Professorin Monika Bobbert aus Münster im Interview

Moraltheologin: Corona-Impfung ja – aber keine Christenpflicht

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Schon bald sollen Impfungen gegen das Corona-Virus beginnen können, ein erheblicher Teil der Bevölkerung erklärt in verschiedenen Umfragen, sich impfen lassen zu wollen. Doch was ist mit eventuell noch unerkannten Nebenwirkungen? Gibt es eine moralische Pflicht zur Impfung, zum Beispiel aus chsitlichen Motiven? Darauf antwortet Monika Bobbert, Direktorin des Seminars für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Frau Professor Bobbert, viele haben bei der Nachricht gejubelt, dass bald wirksame Impfstoffe gegen Covid-19 zur Verfügung stehen. Inzwischen wird Skepsis laut, ob man sich angesichts möglicher noch unbekannter Nebenwirkungen impfen lassen soll. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Es ist ganz naheliegend, dass wir solche Sorgen haben. Aber wir sollten unterscheiden, ob wir gravierende, langfristige Nebenwirkungen oder gar einen lebensbedrohlichen Zustand befürchten, oder ob es um eher geringfügige Nebenwirkungen geht, die wieder verschwinden. Im Moment werden in diesem Zusammenhang Kopfschmerzen, Müdigkeit, möglicherweise etwas Fieber genannt. Alles ist zurzeit aber noch Spekulation, weil wir bisher von keinem Impfstoff die Ergebnisse aus Phase 3 haben.

Als Mitglied verschiedener Ethik-Kommissionen zur Forschung am Menschen kann ich sagen: In Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern haben wir ein Arzneimittelgesetz, demzufolge Medikamente und Impfstoffe nach einem Schema geprüft werden. Dieses Vorgehen sichert ab, dass keine Medikamente und Impfstoffe zugelassen werden, die sehr riskant für Gesundheit oder gar Leben sind und mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen.

Werden Sie sich gegen Covid-19 impfen lassen?

Ich denke, schon. Ich gehe davon aus, dass nur solche neuen Impfstoffe zugelassen werden, die keine schweren und bleibenden Nebenwirkungen haben.

Auch wenn in diesem Fall das Zulassungsverfahren schneller abläuft als üblich?

Ja. Das kommt daher, dass es eine organisatorische Straffung gegeben hat, nicht aber eine Abkürzung der drei Prüfungs-Phasen des Impfstoffs. Aus meinen Erfahrungen aus Ethikkommissionen kann ich sagen: Das kann man glauben.

Von Seiten der Politik ist gerade erst wieder betont worden, dass es keine Impfpflicht geben soll. Sind auch Sie dieser Meinung?

Auf jeden Fall. Darauf können wir uns auch verlassen. Die Selbstbestimmung, dass man einer solchen Impfung aufgeklärt und freiwillig zustimmen muss, ist aus ethischer Sicht gefordert, aber auch rechtlich garantiert.

Wie kann man für sich selbst und die Familie eine möglichst genaue Risiko-Abwägung vornehmen?

Es kommt darauf an, welche Impfstoffe wir haben werden. Zunächst sollte man berücksichtigen, dass Covid-19 bei jedem von uns schwere Folgen hinterlassen kann – auch bleibende organische Schäden. Hinzu kommt die Sorge, dass wir andere anstecken können, die dann wiederum vielleicht an schweren Folgen leiden müssen. Allein diese doppelte Sorge – um mich und um andere – ist ein wichtiger Faktor bei der Risiko-Abwägung.

Außerdem ist die Wirksamkeit des Impfstoffs zu betrachten, ebenso mögliche Nebenwirkungen und die Frage, zu welcher Bevölkerungsgruppe der Impfstoff passt: Denn es könnte Gruppen geben, bei denen ein bestimmter Impfstoff nicht so gut wirkt. Oder andere Gruppen, die einen großen Vorteil durch die Impfung haben, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Fall einer Covid-19-Infektion lebensbedrohlich erkranken würden.

Viele von uns werden ohnehin noch abwarten müssen. Vor mir zum Beispiel sollten – das ist aus ethischer Sicht wichtig – berufliche Risikogruppen geimpft werden – Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Feuerwehrleute, Multiplikatoren; und natürlich Menschen, die durch Vorerkrankungen oder ihr hohes Alter besonders gefährdet sind.

Wäre es moralisch vertretbar, vor der eigenen Impfung erst einmal abzuwarten, wie der Impfstoff bei anderen Menschen wirkt?

Monika Bobbert ist Professorin für Moraltheologie und Direktorin des Seminars für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie ist Mitglied zahlreicher Ethikkommissionen. | Foto: privat
Monika Bobbert ist Professorin für Moraltheologie und Direktorin des Seminars für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Sie ist Mitglied zahlreicher Ethikkommissionen. | Foto: privat

Dieser moralische Konflikt wird sich den meisten von uns nicht stellen. Wir werden zunächst keinen Zugang zum Impfstoff erhalten – es sei denn, wir gehören zu einer Risikogruppe. Zudem hängt die Beantwortung Ihrer Frage davon ab, was ein bestimmter Impfstoff leistet: Verhindert er nur einen schweren Verlauf im Fall einer Infektion mit COVID-19? ­Solch ein Impfstoff würde nur mich selbst schützen. Warum sollte ich da nicht abwarten dürfen?

Ist es aber ein Impfstoff, der verhindert, dass ich selbst erkranke oder Überträgerin bin? Dann würde eine Impfung nicht nur mich, sondern auch andere schützen. Trotzdem dürfte ich die Vor- und Nachteile abwägen. Wenn ich mich darauf erst einmal nicht impfen lassen wollte, könnte ich trotzdem viel für andere tun: Weiterhin die Hygienemaßnahmen beachten und auf soziale Kontakte verzichten oder vielleicht öfters einen neuen Atemtest als Schnelltest zum Schutz anderer durchführen. Aber auch: Offen sein für Neues und mit unserem Möglichkeitssinn kreativ Alternativen entwickeln. Denn unser Gesundheitssystem wird voraussichtlich noch über das Jahr 2021 hinaus damit befasst sein, Impfungen überhaupt erst einmal allen zugänglich zu machen.

Ist es als Christin, als Christ möglicherweise meine Pflicht, mich impfen zu lassen – um andere zu schützen?

Von so einer Pflicht, denke ich, sollte man nicht ausgehen. Zum einen aus den schon genannten Gründen. Zum anderen aber auch, weil es mir zusteht, darüber zu entscheiden, was mit meinem Körper und meiner Gesundheit passiert. Die theoretische Variante, dass es einen Impfstoff geben wird, der nur mich selbst schützt, halte ich für unwahrscheinlich.

Die vorhin angesprochene Reihenfolge der Impfungen beinhaltet ja eine gewisse Bewertung: In dieser Hinsicht ist die Ärztin, der Feuerwehrmann im Moment wichtiger als jemand anders. Ist das ein moralisches Problem, weil doch jedem Menschen die gleiche Würde zukommt?

Ich würde umgekehrt sagen, dass aus christlicher Sicht dieses Vorgehen richtig ist. Ein wichtiger Gerechtigkeitssatz heißt: Gleiches gleich behandeln, Ungleiches ungleich. Zum Beispiel werden schwangere Frauen im Arbeitsleben ungleich behandelt – aber aus Schutzüberlegungen heraus.

Das gilt eben auch für Risikogruppen und für besonders gefährdete Berufsgruppen. Aus christlicher Sicht ist diese Form von Gerechtigkeit – als Bedürftigkeit oder als Schutz der Schwachen – gefordert.

Wird nach der Impfung das alltägliche Leben wieder so sein wie vor der Pandemie?

Im Sommer hatten wir eine gewisse Entlastung und konnten uns über etwas mehr soziale Kontakte und Reisemöglichkeiten freuen, obwohl wir wussten, dass die zweite Welle wahrscheinlich kommen würde. Ich glaube, dass wir im Kleinen rasch wieder zum Alltag zurückkehren werden. Aber insgesamt fürchte ich, dass wir Wohlstands-Einbußen hinnehmen müssen. Wir werden in unserer Gesellschaft umverteilen müssen, wir werden mit höherer Arbeitslosigkeit und möglicherweise mit Bildungslücken zu tun haben.

Ich habe schon darüber nachgedacht, ob nicht alle Schülerinnen und Schüler das Schuljahr wiederholen sollten – außer den besonders guten, die in die nächste Klasse springen könnten. Sonst haben wir einen Ausfall an Bildung, der sich lange auswirken und insbesondere die Schwächeren betreffen wird.

Wir werden uns zudem verstärkt mit Armuts- und Flüchtlingsproblemen auseinandersetzen müssen. Covid-19 macht die Probleme ja auch in anderen Ländern größer. Insgesamt werden wir auf ein solidarisches Miteinander angewiesen sein.

Wie sehen Sie die Auswirkungen von Covid-19 in Bezug auf unser Lebensgefühl?

Ich könnte mir denken, dass wir es besonders wertschätzen werden, wenn wir uns wieder sozial näher sein dürfen, wenn wir wieder in Gruppen gemeinsam etwas unternehmen können. Vermutlich wird es eine größere Sensibilität dafür geben, sein Gegenüber „live“ zu erleben. Unsere derzeitige Mangel-Erfahrung führt uns ja gerade vor Augen, was es bedeutet, einem Menschen zu begegnen und sich von Angesicht zu Angesicht mit ihm auszutauschen.

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