Themenwoche "Rechtsruck in Deutschland" - Was unsere Gesellschaft jetzt braucht (2)

Stetter-Karp: AfD-Mitglieder dürfen kein kirchliches Laien-Amt bekommen

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Das Erstarken der AfD und damit rechtsradikaler, rassistischer und antidemokratischer Positionen in Deutschland beunruhigt. Wie ernst ist die Situation? Wie widerstandsfähig die Gesellschaft? Was kann die Kirche tun? Kirche-und-Leben.de fragt in einer Themenwoche kluge Köpfe nach ihrer Einschätzung. Jeden Tag. Heute: Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp.

In aktuellen Umfragen landet die AfD bei 21 Prozent und damit auf Platz zwei der Parteien im Bundestag. Zugleich sieht Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldewang klar rechtsextreme und verfassungsfeindliche Positionen in der AfD. Wie gefährlich ist diese Situation?

Sie ist gefährlich. Wer genau hinschaut, muss seit einiger Zeit beobachten, dass nicht nur die populistischen einfachen Antworten auf komplexe Herausforderungen verfangen, sondern auch das Vertrauen in demokratische Parteien und Prozesse Schritt für Schritt ausgehöhlt wird. 2024 wird mit der Europawahl und den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein Lackmustest werden, ob die Saat der rechten Kräfte aufgeht. Alle demokratischen Parteien sind jetzt aufgefordert, den Wettbewerb um das Vertrauen in der Bevölkerung aktiv anzugehen und eine Regierungsbeteiligung der AfD tatkräftig zu verhindern.

Manche sprechen von einer erschöpften Gesellschaft: Corona, Krieg und Klima, Flüchtlingsbewegungen und Wirtschaftsflaute setzen den Menschen zu. Ein idealer Nährboden für eine schleichende Radikalisierung der Gesellschaft?

Die These einer erschöpften Gesellschaft teile ich nicht. Wir können zufrieden sein, wie Deutschland im internationalen Vergleich die Pandemie bewältigt hat und im Vergleich zu den Ländern des Südens tragen wir bezüglich Kriegs- und Klimafolgen relativ gesehen bisher die kleineren Lasten. Ist es nicht typisch, dass oft gerade dort Fremdenhass propagiert wird, wo relativ gesehen wenige Migranten leben? Vielmehr scheint mir, dass die Herausforderungen in der Zukunft Menschen Angst machen und der notwendige Transformationsprozess die Gräben zwischen denen vertieft, die den Wandel mitgestalten und denen, die einfach alles kurz und klein schlagen wollen: die Europäische Union, die Demokratie, unsere sozialen Errungenschaften, die Regeln des Miteinanders in unserer Gesellschaft. Es ist ein Programm der Zerstörung, das die AfD kennzeichnet. Es geht nicht einfach nur um die Beschwörung des Gestern.    

Auch in der CDU werden vermehrt AfD-nahe Positionen geäußert, etwa in der Flüchtlingspolitik. Wie passt das zum C im Parteinamen?

Das passt nicht zum Bekenntnis einer christlichen Union. In der Flüchtlingsfrage ist die katholische Kirche weltweit klar profiliert. Fremdenfeindlichkeit und christliche Werte: Das geht nicht zusammen. Deshalb appelliere ich an die Landesverbände der Partei, sich in den kommenden Wahlkämpfen nicht anzubiedern.  

Der Katholikentag 2024 wird in Erfurt stattfinden, wenige Monate später sind Landtagswahlen in Thüringen – mit dem rechtsradikalen Björn Höcke als Vorsitzendem der AfD. Wie wohl fühlen Sie sich bei dem Gedanken, dort den Katholikentag stattfinden zu lassen?

Ich freue mich auf die Chance, uns mit vielen Menschen guten Willens, mit interessanten Gästen aus aller Welt den Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft zu stellen. Wir wollen um gute, tragfähige Lösungen miteinander im Gespräch  ringen, unseren Glauben  feiern und unserer Hoffnung in vielfältigen Formen Ausdruck verleihen. Es ist gut und richtig, dass wir uns für Erfurt entschieden haben, denn wir sollten unser Licht als Christen nicht unter den Scheffel stellen und es spricht nichts dagegen, gerade die Marktplätze zu betreten, wo rechte Stimmen laut geworden sind.

Positioniert sich die katholische Kirche deutlich genug zu diesem Rechtsruck?

Nein, da ist jenseits von bestimmten Anlässen und einzelnen profilierten Stimmen Luft nach oben. Das gilt für Bischöfe ebenso wie für Laienorganisationen und Verbände. Bei einer Dialogreise in Polen und auch bei Gesprächen in Zwickau und Dresden in den vergangenen Monaten rund um die Verleihung des Katholischen Preises gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wurde mir besonders bewusst, wie rechte Kräfte eine Gesellschaft zu spalten verstehen, wie Hetze und Diskriminierung ineinandergreifen. Wir dürfen nicht wegsehen, sondern müssen genau hinschauen.

Welche Durchschlagskraft hat die katholische Kirche angesichts ihres Relevanzverlusts in dieser Frage gesamtgesellschaftlich noch?

Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche hat durch den Missbrauchsskandal massiv gelitten. Dennoch können und dürfen wir uns nicht aus der Pflicht nehmen. Immer noch gehören über 20 Millionen Menschen in Deutschland der katholischen Kirche an. Dabei geht es nicht nur um die öffentliche Stimme. In den katholischen Kitas und Schulen, in Gemeinden und Verbänden, in der Jugend- und Bildungsarbeit und in der Caritas, an vielen Orten kann und wird etwas für den Zusammenhalt in der Gesellschaft getan. Christinnen und Christen müssen Rassismus eine klare Absage erteilen. Und sie tun es, an vielen Orten, auf vielen Handlungsfeldern.

Dürfen Ihrer Meinung nach AfD-Mitglieder Laien-Ämter in der katholischen Kirche wahrnehmen?

Nein. Der Verfassungschutz führt die AfD im neuen Jahresbericht im Juni 2023 als rechtsextremistischen Verdachtsfall auf. Mit Gründen. Die Partei ist im Verlauf der Jahre immer weiter nach rechts gerückt. Und es ist  eindeutig, dass antisemitische, rassistische,  menschenverachtende Haltungen und Äußerungen keinen Platz in einer katholischen Organisation haben. Rechtlich entscheidend sind hier allerdings die jeweiligen Satzungen und Wahlordnungen. Wenn AfD-Mitglieder als Mandatsträger:innen kandidieren, muss deshalb geprüft werden, ob eine solche Kandidatur abgelehnt werden kann. Es ist das absolute Minimum, ein Bekenntnis zu christlichen Werten und zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gezielt abzuprüfen und eine Wahl an dieses individuelle Bekenntnis zu binden, sodass bei einer Zuwiderhandlung eine Abwahl begründet werden kann. Im Kern ist die Unvereinbarkeit von AfD-Mitgliedschaft und Übernahme eines kirchlichen Amtes der Maßstab. Ein aktives Eintreten für die AfD widerspricht den Grundwerten des Christentums.

Auch in der katholischen Kirche gibt es deutliche restaurative Tendenzen mit einem Hang zu einem klar konservativ-abgrenzenden Profil, Experten sprechen auch hier von einem Rechtsruck. Welche Überschneidungen dieser konservativ-katholischen Klientel mit AfD-Positionen sehen Sie?

Die Überschneidungen sind leider nicht zu übersehen. Restaurative Positionen sind in den letzten Jahren in der katholischen Kirche lauter und schriller geworden. Das Ausmaß an plumper Vereinfachung, die Zementierung des Althergebrachten, die Verweigerung, sich Fragen der Zeit ernsthaft zu stellen und die Hetze von rechts haben erkennbar zugenommen. Bereits in den ersten Jahren der AfD musste ich erkennen, dass gerade in familienpolitischen Fragen ein Einfallstor gegeben war. Wegen meines beruflichen Engagements in der Förderung Unter-Dreijähriger in der Kitapolitik habe ich einen ersten Shitstorm und Rücktrittsforderungen erlebt. Ein zweites Themenfeld, auf dem sich Rechtskatholik:innen tummeln, sehe ich in der Abwehr von Demokratie und Gewaltenteilung. Ich halte es für einen eklatanten politischen Fehler, dass auch der Vatikan demokratische Kernprinzipien für die Klärung innerkirchlicher Fragen nicht gelten lässt, ja wiederholt abgelehnt hat und damit mittelbar die Demokratie abwertet.

Sie selber haben Bedrohungen und massive Anfeindungen aus dieser Klientel erfahren. Was hat sich dadurch für Sie geändert, wie schützen Sie sich?

Ich bin mir durch die persönlich verletzenden Angriffe bewusster darüber geworden, wie viele Menschen mit Hass leben. Mein Blick auf die gesellschaftliche Realität ist nüchterner geworden. In meinen inhaltlichen Überzeugungen hat sich nichts geändert. Doch ich bin zurückhaltender, als ich ohne diese Erfahrung wäre: So würde ich mich nicht privat in den sozialen Medien bewegen. Ich schütze mich im Gebet und ganz praktisch auch dadurch, dass ich täglich in den Wald gehe.

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