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Ein gelöschtes Video, Kirchenkrise und Verharren statt Aufbruch: Die Pfarrei St. Agatha Mettingen ringt um ihre Zukunft. „Wohin geht die katholische Kirche?“, war ein Abend im Rahmen der Dialogkampagne #lassunsreden überschrieben. Kreisdechant Reidegeld forderte: „Überwinden sie den katholischen Reflex nach Rom zu schauen und machen sie sich auf den Weg.“
Auch wenn das Podiumsgespräch mit Kreisdechant Jochen Reidegeld, leitender Pfarrer aus Steinfurt-Borghorst, schon lange geplant war, aktueller hätte der Anlass im Rahmen der Dialogkampagne „#lassunsreden“ des Kreisdekanats Steinfurt kaum sein können. Mit „Wohin geht die katholische Kirche?“ war dieser Abend der Pfarrei St. Agatha Mettingen überschrieben.
„Das Thema scheint zu interessieren“, sagte der Pfarreivorsitzende Sebastian Laube in dem frisch renovierten Pfarrheim zur Begrüßung der rund 50 Zuhörer, darunter auffallend viele U50-Teilnehmende. Sie erlebten einen aufmerksamen Kreisdechanten, der sich den Fragen und Statements der Zuhörer stellte.
Blutgrätschen gegen „Segen für alle“
Als Moderator hatte Laube Winfried Vonstein gewinnen können. Der ehemalige Bundestrainer der deutschen Leichtathleten schlug einen Bogen zum Sport und stieg gekonnt locker, aber mit beständiger Hartnäckigkeit ins Gespräch mit Reidegeld ein: „Katholische Christen trauen dieser Kirche nichts mehr zu, es besteht wenig Interesse etwas zu verändern, und wenn doch, folgt eine Blutgrätsche aus Rom oder aus Köln.“
Eine dieser „Blutgrätschen“ hat die Pfarrei just selbst erlebt: Wie Vonstein ausführte, war ein Video von elf Mettinger Gruppen, Verbänden und Einzelpersonen erst von der Homepage der Pfarrei gelöscht worden, um nun wieder darauf zu erscheinen. In dem Video, das an diesem Abend auch abgespielt wurde, solidarisieren sich Mettinger mit Plakaten, musikalisch unterlegt von dem Lied „Der Herr wird dich mit deiner Güte segnen“, mit homosexuellen Paaren, die sich kirchlichen Segen wünschen. Ein Wunsch, dem Reidegeld bereit ist zu entsprechen: „Wenn zwei Menschen, die einander lieben, um einen Segen bitten, bin ich dann der, der sagt, ihr liebt euch aber nicht richtig?“
Grundsätzlich stießen in den großen Fragen nach einer zeitgemäßen Kirche, die die Menschen in ihrem Alltag begleitet, und auf die der Prozess des Synodalen Weges in verschiedenen Foren Antworten zu finden versucht, ein tradierter, aus Kirchengeschichte gewachsener, und ein dialogischer Wahrheitsbegriff aufeinander, führte Reidegeld aus.
Reidegeld spricht sich für Weihe von Frauen aus
Es kam alles auf den Tisch: Pfarrer Jochen Reidegeld beim Gesprächsabend im Rahmen der Dialogkampagne #lassunsreden des Kreisdekanats Steinfurt in Mettingen. | Foto: Marie-Theres Himstedt
Vonstein, der sich akribisch vorbereitet hatte, gelang die Überleitung zu der Frauenfrage, bei der sich Reidegeld mit dem Lengericher Sozialpfarrer Peter Kossen solidarisierte. Dieser hatte sich auf der kreisweiten Versammlung zu den Pastoralen Räumen in Neuenkirchen vor wenigen Wochen für die Weihe von Frauen ausgesprochen. Darüberhinaus sei Kirche „ja viel, viel mehr als ihre Binnendebatte“, fügte Vonstein in Bezug auf Einrichtungen wie Kindergärten oder Beratungsstellen an, und Reidegeld pustete sichtlich ehrlich durch: „Mich nervt, dass wir so stark um uns selbst kreisen und Zeit verloren geht, die frohe Botschaft zu leben und zu verbreiten.“
Zeit, die Kirche nicht mehr hat: „Sollte sie sich nicht ändern, spricht die Kirche ihr Urteil selbst“, so Reidegeld. „In bestimmten Verantwortungsetagen glaubt Kirche, Sicherheitsbanden aufstellen zu müssen, damit die Gläubigen den rechten Weg nicht verlassen.“ Diese Bevormundung müsse hinterfragt werden, so Reidegeld: „Laien, wie Kleriker haben die Sehnsucht, das Evangelium zu leben und zu verkünden.“ Es sei eine Chance der Kirchenkrise, dies zu erkennen.
Mettinger ringen um Zukunft
„Segen für alle“-Film
Hier finden Sie den Kurzfilm als Zeichen der Solidarität mit homosexuellen Paaren, die sich einen kirchlichen Segen wünschen, aus der Pfarrei St. Agatha Mettingen.
In Mettingen sehen sich Mitglieder der Pfarrei vor großen Herausforderungen: „Wer lebt uns das Pastorale vor, wenn wir keinen Pastor mehr bekommen, aufgrund des Priestermangels?“, lautete eine Frage. Derzeit ist die Stelle des leitenden Pfarrers vakant.
„Wie sollen wir damit umgehen, wenn Frauen vor dem Evangelium predigen? Wenn wir etwas ändern wollen, kommt das Totschlagargument, Rom sei dagegen“, sagte eine Teilnehmerin. „Wir sitzen hier, weil wir etwas verändern wollen, kommen aber in der Diskussion nicht weiter“, fügte eine andere an. „Bleiben Sie dran, bleiben Sie hartnäckig“, bat Reidegeld und verwies auf den Pastoralplan der Pfarrei, der zeige, dass sich die Menschen hier ja bereits auf den Weg gemacht hätten. „Überwinden Sie den katholischen Reflex, immer nach Rom zu schauen, und gehen Sie weiter miteinander ins Gespräch.“
„Kirche wird vor Ort gestaltet“, nahm Sebastian Laube abschließend mit. Den Mut dazu bekamen die Teilnehmer durch den offenen, wertschätzenden Austausch mit vielen Wortbeiträgen aus dem Publikum an diesem Abend in jedem Fall vermittelt.