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Das Erstarken der AfD und damit rechtsradikaler, rassistischer und antidemokratischer Positionen in Deutschland beunruhigt. Wie ernst ist die Situation? Wie widerstandsfähig die Gesellschaft? Was kann die Kirche tun? Kirche-und-Leben.de fragt in einer Themenwoche kluge Köpfe nach ihrer Einschätzung. Jeden Tag. Heute: Liane Bednarz, Juristin und Publizistin.
Frau Bednarz, in bundesweiten Wahlumfragen landet die AfD bei mehr als 20 Prozent. Zugleich sieht der Verfassungsschutz klar rechtsextreme Positionen in der AfD. Wie gefährlich ist die Situation?
Sehr gefährlich. Erstens hat die AfD Zulauf, weil die Ampel-Parteien im Bund – Stichwort Heizungsgesetz – handwerkliche Fehler machen und zu wenig vermitteln, wie die Politik mit anstehenden Problemen umgehen will.
Zweitens fällt die CDU vielfach als Opposition aus, die bessere Lösungsansätze vorlegen müsste. Stattdessen erklärt sie die Grünen zum Hauptgegner, verkämpft sich in ideologischen Debatten – Stichwort Gendern – und zahlt so auch auf das AfD-Konto ein.
Drittens verfängt die Erzählung, Regierung und Opposition setzten Konzepte „am Volk vorbei“ um. In der Corona-Pandemie wurden Einschnitte mit dem „Ermächtigungsgesetz“ der Nazis verglichen, von einer Art Diktatur in Deutschland war und ist die Rede. Die AfD versteht es, die Wut zu steigern und sich Probleme zunutze zu machen.
Vielen AfD-Wählern in Ostdeutschland scheint egal, dass der Verfassungsschutz die Partei beobachtet. Ist die Stabilität der Demokratie bedroht?
Die Handlungen des Verfassungsschutzes erfolgen in der Sache zu Recht, sie bedienen aber das AfD-Narrativ, er sei ein „Regierungsschutz“. AfD-Sympathisanten sagen dann: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Und durch Wahlerfolge in Kommunen und Kreisen erleben sie gerade, dass eine Stimme für die AfD eine reale Machtoption ist. Vielleicht nicht, weil es Parlamentsmehrheiten für die Partei gibt. Aber, weil die demokratischen Kräfte zu Minderheitsregierungen und instabilen Koalitionen gezwungen werden, ein Land damit unregierbar wird.
Wie lassen sich AfD-Anhänger zurückholen?
Liane Bednarz ist Juristin und Publizistin. In Büchern, Kolumnen, Vorträgen und auf Podien analysiert sie rechte Strömungen in Gesellschaft und Kirche. Entwicklungen unter Christen nimmt beispielweise ihr Buch "Die Angstprediger" in den Blick.
Durch harte Auseinandersetzungen in der Sache. Die CDU müsste die Ampel konstruktiv auseinandernehmen, nicht nur mit ideologischen Schlagworten. Auch die oberlehrerhafte Attitüde von Bundespräsident Steinmeier ist nicht hilfreich, wenn er sagt, es gebe keine mildernden Umstände für Menschen, die „sehenden Auges politische Kräfte“ stärken, „die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen“. Das macht die Leute nur noch trotziger.
Wie erreicht man rechte Sympathisanten?
Die AfD hat längst eigene Kanäle, etwa in den Sozialen Medien und bei Youtube. Es ist ein großer Fehler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Partei übermäßig auszugrenzen. Er müsste führende Kräfte einladen, hart konfrontieren, Verschwörungsmythen und rechte Ideologie öffentlich machen.
Das würde trotz der eigenen rechten Medienkanäle die Klientel durchaus erreichen. Die AfD will ja gesellschaftlich anerkannt werden. Ihr Umfeld ist regelmäßig elektrisiert, wenn AfD-Politiker in große Talkshows eingeladen sind.
Auch in der katholischen Kirche gibt es restaurative, konservativ-abgrenzende Tendenzen. Welche Überschneidungen dieser Klientel mit der AfD sehen Sie?
Ich sehe drei. Erstens das Thema Abtreibung und Lebensschutz. Während die CDU dies vernachlässigt, positioniert sich die AfD. Allerdings völkisch konnotiert, wenn sie behauptet, mehr deutsche Kinder würden Massenzuwanderung überflüssig machen.
Zweitens die Diskussion über Homosexualität und Gender. Selbst der katholische Katechismus wendet sich ja trotz der Ablehnung homosexueller Handlungen gegen Diskriminierung. Die Grenze ist überschritten, wenn Rechte behaupten, eine „Homo-Lobby“ wolle eine „Gender-Agenda“ umsetzen und die Gesellschaft „geschlechtsneutral umerziehen“.
Drittens geht es um den Islam. Rechte Kreise sprechen von Synkretismus und unterstellen, Allah werde mit dem christlichen Gott gleichgesetzt. Das ist nicht der Fall. Die Kirchen betonen lediglich, es brauche Dialog.
Trotz der Berührungspunkte bekommt die AfD im katholisch geprägten Münsterland bisher keinen Fuß auf den Boden. Warum?
Wer „gut katholisch“ ist, ist weniger anfällig für rechte Tendenzen, das Völkische und Ausgrenzende ist Katholiken fremd. Im Osten fehlt diese Kirchenbindung. Da spielen sich Konservative unter Missbrauch des Katechismus zu „Verteidigern des Abendlands“ auf.
Aber die Kirchenbindung lässt nach, auch in den westlichen Ländern.
Das ist ein Anlass zur Sorge. Selbst der nicht-gläubige Linke Gregor Gysi sagt, eine „gottlose Gesellschaft“ hätte „verheerende Folgen“. Ich fürchte, wenn die Bindung an christliche Werte nachlässt, schwindet die Rücksicht auf die Gemeinschaft, der Individualismus und die Konzentration auf die eigenen Probleme würden stärker.
Wie widerstandsfähig sehen Sie die deutsche Gesellschaft?
Aus der geschichtlichen Erfahrung sollte sie widerstandsfähig sein, aber die politische Brandmauer wird löchrig. Es hilft nicht, AfD-Wähler zu verteufeln, es gibt sie nun mal. Es braucht Geduld, ihnen immer wieder zu erklären, wo die Grenze zwischen „gut konservativen“ und rechtsradikalen oder gar extremen Positionen verläuft. Vielleicht kennen auch Sie so jemanden in Ihrem Umfeld. Es braucht mühevolle Kleinarbeit, jeden Einzelnen zurückzuholen.