Themenwoche „Katholische Verbände im Wandel“ (2) - Interview mit Diözesankomitee-Vorsitzendem

Wie katholisch müssen katholische Verbände sein, Ulrich Vollmer?

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Ob Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, Katholische Frauengemeinschaft, katholische Schützenvereine oder Jugendverbände: Sie alle öffnen sich auch für Nicht-Katholiken. Eine Chance, um relevant auch in der Gesellschaft zu bleiben – oder Verwässerung des katholischen Profils? Wir haben Ulrich Vollmer gefragt, Vorsitzender des Diözesankomitees im Bistum Münster und langjähriger Bundessekretär des Kolpingwerks Deutschlands.

Herr Vollmer, viele katholische Verbände haben sich für Muslime, Ausgetretene und für Menschen geöffnet, deren Lebensweise nach wie vor nicht dem katholischen Ideal entspricht. Wie bewerten Sie das?

Wir haben diese nicht einfache, aber notwendige Diskussion auch in meinem eigenen Verband, bei Kolping, geführt – oft sehr emotional. Für uns war klar, dass wir uns selbstverständlich zu unserer Herkunft bekennen, Teil der katholischen Kirche sind. Zugleich aber haben wir die Notwendigkeit erkannt: Verbände leben nicht auf einer Insel der Glückseligen, sondern mitten in unserer heutigen, säkularen Gesellschaft. Darum muss es jetzt eine erneute und weitere Öffnung geben. Übrigens konnten schon zu Zeiten Adolph Kolpings auch Handwerksgesellen, die nicht katholische Christen waren, in seinen Gesellenvereinen Mitglied werden.

Wo sind Grenzen für eine Mitgliedschaft? Was macht einen katholischen Verband zu einem katholischen Verband?

Ulrich Vollmer, geboren 1957, ehrenamtlich engagiert im Kolpingwerk seit 1976, hauptamtlicher Bundessekretär des Kolpingwerkes Deutschland von 2008 bis 2022. Seitdem ist er mit Brigitte Lehmann Vorsitzender des Diözesankomitees im Bistum Münster.

Verbände sind demokratisch verfasst und haben programmatische Grundlagen. In meinem Verband sind das: Person und Botschaft Jesu Christi, das Wirken und Wollen Adolph Kolpings und schließlich – orientiert an der katholischen Soziallehre – unser christliches Menschenbild. Das können auch Menschen mittragen, ohne Christen zu sein. Darüber hinaus prägen drei Wesensmerkmale katholische Verbandsarbeit: eine am Glauben und Leben orientierte Spiritualität, Bildungsarbeit – die weit mehr ist als reine Wissensvermittlung – und schließlich unser engagiertes Wirken als Christen in die Gesellschaft hinein. Das unterscheidet uns vielfach von rein religiösen Gemeinschaften. Aufgabe ist, hier stets einen guten Ausgleich zu finden. Schwierig wird es, wenn jemand meint, in einem katholischen Verband sei nur das Geistig-Religiöse wichtig, aber den Bildungsauftrag oder gesellschaftlichen Auftrag nicht im Blick hat.

Ist Katholisch-sein in diesen Krisenzeiten eher ein Problem für die Verbände – oder wären ihre Mitglieder längst ausgetreten, wenn es die Verbände nicht gäbe?

Ich erlebe, dass katholische Verbände vielfach Menschen erreichen, die sich von der verfassten Kirche längst distanziert oder sich leider auch ganz verabschiedet haben – und doch eine religiöse Beheimatung wollen, suchen und finden, wie in der KFD, KAB oder einem der Jugendverbände. Das nimmt definitiv zu, ist Realität!

Welchen Rat geben Sie der – wie Sie sie nennen – „verfassten Kirche“?

Ich wünschte mir, dass Verantwortliche in unserer Kirche positiv sähen, dass die Verbände vor Ort und überörtlich Menschen erreichen, die sie nicht mehr erreichen. Darum brauchen Verbände einen Freiraum, den die verfasste Kirche so nicht zulässt.

Was meinen Sie konkret?

Nehmen Sie die inzwischen reformierte Grundordnung der katholischen Kirche. Gott sei Dank hat es da erste notwendige Änderungen gegeben. Dennoch sollten katholische Verbände – die ja freie Vereinigungen von Gläubigen sind – selber entscheiden dürfen, ob sie diese anwenden wollen oder auch nicht.

Ein weiterer, aus meiner Sicht kritischer Punkt ist, dass es in der aktuellen Grundordnung nicht nur um Mitarbeitende, also Angestellte der Kirche geht, sondern sie auch für Ehrenamtliche gilt, die Leitungsverantwortung tragen. Das halte ich für fatal, das geht überhaupt nicht. Denn als ein ehrenamtlich Engagierter stehe ich in keinem Arbeits- oder Dienstverhältnis mit der verfassten Kirche! Ich engagiere mich bewusst aufgrund von Taufe und Firmung in und für unsere Kirche.

Auch die finanzielle Unterstützung von Verbänden durch Diözesen, die es immer noch in vielen – wenn auch nicht allen Diözesen – gibt, sollte nicht mehr an bestimmte Förderbedingungen, die vielfach in die Autonomie der Verbände eingreifen, gebunden sein.

Was sagen Sie Kritikern, die eine Öffnung der Verbände für Nicht-Katholiken als Verwässerung des katholischen Profils bewerten?

Wenn Verbände sich in ihrer Programmatik klar zur katholischen Kirche bekennen und ihren Mitgliedern – beziehungsweise Menschen, die sie für eine Mitgliedschaft und ein Engagement gewinnen wollen – klarmachen, was die Grundlagen und Praxis des Verbandes sind, dann kann von Verwässerung keine Rede sein. Es ist und bleibt sicherlich auch ein Spagat und eine Herausforderung, was eine kontinuierliche Selbstvergewisserung braucht.

Ein Blick in die Geschichte der Verbände macht deutlich, dass es immer wieder notwendige Veränderungen beziehungsweise Weiterentwicklungen in den Verbänden gegeben hat – auch mit Blick auf Veränderungsprozesse in Gesellschaft und Kirche. Ich bin davon überzeugt, dass Verbände ihre Identität behalten, wenn es in einem guten Ausgleich gelingt, sich stets der eigenen verbandlichen Wurzeln bewusst zu sein und zugleich Neues auf den Weg zu bringen. Eine bleibende und spannende Aufgabe!

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