Von Freundschaften, Hilferufen nach Rom und einem Fall in drei Bistümern

Missbrauch im Erzbistum Köln: Diese Fälle sind bereits bekannt

Anzeige

Das Erzbistum Köln hat Gutachter mit der Prüfung beauftragt, wie frühere Bistumsverantwortliche mit Missbrauchsfällen umgingen. Alte Vorwürfe gegen Geistliche und neue gegen Vorgesetzte geraten in den Fokus. Im Zug der Aufarbeitung sind mehrere Fälle bekannt geworden. Ein Überblick:

 

Pfarrer O. – ein Freund des Erzbischofs

 

Der frühere Düsseldorfer Pfarrer O. soll sich in den 1970er Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter vergangen haben. 2010 meldete sich ein Betroffener beim Erzbistum Köln und erhielt in Anerkennung des Leids 15.000 Euro – das Dreifache des damals üblichen Regelsatzes. Eine Meldung an den Vatikan unterblieb. Kardinal Rainer Maria Woelki erfuhr erstmals als Kölner Weihbischof 2011 von den Missbrauchsvorwürfen gegen den mit ihm befreundeten Pfarrer, der ihn ein Jahr später zu seiner Kardinalserhebung in Rom begleiten durfte.

Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Erzbischof von Köln sichtete Woelki 2015 die Akte von O., meldete aber den Fall nicht nach Rom und verzichtete auf eine kirchenrechtliche Voruntersuchung. Kritiker werfen dem Erzbischof deshalb Fehlverhalten und Vertuschung vor. Woelki begründete sein Vorgehen damit, dass der Priester sich wegen seiner Demenz nicht mehr habe befragen lassen. Der Erzbischof bat Papst Franziskus um Prüfung der Vorwürfe gegen ihn. Als O. 2017 verstarb, hielt der Kardinal die Trauerrede.

 

Pfarrer A. – drei Bistümer involviert

 

Pfarrer A. wurde 1972 wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“ zu einer Haftstrafe verurteilt; 1988 erhielt er wegen erneuter Vorfälle eine Bewährungsstrafe. Dennoch war er weiter als Seelsorger aktiv – in den Bistümern Köln, Münster und Essen. Erst 2019 verbot Woelki dem Geistlichen die Ausübung des priesterlichen Dienstes. Inzwischen ist er aus dem Klerikerstand entlassen worden.

Im Zusammenhang mit A. wird dem früheren Kölner Personalchef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße angelastet, einen Verdacht gegen den Priester nicht an die dafür zuständige Person im Erzbistum Köln weitergeleitet zu haben. Heße weist das zurück. Der damalige Generalvikar Dominikus Schwaderlapp sei informiert gewesen.

In dem Fall werden auch den verstorbenen Kölner Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner sowie dem münsterschen Bischof Heinrich Tenhumberg Fehler vorgeworfen. Der amtierende Essener Bischof Franz-Josef Overbeck nannte es ein Versäumnis, dass er sich die Personalakte von A. nicht habe kommen lassen, nachdem er kurz nach seinem Amtsantritt von den Vorwürfen erfahren habe.

 

Pfarrer U. – von der Staatsanwaltschaft angeklagt

 

Zwischen 1993 und 1999 soll sich U. mehrfach an seinen drei minderjährigen Nichten vergangen haben. Im Sommer 2020 klagte die Staatsanwaltschaft Köln den Geistlichen an. Sie hatte aber bereits 2010 gegen ihn ermittelt. Kardinal Meisner suspendierte U. damals, hob diesen Schritt aber wieder auf, nachdem der Staatsanwalt die Ermittlungen einstellte. 2019 untersagte dann Woelki dem Pfarrer die Ausübung priesterlicher Dienste.

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße weist Vorwürfe zurück, er habe 2010 als damaliger Kölner Personalchef U. geschützt. Auch Heße hat den Vatikan um Überprüfung seines Vorgehens gebeten.

 

Pfarrer F. – Autor pädagogischer Bücher

 

Der 73-jährige Kölner Priester und religionspädagogische Sachbuchautor F. soll in den 1990er Jahren eine Mutter mit mehreren Söhnen aufgenommen und die Kinder missbraucht haben. Laut „Bild“-Zeitung hat der Pfarrer sich das Stillschweigen der Mutter für 30.000 Mark erkauft.

Obwohl im Jahr 2000 und 2004 in den endgültigen Ruhestand versetzt, soll es danach wieder zu Beschwerden gegen den Geistlichen gekommen sein. Laut „Bild“ verbot ihm erst Kardinal Woelki im Jahr 2018 die Ausübung priesterlicher Dienste. Nach erneuten Vorwürfen im März 2019 habe der Erzbischof eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet und den Fall der Glaubenskongregation in Rom übergeben.

 

Pfarrer F. – Aussage gegen Aussage

 

Dieser Pfarrer – ebenfalls mit der Initiale F. – soll laut „Christ & Welt“ zwischen 1968 und 1972 einen Jungen sexuell missbraucht und vergewaltigt haben. Der Betroffene habe 2011 die damalige Opferbeauftragte des Erzbistums Köln, Christina Pesch, kontaktiert. Personalchef Heße soll daraufhin mit dem Betroffenen und seinem Anwalt ein Gespräch geführt und wenig später auch Pfarrer F. befragt haben, der die Anschuldigungen abgestritten habe.

Kurz darauf soll Heße gegenüber dem Opfer-Anwalt sowie Pesch erklärt haben, die Vorwürfe gegen F. hätten sich nicht erhärtet. Pesch hingegen will ein Glaubwürdigkeitsgutachten zur weiteren Klärung empfohlen haben. Heße soll 2020 schriftlich erklärt haben, dass es „keine Grundlage für eine weitere Tätigkeit der kirchlichen Stellen“ gegeben habe. F. ist mittlerweile verstorben.

 

Pfarrer M. – Anzeige vier Jahre nach Geständnis

 

Nach Medienberichten soll der 1943 geborene Geistliche im September 2014 der Personalabteilung im Erzbistum Köln gestanden haben, von 1971 bis 1996 Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts missbraucht zu haben. Ein Strafanzeige erfolgte 2018, also vier Jahre später. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf stellte das Verfahren ein. Nach den damals geltenden Gesetzen seien alle vor November 1993 begangenen Taten verjährt gewesen, so eine Sprecherin. In der Anzeige des Erzbistums sei es um Taten zwischen 1982 und 1988 gegangen.

Laut Erzbistum waren nicht alle von dem Pfarrer beschriebenen Situationen Übergriffe oder Straftaten gewesen – darunter der letzte Vorfall von 1996: „Sicher ist, dass bereits im Jahr 2014 alle Vorgänge strafrechtlich verjährt waren.“

2016 verbot Woelki laut Erzbistum dem Geistlichen die priesterlichen Dienste und den Kontakt zu Minderjährigen. Zudem ging eine Meldung an den Vatikan. Dieser verfügte, gegen M. wegen Alter und Verjährung kein kirchliches Strafverfahren mehr zu führen, bestätigten aber die Auflagen gegen ihn. M. ist mittlerweile verstorben.

 

Pfarrer E. – Möglicher Missbrauch im Internat

 

2015 beteiligte sich das Erzbistum Köln an einer Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz und rollte auch die Akten des früheren Jungeninternats Collegium Josephinum in Bad Münstereifel auf. Im Zuge dieser Untersuchung schilderte Anfang 2017 ein ehemaliger Schüler einen Übergriff durch Pfarrer E. in den 1980er Jahren. Der Geistliche soll sich laut „Spiegel“ bereits 2002 sexuell grenzüberschreitend gegenüber einer Jugendlichen verhalten haben.

Woelki versetzte E. nach Angaben der Erzdiözese Köln am 1. September 2017 in den einstweiligen Ruhestand und meldete den Fall der Glaubenskongregation. Diese erklärte zunächst, dass auf Basis der bisherigen Erkenntnisse kein Strafverfahren durchzuführen sei. Im November 2016 nahm der aus dem Rheinland stammende Geistliche an einer Privatmesse mit dem Papst teil, der den Priester segnete und von diesem eine Karnevalsmütze geschenkt bekam.

Im Oktober 2017 wandten sich weitere Betroffene an das Erzbistum, wie dieses mitteilte. Ein Jahr später wurden die neuen Verdachtsmomente an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die ihre Ermittlungen dann aber wegen Verjährung einstellte.

Das Erzbistum verhörte E. erst wieder im November 2018. Als Grund nannte es eine zuvor laufende Krebstherapie, der sich der Pfarrer unterziehen musste. Nach einem Schriftverkehr zwischen dem Kölner Kirchengericht, der Glaubenskongregation und dem Anwalt des Pfarrers teilte das Erzbistum schließlich im November 2019 seine Erkenntnisse Rom mit. Die Glaubenskongregation bevollmächtigte im Februar 2020 das Erzbistum, gegen E. ein Strafverfahren mit dem Ziel zu führen, diesen aus dem Klerikerstand zu entlassen. Allerdings konnte das Verfahren seitdem nicht weitergeführt werden, da der Priester nicht verhandlungsfähig ist.

Anzeige