Ursula Nothelle-Wildfeuer über AfD-Erfolge, Friedrich Merz und konservative Gläubige

Sozialethikerin: Vergleichbarer Rechtsruck in Gesellschaft und Kirche

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Die AfD, die sich ab morgen in Magdeburg zum Bundesparteitag trifft, ist im Umfrage-Hoch, CDU-Chef Friedrich Merz irritiert mit Kooperations-Aussagen. Auch in der Kirche laufen konservative Kreise Sturm gegen Reformen. Welche Gründe hat das? Was lässt sich dagegen tun? „Kirche-und-Leben.de“ hat Ursula Nothelle-Wildfeuer gefragt. Die Theologin ist Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

Frau Nothelle-Wildfeuer, in Wahlumfragen legt die AfD zu, in der Kirche gibt es aus konservativen Kreisen teils heftige Kritik an Reformen. Driften Ihrer Einschätzung nach Gesellschaft und Kirche in ähnlicher Weise nach rechts außen?

Ich meine, dass es einen vergleichbaren Ruck nach rechts gibt. In der Kirche sehe ich das Erstarken der Tradition nicht in dem Sinn, das „Feuer“ weiterzutragen, sondern sich gegen jede Veränderung zu wehren und das Alte zu zementieren. Gesellschaftlich – und das gilt auch kirchlich – sehe ich die Gründe in der Komplexität der Herausforderungen unserer Zeit. Es gibt eine Sehnsucht nach alten Zeiten und einfachen Antworten, um die sich stellenden drängenden Fragen übersichtlich zu halten.

In der Kirche wird reformorientierten Kräften immer wieder fehlende Rechtgläubigkeit unterstellt. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, spricht von Hass, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft (KFD), Agnes Wuckelt, hat zwei Morddrohungen erhalten …

Ursula Nothelle-WildfeuerUrsula Nothelle-Wildfeuer ist Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg. | Archivfoto: Reiner Zensen (Imago)

In der Kirche kommt noch ein Motiv zu den genannten hinzu: Es gibt eine Entwicklung weg vom Zweiten Vatikanischen Konzil, das auf den Menschen und seine Würde geschaut hat, hin zum Festhalten an einer abstrakten Wahrheit. Wer sich im Besitz dieser Wahrheit glaubt, verurteilt Andersdenkende als Häretiker. Diese Menschen übersehen aber, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat und es auch in der Kirche einen Diskurs braucht, den sie aber verweigern. Mehr noch: Wer meint, die letztgültige Wahrheit zu haben und zu verteidigen, der denkt womöglich auch, dabei sei jedes Mittel recht.

CDU-Chef Friedrich Merz hat in einer später zurückgenommenen Äußerung eine Kooperation von CDU und AfD im Kommunalen angedeutet. War das eine missverständliche Formulierung oder ein „Versuchsballon“?

Das kann ich nicht letztlich beurteilen. Ich bin allerdings im Zweifel, ob ihm bei einer Frage von so fundamentaler Bedeutung eine Bemerkung einfach so „durchrutscht“. Es scheint, als habe er testen wollen, welche Reaktionen es gibt und ob man bestehende Grenzen ausdehnen kann. Natürlich wird es vorkommen, dass die AfD mit den demokratischen Parteien zum Beispiel auf kommunaler Ebene bei Sachfragen abstimmt, das wird man nicht verhindern können. Aber mit Hilfe der AfD für eigene Anliegen Mehrheiten zu organisieren, das wäre eine Form der Kooperation, die nach meinem Verständnis nicht möglich ist.

Nicht alle AfD-Wähler seien faschistisch, aber die Partei sei faschistisch, sagt der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz: „Es geht um den Zug, nicht um die Fahrgäste.“ Wie kann man AfD-Wähler für demokratische Parteien zurückgewinnen?

Indem diese Parteien selbst bessere Politik machen, die ihren eigenen Grundsätzen entspricht. Dass Thorsten Frei, ein Bundespolitiker einer Partei, die das C im Namen trägt, das individuelle Grundrecht auf Asyl abschaffen will, das geht gar nicht. Solche inhaltlichen Zugeständnisse halte ich für grundfalsch. Sie verschieben die Debatte nach rechts und verprellen die Mitte. Auch medial ist es nicht hilfreich, Schlagworte rechter Rhetorik zu verwenden. Es geht darum, Politik, die alle Bürgerinnen und Bürger angeht, plausibel und verständlich zu machen. Hinzu kommt: Wer die Grundsätze der christlichen Sozialethik ernst nimmt, hütet sich auch vor Konkurrenzdenken – zum Beispiel in der Diskussion, ob Geflüchtete schneller oder besser unterstützt werden als Menschen, die schon länger in prekären Verhältnissen in diesem Land leben.

AfD-Wahlerfolge könnten 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen abenteuerliche Koalitionen erzwingen, um Rechtsextreme wie Björn Höcke in der Regierung zu verhindern. Wird das gelingen?

Das kann ich nicht vorhersagen. Es ist aber die staatspolitische Pflicht aller demokratischen Parteien, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Es geht dabei um die Systemfrage – das Einbinden antidemokratischer Kräfte ist aus der historischen Erfahrung zum Scheitern verurteilt. Die demokratischen Parteien dürfen sich nicht im Klein-Klein ineinander verhaken, sondern müssen gemeinsam grundlegende demokratische Werte aufrechterhalten.

Zum Ende der Weimarer Republik gab es eine antidemokratische Parlamentsmehrheit von rechts und links außen. Sehen Sie heute ähnliche Anzeichen?

Ich halte die große Mehrheit der deutschen Gesellschaft für demokratisch. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Gefahr nicht vergleichbar groß. Wir müssen aber darauf Acht geben, dass die Gräben zwischen den verschiedenen Ansichten nicht so tief werden, dass es keine Mitte mehr gibt.

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