Missbrauch

Münsters Weihbischof Zekorn: Frühere Bistumsleitung hat vertuscht

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Bei einer Veranstaltung in Recklinghausen über einen trotz Missbrauchs tätigen Geistlichen hat Weihbischof Stefan Zekorn erklärt, schon als junger Priester die Bistumsleitung informiert zu haben. Die Reaktion: "Das geht dich nichts an."

Vertuschung hat der Münsteraner Weihbischof Stefan Zekorn der früheren Leitung des Bistums Münster vorgeworfen. Bei einer Veranstaltung in Recklinghausen über den Fall eines Priesters, der trotz Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zwischen 1978 und 1985 in Recklinghausen tätig war, erklärte Zekorn: „Ich bekam damals mit, dass etwas geschehen sein musste. Ich stand fassungslos davor, wie man so handeln konnte.“ Zekorn (60) stammt aus der betreffenden Pfarrei Petrus Canisius in Recklinghausen.

Es sei kein Geheimnis, wer in der besagten Zeit Verantwortung im Bistum Münster trug, sagte Zekorn: „Das waren die Bischöfe Heinrich Tenhumberg und Reinhard Lettmann sowie Prälat Wilhelm Stammkötter als Personalreferent und Werner Thissen“, der spätere Erzbischof von Hamburg. Zekorn selbst war von 1987 bis 1992 Privatsekretär von Bischof Reinhard Lettmann.

 

„Das geht dich nichts an“

 

Zekorn sagte, er habe kurz nachdem er 1984 zum Priester geweiht wurde vom Missbrauch durch den betreffenden Geistlichen erfahren. Der Weihbischof räumte ein: „Ich habe das all die Jahre gewusst – und ich habe darüber nicht geschwiegen.“ Immer wieder habe er das angesprochen, auch gegenüber der Bistumsleitung. Ernüchtert räumte er ein: „Bis ich 2011 Weihbischof wurde, war ich nie in der Situation, dass ich etwas hätte ändern können. Auf meine entsprechenden Äußerungen zuvor habe ich keine andere Antwort bekommen als diese: Das geht dich nichts an.“

Der betreffende Priester stammt aus dem Erzbistum Köln, war 1972 wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“ verurteilt worden und anschließend trotzdem im Bistum Münster als Priester tätig: von 1974 bis 1978 in der Schulabteilung des Generalvikariats, ab 1975 in Westerkappeln, auch in der Jugendarbeit, dann für sieben Jahre in Recklinghausen und schließlich von 1985 bis 1988 in Moers-Asberg. 1988 wurde er erneut wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen verurteilt – diesmal zu einer Bewährungsstrafe.

Auf Nachfrage einer Teilnehmerin der Veranstaltung konkretisierte Zekorn, der Priester sei verurteilt worden, „weil es damals sexuellen Missbrauch an Kindern in der Gemeinde in Petrus Canisius gab.“ Heute sei die Richtlinie klar, betonte auch Karl Render, Personalreferent im Generalvikariat Münster: „Ein solcher Fall würde heute das sofortige Ausscheiden aus dem Dienst und Ausscheiden aus dem Priestertum bedeuten.“

 

„Was kann es Wichtigeres für einen Bischof geben?“

 

„Was kann es Wichtigeres geben, als hierher zu kommen und uns zuhören?“, entgegnete ein von Missbrauch Betroffener während der Veranstaltung zu Missbrauch in Recklinghausen. | Foto: Markus Nolte

Bei der größtenteils sehr sachlich geführten Diskussion zeigten sich gleichwohl erneut Teilnehmer erbost darüber, dass nicht Bischof Felix Genn selbst nach Recklinghausen gekommen war. Als Grund dafür gab Zekorn an, angesichts der Fülle der Termine sei das weder Bischof Genn noch dem zuständigen Regionalbischof Rolf Lohmann kurzfristig möglich gewesen.

„Was kann es Wichtigeres geben, als hierher zu kommen und uns zuhören?“, entgegnete ein von Missbrauch Betroffener. „Für eine Weinprobe mit jungen Erwachsenen in Coesfeld hatte Bischof Genn Zeit – für eine Informationsveranstaltung tags zuvor über Missbrauch in Bad Waldliesborn offenbar nicht.“ Wenn es für den Bischof Wichtigeres gebe als Veranstaltungen wie in Recklinghausen, „dürfte er – so hart es ist – kein Bischof mehr sein“, sagte eine Teilnehmerin. Peter Frings, Interventionsbeauftragter des Bistums Münster, informierte darüber, dass Genn am Donnerstag (28.11.2019) zum Gespräch mit den Gemeindegremien über einen  Missbrauchsfall nach Wadersloh-Bad Waldliesborn fahre.

 

Betroffener: Bis heute wird vertuscht

 

Ein weiterer Betroffener beklagte, dass 2015 sechs Bischöfe an der Beisetzung des aus Deutschland stammenden Bischofs von Trondheim, Georg Müller, in Werne teilgenommen hätten. Müller musste 2009 wegen Missbrauchs eines Minderjährigen zurücktreten und hatte anschließend unter anderem in Münster gelebt, wo er auch starb. „Kein Wort gab es bei der Beerdigung darüber, dass er Täter war“, beklagte der Betroffene jetzt in Recklinghausen. „Für dessen feierliche Beisetzung haben Bischöfe Zeit – aber nicht dafür, hierher zu kommen? Da kommt es mir als Opfer hoch, das sage ich Ihnen!“

Ein anderer Betroffener machte seiner Wut Luft, nachdem er eine Stunde lang ruhig zugehört hatte. Er berichtete über einen anderen Geistlichen, Pfarrer S., der ihn während dessen Zeit in Wesel-Büderich missbraucht habe. Er habe sich 1989 an den damaligen Generalvikar Werner Thissen gewandt, „aber dem Pfarrer ist nichts passiert. Mir hingegen schon“. Der Pfarrer habe ihm anschließend in Briefen schwerste Vorwürfe gemacht und ihn bedroht. Der Betroffene berichtete, er habe Ende der 90er Jahre Bischof Reinhard Lettmann, den damaligen niederrheinischen Regionalbischof Heinrich Janssen und erneut Thissen kontaktiert. „Alle konnten sich geschlossen an nichts mehr erinnern“, beklagt der Mann. Inzwischen hätten sich fünf Opfer dieses Priesters gemeldet. „Bis heute wird vertuscht, auch durch Bischof Genn. Wie lange müssen wir das noch ertragen, Herr Weihbischof?“, fragte er Zekorn.

Der betreffende Priester wurde 2003 emeritiert. Laut Mitteilung des Bistums vom Mai 2019 gab es 2011 die erste Meldung eines Verdachts; der Geistliche habe aber nicht befragt werden können, da er bereits an Demenz litt. 2018 starb er.

 

Zwei zusätzliche Stellen für Aufklärung

 

Zekorn versicherte, wegen des Falls von Pfarrer S. tätig werden zu wollen. „Dass Fehler gemacht wurden, hat auch Bischof Genn in seinem Offenen Brief eingeräumt. Aber dass er mit etwas hinterm Berg gehalten hätte, ohne dass das mit den von Missbrauch Betroffenen so vereinbart war, dass kann ich nicht sagen.“ Zekorn betonte, die Kirche im Bistum Münster sei ein „lernendes System“, das sich „nach Herz und Gewissen bemüht“, unabhängig aufzuklären, konsequent mit Tätern umzugehen und Prävention zu leisten – „auch wenn es dafür kein Handbuch gibt“.

Eine Teilnehmerin erwiderte: „Bemühen ist zu wenig, wir brauchen klare Taten und mehr Einsatz“. Peter Frings, Interventionsbeauftragter des Bistums Münster für Fälle sexuellen Missbrauchs, kündigte an, dass es im neuen Jahr eine dritte Person als unabhängiger Ansprechpartner und zudem eine neue Stelle für einen weiteren Interventionsbeauftragten des Bistums geben werde.

Ausdrücklich ermutigte Frings Betroffene zum Gespräch mit Beratungsstellen wie "Zartbitter" oder der Selbsthilfegruppe um Betroffene wie Martin Schmitz in Rhede, wenn verständlicherweise ein Erstkontakt ausgerechnet mit Menschen, die im Kontakt mit dem Bistum stehen, schwierig sei.

Kontakt zur Selbsthilfegruppe in Rhede ist über deren Homepage möglich, die Sie hier erreichen. Sie bietet Gespräche, aber auch Hilfe bei der Gründung einer eigenen regionalen Selbsthilfegruppe für Betroffene sexuellen Missbrauchs an.

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