Aachener Bischof mit Respekt vor neuer Aufgabe

Neuer Missbrauchsbeauftragter Dieser will weitere Betroffene finden

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Der neue Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Aachener Bischof Helmut Dieser, will zusammen mit einem neuen, unabhängigen Expertenrat die Aufklärung vorantreiben. Sein größtes Ziel sei es, „dass das Dunkelfeld kleiner wird“, sagte Dieser in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur am Mittwoch in Fulda. Betroffene, die sich bisher nicht gemeldet haben, sollen aufgerufen werden, ihren Fall zu schildern. Der bisherige Missbrauchsbeauftragte, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, hat das Amt nach zwölf Jahren aufgegeben.

Herr Bischof Dieser, haben Sie sich um das neue Amt beworben?

Nein, freiwillig gemeldet habe ich mich nicht. Ich bin gefragt worden. Es gab eine Argumentation des Vorsitzenden, Bischof Georg Bätzing: Was muss derjenige mitbringen, der die Aufgabe übernimmt? Da konnte ich schwer sagen: Das trifft auf mich alles nicht zu. Dann lief es auf mich zu, und ich habe mich auch nicht verweigert.

Was muss denn der neue Beauftragte mitbringen?

Zunächst muss in seinem eigenen Bistum die Aufarbeitungsarbeit schon vorangeschritten sein. Das kann ich für Aachen sagen. Wir haben auch erfahren, nachdem wir das Gutachten veröffentlicht haben, dass sich Betroffene bei uns melden, die wir vorher nicht kannten. Das ist ja der schönste Erfolg.

Sie haben auch schon selber mit Betroffenen Gespräche geführt?

Ja, viele. Ich habe gemerkt, wie wichtig das ist, und sehe an diesen Menschen, weshalb wir diese Arbeit machen müssen.

Es ist in den vergangenen 20 Jahren viel Zeit verloren gegangen.

Ja, es dauert unendlich lange. Wir verdanken den Betroffenen und ihrer Treue, ihrer Wut und ihrer Entschlossenheit, dass sich etwas ändern muss: als Kirche, damit man spürt, wir sind weitergekommen.

Wie soll es denn jetzt weitergehen? Stellen Sie sich auch strukturell neu auf?

Ja, es gibt eine neue Struktur. Wir haben künftig drei Player in diesem Aufgabenfeld. Neben mir und meinem Stellvertreter ist das zweitens der Betroffenenrat bei der Deutschen Bischofskonferenz. Ein dritter Player wird ein Expertenrat sein, den wir neu einrichten: Personen mit Fachexpertise von außen oder kirchliche inklusive der Mitarbeit von Betroffenen. Mit diesem Gremium entsteht ein unabhängiges Gegenüber, das eine eigene Rolle spielt. Dieses Dreiermodell halten wir für zielführend.

Wie stehen Sie zu der Forderung, dass nicht mehr die Kirche selbst, sondern die Politik die Aufarbeitung übernehmen soll?

Ich halte an dieser Forderung etwas für entscheidend wichtig: nämlich dass es nicht nur um den sexuellen Missbrauch gehen kann, der innerhalb der Kirche leider geschehen ist, sondern dass das Thema ein gesamtgesellschaftliches ist. Es braucht eine Glaubwürdigkeit der Kirche dadurch, dass sie sich nicht nur eigenen Regeln stellt. Mir steht als Ziel vor Augen, dass die Einflussnahme der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, deutlicher wird. Dass sie einen Kriterienkatalog formuliert, nicht nur für die Kirche, sondern für alle Player in der Gesellschaft.

Was passiert mit den sieben Bistümern, die noch keine Aufarbeitungskommission eingerichtet haben?

Meines Wissens stehen auch diese Bistümer im Prozess der Konstituierung. Alle sind in der Pflicht und müssen in die Pötte kommen. Es gestaltet sich unterschiedlich kompliziert.

Wie viel Entschädigungen wird die Kirche noch an die Opfer zahlen müssen?

So viel Anerkennungsleistungen wie Anträge gestellt werden. Das hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, was eigentlich das größte Ziel ist, dass nämlich das Dunkelfeld kleiner wird, dass noch mehr Betroffene, die sich bisher nicht mitteilen konnten, ihren Fall schildern. Dass sie das Vertrauen gewinnen, dass sie jetzt auch ernst genommen werden und nichts bagatellisiert wird.

Ist die Dimension dieses Thema gesamtkirchlich schon ausreichend im Blick?

Ich glaube nicht. Das Bewusstsein, wie zerstörend dieses Thema ist, macht vielen Angst, und sie riskieren nicht, das offen anzugehen, weil sie glauben, dass dann von der Kirche eventuell nichts mehr übrig bleibt. Es ist leichter, wenn es Verstorbene sind, über die wir sprechen, aber viel, viel schwerer, wenn es Mitbrüder sind, die als Beschuldigte oder überführte Täter mitten unter uns leben.

Haben Sie Angst vor der neuen Aufgabe?

Angst wäre falsch, aber sehr viel Respekt. Und das Bewusstsein darum, dass ich nicht weiß, was alles auf mich zukommt. Es geht um zutiefst verletzte Menschen. Es geht um deren Lebensglück und um Gerechtigkeit. Sich da zu engagieren, ist eine Aufgabe, die ich als positiv sehe.

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