Von Wegwerf-Mode und Hungerlöhnen

Wie billig darf unsere Kleidung sein?

Klamotten zum Schnäppchenpreis erfreuen die Kunden. Oft müssen die Näherinnen und Näher aber Mode zu Hungerlöhnen herstellen. Mit dem Kauf solcher Produkte unterstützt man indirekt das System der Ausbeutung. Es geht auch anders.

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Wer hat noch nie bei Lidl, Aldi, Kik, Tchibo, Zara, H&M, C&A oder Primark ein T-Shirt, einen Pulli, eine Bluse oder Hose gekauft? Den Discountern und Bekleidungs-Ketten ist gemeinsam, dass sie modische Textilien häufig zum Schnäppchenpreis anbieten. Und ehrlich: Wer macht sich bei Sonderangeboten schon Gedanken darüber, unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen die Sachen angefertigt wurden? Genau das aber tut seit vielen Jahren die Christliche Initiative Romero (CIR) in Münster.

CIR macht auf menschenunwürdige Produktionsbedingungen in den osteuropäischen, asiatischen und mittelamerikanischen Herstellungsländern aufmerksam. Die Initiative fordert von der deutschen Bekleidungsindustrie mehr Transparenz. Und sie bittet die Kunden, verantwortungsbewusster einzukaufen. Die Soziologin Kirsten Clodius ist bei der CIR zuständig für die Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign/CCC). Sie fordert einen differenzierten Blick auf das Thema.

 

Je billiger, umso unsozialer

 

Kirsten Clodius von der Christlichen Initiative Romero. | Foto: privatKirsten Clodius von der Christlichen Initiative Romero. | Foto: privat

„Man kann nicht die Kategorie aufmachen, dieser Discounter ist schlecht oder diese Kette ist besser oder gut“, sagt sie. „Man kann nicht einmal sagen, dass teure und hochwertige Designermode unter besseren Bedingungen hergestellt wurde.“ Ganz im Gegenteil: Bei Edelmarken wie Boss seien oft nur die Gewinnmargen für das Unternehmen höher. „Was man aber sagen kann: Je billiger die Klamotten, umso wahrscheinlicher ist es, dass in den Fertigungsbetrieben gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden.“

Unter Menschenrechtsverletzungen versteht Clodius die „Nicht-Einhaltung von Sozialstandards“. Dazu gehöre der viel zu geringe Lohn, der Näherinnen und Nähern nicht einmal zum Lebensunterhalt ausreiche. „Nur 2,71 Euro pro Tag verdient eine Näherin, wenn sie Kleider für Primark näht“, heißt es in einer aktuellen CIR-Kampagne.

Die Christliche Initiative Romero (CIR) ist 1980 als El-Salvador-Intiative von Theologie-Studenten in Münster gegründet worden. Nach der Ermordung des Erzbischofs von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero, bekam sie den heutigen Namen. Der Verein finanziert sich aus staatlichen und EU-Geldern sowie Spenden. Er setzt sich für soziale Standards in der Bekleidungsindustrie ein, engagiert sich in Frauen- und Menschenrechtsprojekten in Mittelamerika und führt Bildungs- und Informations-Kampagnen durch. Die CIR im Internet unter www.ci-romero.de

 

Keine Rechte

 

In vielen Fabriken sei auch das Aufstehen während der Arbeitszeit und der Gang zur Toilette verboten oder reglementiert. „Es stehen Wachen vor den Toilettentüren und schreiben die Personen auf. Oder man muss den Vorarbeiter um Erlaubnis bitten“, sagt Clodius. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter würden deswegen wenig trinken. Nierenerkrankungen seien gang und gäbe.

In einigen Betrieben gebe es Sechs- und sogar Sieben-Tage-Wochen, Überstunden werden nicht korrekt bezahlt. „So fangen die Arbeitskräfte eine Stunde vor Dienstbeginn an, um das Produktions-Soll für den Tag überhaupt schaffen zu können. Ist das Soll nicht erreicht, gibt es entweder einen Abzug oder die Boni werden nicht gezahlt, auf die die Näherinnen und Näher bei dem geringen Grundgehalt angewiesen sind.“

 

Kaum Freizeit und Urlaub

 

Ein Anspruch auf Urlaub oder Krankenversicherung sei ebenso wenig üblich. Frei hätten die Näherinnen und Näher (Letztere stellen etwa 15 Prozent der Arbeitskräfte) nur an gesetzlichen Feiertagen. Viele von ihnen hätten ohnehin nur kurzzeitige Arbeitskontrakte.Kirsten Clodius hat aber auch ermutigende Nachrichten für Verbraucher, denen die Produktionsbedingungen nicht egal sind. Nach dem Einsturz 2013 der Fabrik Rana Plaza nordwestlich der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch, bei dem über tausend Menschen getötet und fast 2500 verletzt wurden, seien zahlreiche Bekleidungsanbieter darum bemüht, ihre Lieferkette transparent zu machen. „Die europäischen Unternehmen haben nämlich oft selbst nicht den Durchblick“, sagt Clodius. Vor allem der asiatische Markt sei schwer durchschaubar, da es Zulieferbetriebe, Sublieferanten und Agenten gebe, die alle irgendwie mitmischten und mitverdienen wollten.

Viele Textilien würden in Kambodscha, Honduras und Myanmar gefertigt. „Die meiste Kleidung, die in Deutschland verkauft wird, stammt aus China, Indien und der Türkei“, sagt Clodius. „Adidas hat zum Beispiel Zulieferbetriebe in 100 Ländern.“ Das wisse sie, weil das Unternehmen Adressen und Orte bekannt gebe, lobt Clodius. Der irische Fast-Fashion-Discounter Primark dagegen lege seine Lieferkette nicht offen.

 

Mode zum Wegwerfen

 

Ein Grund dafür, warum die Christliche Initiative Romero und weitere kirchliche Vereine mit einem Informationsstand bei der Neueröffnung einer Primark-Filiale im vergangenen Dezember in Münster protestierten. Primark setze nicht nur auf Billig-Klamotten wie T-Shirts für zwei Euro oder Hosen für 14 Euro, sagt Clodius. „Primark spricht mit nahezu wöchentlich wechselndem Mode-Sortiment (Fast Fashion – schnelle Mode) gezielt junge Kundinnen und Kunden an.“ Clodius nennt das „Wegwerf-Mode“. Sie lande nach kurzem Gebrauch in der Mülltonne und belaste unnötig Ressourcen und Umwelt.

Clodius nimmt aber auch einen erfreulichen Doppel-Trend wahr. „Es gibt mehr Verbraucher, die verantwortlich einkaufen wollen. Und es gibt mehr Unternehmen, die sich freiwillig kontrollieren lassen.“

 

Hilfreiche Label beim Einkaufen

 

Schlangestehen bei der Eröffnung von Primark in Münster. Das Unternehmen verkauft billige, schnell wechselnde Mode. | Foto: Karin WeglageSchlangestehen bei der Eröffnung von Primark in Münster. Das Unternehmen verkauft billige, schnell wechselnde Mode. | Foto: Karin Weglage

„Etwa der Bekleidungs-Discounter Takko“, sagt sie. „Das Unternehmen bietet günstige Mode an und lässt sich von der Fair Wear Foundation (FWF) überprüfen.“ Auch Outdoor-Bekleidungsanbieter könne man auf der FWF-Internet-Plattform finden.

Label sind Etiketten, Anerkennungszeichen oder Siegel. Kirsten Clodius empfiehlt, auf drei Labels zu achten, die nach den Recherchen der CIR verantwortungsvoll arbeiten: Fair Trade, GOTS und FWF. Denn nicht jedes Label sei seriös. Zahlreiche Bekleidungs-Unternehmen sagten von sich, dass sie transparent seien und sozial und ökologisch produzierten. Sie würden aber oft nichts anderes als „Greenwashing“ betreiben: sich selbst grün- und damit reinwaschen.

 

Nachhaltig kaufen oder tauschen

 

Clodius achtet auch selbst beim Kleiderkauf auf Nachhaltigkeit. „Ich fahre eine Mischtechnik: weniger kaufen und auf gute Qualität achten, die länger hält. Zudem Produkte von Firmen, die sich mit dem Siegel kontrollieren lassen“, sagt sie. „Manchmal tausche ich meine Sachen auf einer Kleiderbörse. Und ich bekomme viele Stücke von meiner Tante geschenkt, die dieselbe Kleidergröße hat wie ich.“ Seltener gehe sie in Second-Hand-Läden.

Hilfreiche Label im Internet
Der Global Organic Textile Standard: www.global-standard.org
Das Fairtrade-Siegel: www.fairtrade-deutschland.de
Die Fair Wear Foundation (FWF): www.fairwear.org

In verschiedenen deutschen Städten gebe es auch Fair-Läden oder Grüne-Mode-Läden – in Münster davon gleich zwei. Die Adressen könne man auf Grüne-Mode-Portalen im Internet finden. „Die Artikel sind oft genauso teuer wie bessere Markenprodukte. Auch im fairen Bereich gibt es Schnäppchen, etwa beim Ausverkauf.“

 

Im Laden nach Label fragen

 

Kirsten Clodius geht es darum, dass Bewusstsein von Kunden, Verkäufern und Unternehmen zu verändern. „Fragen Sie die Verkäuferin nach den guten Siegeln“, rät sie. Inhabergeführte Geschäfte, aber auch Unternehmen, die auf ihr Prestige Wert legen, könne das positiv beeinflussen. Zudem sei faire Mode heute nicht mehr altbacken. „Jeansfirmen wie Armed Angels und Nudies Jeans gibt es in ganz normalen Läden, und sie sehen modisch aus.“

CIR hat ein Büchlein herausgegeben, das man für zwei Euro plus Versandkosten bestellen oder online einsehen kann: einen „Wegweiser durch das Label-Labyrinth“ (siehe Kasten unten). Damit können Kunden sozial und ökologisch nachhaltig einkaufen.

Nachhaltig einkaufen
Einkaufen soll Spaß machen, aber nicht auf Kosten von rechtlosen Menschen gehen, die Kleidung zu einem Hungerlohn produzieren müssen. Die Christliche Initiative Romero (CIR) gibt Tipps.
Die CIR hat einen „Wegweiser durch das Label-Labyrinth“ herausgegeben. Er hilft, sich im Irrgarten ethischer Standards zurechtzufinden und kostet zwei Euro plus Versandkosten: www.ci-romero.de/material-details/produkt/wegweiser-durch-das-label-labyrinth/
Denken Sie beim Einkauf darüber nach, ob das Kleidungsstück notwendig ist. Verzichten Sie auf Schnäppchen-Einkäufe.
Organisieren Sie Kleidertauschpartys etwa bei sich zuhause, im Pfarrheim, im Café.
Kaufen Sie bei Unternehmen, die sich verpflichtet haben, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Sie findet man unter Fair Wear Foundation und Grüne Mode: www.fairwear.org; www.gruenemode.org

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