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In Frankreich soll sie eingeführt werden: eine gesetzliche Impfpflicht für medizinisches Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Für Deutschland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sie abgelehnt. Was aber spricht gegen diesen verpflichtenden Schutz auch für Patienten? Warum sind ausgerechnet medizinische Fachleute dagegen? Antworten von Ulrich Lüke, emeritierter Theologie-Professor und Biologe. Heute ist er als Krankenhausseelsorger im Franziskus-Hospital in Münster tätig.
Herr Lüke, sollte es im Kampf gegen Corona eine Impfpflicht für medizinisches Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geben?
Nein, ich wäre gegen eine Impfpflicht. Im Franziskus-Hospital in Münster, in dem ich tätig bin, haben sich deutlich mehr als 90 Prozent des medizinischen und nicht-medizinischen Personals bereits gegen Corona impfen lassen. Damit ist die Herdenimmunität in unserem Haus gegeben. Die Zahl derer, die sich nicht impfen lässt, fällt dann nicht so ins Gewicht.
Warum ist es für manche Mitarbeitende in Krankenhäusern kein Problem, sich zwar pflichtgemäß gegen Hepatitis impfen zu lassen, wohl aber, wenn es um den Corona-Schutz geht?
Das hat vermutlich damit zu tun, dass die Impfpflicht gegen Hepatitis ja nun schon lange etabliert ist, also einfach besteht. Außerdem ist diese Impfung erprobt und hat sich bewährt. Die Vakzine gegen Corona sind ja in der Tat in überdurchschnittlich kurzer Zeit approbiert und auf den Markt gebracht worden, und dazu gab es durchaus auch Anfragen aus medizinischer Perspektive.
Würden die Behörden denn ernsthaft einen Impfstoff freigeben, bei dem die möglichen Risiken zugunsten von schneller und breiter Wirkung nicht zu vernachlässigen wären?
Ulrich Lüke (69) war ab 2001 Professor für Systematische Theologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Seit seiner Emeritierung 2017 ist er Krankenhauspfarrer im St.-Franzikus-Hospital Münster. 1980 wurde er zum Priester geweiht. | Foto: privat
Die Risiken sind in der Tat im Großen und Ganzen zu vernachlässigen. Aber es hat ja durchaus ein ziemliches Durcheinander gegeben – Sie erinnern sich an die Diskussion um Sinusvenenthrombosen bei AstraZeneca. Dann wurde darüber debattiert, welche Gruppen welchen Impfstoff erhalten sollen und in welchen Abständen, oder ob man Kreuzimpfungen machen kann. Das hat zu Unsicherheiten geführt, die es bei der Hepatitis-Impfung einfach nicht mehr gibt. Wenn man eine Corona-Impfung verpflichtend machen wollte, müsste man das meines Erachtens auch mit der Impfung gegen Grippe so handhaben, an und mit der jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Menschen sterben.
Was wäre Ihre Alternative?
Vor einer allgemein gesetzlichen Regelung für den medizinischen Bereich plädiere ich für eine gute Arbeitgeber-Lösung. Ungeimpftes Personal könnte beispielsweise von einer Abteilung mit erhöhtem Gefahrenpotenzial in eine Abteilung mit geringerem Gefahrenpotenzial versetzt werden. Andernfalls wäre die letzte Konsequenz für manche Mitarbeitenden quasi ein Berufsverbot. Und das in einer Zeit, in der uns ohnehin Pflegepersonal fehlt.
Was sagen Sie Impfgegnern oder -skeptikern?
Außerhalb des Krankenhauses habe ich tatsächlich mit einigen Impfgegnern die Klingen gekreuzt. Da gab es etwa die Meinung, dass die Verimpfung eines mRNA-Botenstoffs wie bei Moderna oder Biontech dazu führe, dass sich Viruspartikel in die Membran der menschlichen Zelle einbauten und so den Viren immer freien Durchgang böten. Aber das war wirklich eine ziemlich platte populistische Parole, das funktioniert so natürlich nicht. Dahinter stehen allerdings Ängste, das muss man ernstnehmen. Und dagegen hilft nur die biologisch-medizinische Sachebene. Das wirkt übrigens auch gegen Ideologisierung.
Dann machen Sie das doch an dieser Stelle einfach: Warum sollte man sich impfen lassen?
Als Erstes: Gehe sorgfältig mit dir um! Du verringerst deine eigene Ansteckungsgefahr. Und wenn du dich ansteckst, wird die Erkrankung einen gelinderen Verlauf nehmen als ohne Impfung. Das solltest du dir wert sein. Als Zweites: Gehe sorgfältig mit deinen Mitmenschen um. Denk bitte auch an deine Familie und die Leute, mit denen du umgehst. Wenn du weitgehend immun bist gegen eine Infektion, dann bist du auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Überträger der Krankheit. Das sollten die Anderen dir wert sein. Wenn dann darüber hinaus noch biologische Sachargumente kommen, müsste man auf den Wirkmechanismus der Vakzine hinweisen und um Vertrauen werben.
Warum kann man dann nicht eine Impfpflicht für alle in Deutschland einführen? Warum ist das ethisch problematisch?
Mir käme das überbordend moralisierend und juridifizierend vor. Denn man belegte ja alle, die Anfragen an die Impfung haben, mit einem öffentlichen moralischen Negativ-Urteil und drohte ihnen dann auch noch mit dem Kadi. Ich glaube, das kann man besser hinbekommen.
Nämlich wie?
Auch bei der Grippe-Impfung haben wir keine hundertprozentigen Sicherheiten, auch da sind nicht alle Pflegenden geimpft, aber es gab dafür bei uns im Franziskus-Hospital eine herrliche augenzwinkernde Werbung. Die hieß: „Pommes gegen Grippe.“ Das klingt ein bisschen schräg, aber es gab tatsächlich einen Pommes-Gutschein für alle, die sich gegen Grippe impfen ließen. Damit hat man vielleicht doch den einen oder anderen aus der Ecke gefischt und überzeugt – und die Herdenimmunität ein bisschen erhöht. In diese Richtung müsste man auch bei Corona denken, und dann bekommen wir das auch in den Griff, da bin ich sicher.