israelischen Armee auf das Al-Ahli-Krankenhaus am 17. Oktober verbreitet wurde, verdoppelte sich die Zahl antisemitischer Versammlungen zur Vorwoche auf 61“, hieß es.

Schuster ruft Staat zum Handeln gegen Judenhass auf

Der Rias-Bundesverband ist der Dachverband seiner Meldestellen in mehreren Bundesländern. Wer Antisemitismus erlebt oder Zeugin beziehungsweise Zeuge wird, kann sich an diese Stellen wenden. Diese erfassen bundesweit judenfeindliche Vorfälle und vermitteln Betroffenen Unterstützung. In den Bericht flossen den Angaben zufolge Vorfälle aus dem ganzen Bundesgebiet und von Meldestellen in elf Bundesländern ein.

Das Bundeskriminalamt hatte seit dem Terrorangriff bis Mitte November bundesweit rund 3.300 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Konflikt erfasst. Dabei handelt es sich Medienberichten zufolge vor allem um Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Widerstandsdelikte.

Schuster rief zu entschiedenem Handeln gegen Judenhass auf: „Der Weg eines durchsetzungsfähigen, wehrhaften Rechtsstaates muss weiter vehement beschritten werden.“ Schuster fügte hinzu: „An einigen wichtigen Stellschrauben wurde bereits gedreht, aber mir fehlt der geeinte Ansatz gegen Israelfeindlichkeit und Judenhass auf deutschen Straßen.“

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