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Vater, Mutter und zwei, drei Kinder: So sieht wohl die Idealfamilie aus offizieller katholischer Sicht aus. Die gesellschaftliche und längst auch die katholische Wirklichkeit ist weitaus bunter. In unserer Themenwoche „Familien- und Lebensformen“ stellen wir jeden Tag Menschen in ganz unterschiedlichen Konstellationen vor, ihren Alltag, ihren Glauben, ihre Freuden und Sorgen. Diesmal Jan Baumann und Nils Diekmann.
Mit Regenbogenfahnen auf Altären von Kirchen haben im Mai 2021 katholische Pfarrer überall in Deutschland gleichgeschlechtliche Paare gesegnet. Ein bewusster Verstoß gegen klare Vorgaben aus Rom. Schließlich hatte die Glaubenskongregation im Vatikan kategorisch verboten, homosexuelle Paare zu segnen.
Dieser Segen war für Jan Baumann ein „kleiner Etappensieg auf einem langen Weg“. Der 30-Jährige lebt mit Nils Diekmann in einer queeren Partnerschaft und freut sich über das Zeichen, das von diesem „pastoralen Ungehorsam“ ausgeht: „Ihr gehört zu uns.“
"Alle haben gleiche Würde"
„Es verletzt mich, dass die katholische Kirche mir und meinem Partner abspricht, Familie zu sein“, berichtet der Krankenpfleger. „Wir haben alle die gleiche Würde, egal welchen Geschlechts und Lebensmodells. Und die Kirche muss lernen, dass es auch andere Lebensmodelle gibt, außer den von ihr propagierten.“ Denn: „Jedes Modell ist gut so, wie es ist.“
Baumann und Diekmann leben in einer konfessionellen „Mischpartnerschaft“, wie sie es nennen, in der der eine katholisch und der andere evangelisch ist. „Das führt, wenn es um Glaubensfragen geht, gelegentlich zu Spannungen“, erzählt Diekmann. „Denn ich stehe der katholischen Kirche sehr kritisch gegenüber. Ich wäre auch nicht bereit, in eine Institution einzutreten, die mich aufgrund meiner Sexualität ablehnt“, führt der 28-jährige Bankangestellte aus.
Hadern mit der Institution
„Ich bin überzeugter Christ, ringe aber mit der Institution“, entgegnet Jan Baumann, der Katholik, und zitiert den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing: ‚Ich leide an und mit meiner Kirche.“ „Das trifft es eigentlich ganz gut.“
Denn während sich sein Partner in der evangelischen Kirche „erwünscht und gesehen“ fühlt, hadert der Krankenpfleger ab und zu am katholischen Bodenpersonal: „Ich reagiere allergisch, wenn Kleriker vermeintlich tolerant sein wollen und dann solche Sachen sagen wie: Man muss barmherzig mit queeren Menschen sein, ihr Leid sehen. Nein, muss man nicht“, betont er mit Nachdruck. „Wir sind nicht krank und leiden an nichts, außer an der Ansicht der Kirche.“
Austritt ist für beide kein Thema
Doch ein Austritt aus der Institution kommt für beide nicht in Frage. Diese sei schon wichtig, da sich die Kirche in Deutschland einmische, Stellung beziehe und gute Jugendarbeit leiste.
„Ich habe einen tiefen, festen Glauben an Gott“, gibt Diekmann Einblick. Die Institution diene dazu, diesen zu praktizieren. „Mein Glaube gilt aber Gott. Er gibt mir Kraft und Sicherheit.“
Gottvertrauen gegen Anfeindungen
Baumann seinerseits erzählt in seinem Glaubensbekenntnis, dass Gott sein „Halt und Anker“ sei. „Es beruhigt mich zu wissen, dass es jemanden gibt, der mich beschützt und begleitet. Und ein Gottesdienst hat etwas Meditatives. Ich gehe danach gestählt in den Alltag hinaus.“
Sein Gottvertrauen habe ihn so manche Anfeindung ertragen lassen. Nicht nur an ihn als queere Person. Auch die Frage von anderen queeren Menschen, „warum ich noch in dieser Kirche bin, die mir oftmals das Gefühl vermittelt, dass sie mich nicht will“, sei zermürbend. Ohne dieses Vertrauen „hätte ich schon längst aufgegeben“.
Heimat in Queergemeinde
Seine kirchliche Heimat hat Baumann in der Pfarrei St. Joseph Münster-Süd gefunden, wo die Queergemeinde jeden zweiten Sonntag im Monat Gottesdienst feiert. „Da kann ich gut als homosexueller Mann Teil der Kirche sein“, erzählt der Krankenpfleger, der nebenberuflich Orgel spielt und im Pfarreirat mitwirkt.
Vor kurzem hat die Queergemeinde Bischof Felix Genn besucht – und war positiv überrascht. „Er hat gesagt, dass er uns nicht am Rand der Kirche sieht, wo Ausgestoßene und Kirchenferne sind, sondern mit im Zentrum der Kirche“, freut sich der 30-Jährige über diese Aussage. „Es tut gut zu hören, dass Bischof Felix oder auch Weihbischof Dieter Geerlings, der mit uns Gottesdienst gefeiert hat, anders denken.“ Ein Zeichen der Hoffnung, dass Kirche in Bewegung ist.