Bestseller-Autor über Pfarreiratswahlen, Kirchenkrise und Strukturwandel

Erik Flügge: „Gremien um ein Drittel kürzen und mehr Partys feiern“

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Na, welche Pfarrei hat auf einen Schlag alle Kandidaten für die anstehenden Wahlen im November beisammen? Über die Schwierigkeit, engagierte Ehrenamtliche für kirchliche Gremienarbeit zu finden – und warum es nicht schlecht ist, Frauen dreimal zu fragen oder von Haus zu Haus zu gehen, darüber haben wir mit dem Unternehmensberater Erik Flügge gesprochen. Der Autor mehrerer kirchlicher Beststeller gibt Tipps, wie sich Mitarbeitende bei „Kirchens“ motivieren lassen.

Herr Flügge, wieder sind Pfarreirats- und Kirchenvorstandswahl – und wieder stehen Pfarreien vor der Herausforderung, Kandidaten zu gewinnen. Warum ist das so schwer?

Da geht es grundlegend um Haltung im ersten Schritt. Ob Leute Lust haben, im Gremium mitzuarbeiten oder nicht, entscheidet sich am Umgang des leitenden Pfarrers mit diesem Gremium. Wenn ich dort etwas entscheiden kann, wenn ich Dinge auf den Weg bringen kann, wenn es Wertschätzung gibt, dann gibt es auch Leute, die sich dafür finden. Wenn man aber das Gefühl hat, man ist nur so ein „Abnickgremium“, dann sind solche Gremien auch wirklich erfolglos und tun sich immer schwerer, Mitglieder zu finden.

Auch wenn ich als Pfarreirat, als Gemeinde, diese Grundlagen gelegt habe, also wenn ich sichergestellt habe, dass das, was ich da tue, wirklich ernst genommen wird, dann ist damit noch nicht entschieden, dass mir die Bude eingerannt wird bei den Kandidaturen. Das ist ein Ehrenamt über mehrere Jahre hinweg, man muss sich dafür wählen lassen, man lässt sich auch in Haftung nehmen von einer Institution, die gerade in der öffentlichen Wahrnehmung ordentlich Schlagseite hat. Man wird ein Gesicht einer Gemeinde - und will man das gerade werden? Da helfen keine Werbekampagnen, da helfen keine Sprüche, da helfen keine Artikel im Gemeindeblatt.

Was kann denn helfen?

Beziehung. Direkt das Gespräch suchen. Und zwar ganz aktiv und ganz bewusst. Dabei haben wir allerdings immer die vor Augen, die sowieso schon ganz viele Posten in der Gemeinde machen. Es lohnt sich manchmal, den Radius viel weiterzuziehen in der Gemeinde, und zum Beispiel Menschen anzusprechen, die nur ab und an auftauchen.

In Ihrem Buch „Eine Kirche für viele – statt heiligem Rest“, das Sie gemeinsam mit Ihrem aus der Kirche ausgetretenen Kollegen David Holte verfasst haben, plädieren Sie dafür, ganz konkret von Haus zu Haus zu gehen und zu klingeln. Ist das nicht zu aufdringlich?

Bei mir haben Sie es mit einem Verfechter für Kontaktarbeit zu tun. Erstens, weil sich in vielen Studien nachweisen lässt, dass diese Form funktioniert, und dass diese Form beziehungsstiftend ist. Sie werden in kirchlichen Kreisen aber unendlich viele Ausreden hören, warum man das nicht machen will, nicht machen kann und nicht machen sollte. Darum passiert das nicht. Aber eines bleibt klar: Würde man es machen, hätte man mehr Erfolg.

Für die Pfarreiratswahl geht es aber in dem Fall jetzt gar nicht um ,Haus-zu-Haus‘. Diese Herangehensweise finde ich generell für das Management einer Gemeinde klug. In diesem speziellen Fall lohnt schlicht ein Anruf bei denen, die am Gemeindeleben nur am Rand teilnehmen. Diese sollten ganz bewusst vom Pfarrer oder von Mitarbeitenden im Pastoralteam angesprochen und motiviert werden, auch im Pfarreirat mitzuwirken. Wenn sie das strategisch tun, erreichen sie mehr Menschen – vor allem mehr Frauen.

Spielt das bei der Ansprache, bei der Werbung um Kandidatinnen eine besondere Rolle?

Ich bin Politikwissenschaftler, ich beschäftige mich viel mit Kandidaturen und Wahlverfahren. Wir wissen, dass Frauen nicht so schnell die Hand heben, wie Männer das tun.

Immer noch nicht?

Immer noch nicht. Frauen überlegen im Trend dreimal: „Kann das nicht jemand anders vielleicht noch besser?“ oder „sollte es nicht vielleicht jemand anders machen?“ Nachweislich muss man weibliche Kandidierende im Trend mehrfach ansprechen, also mehrfach Ansprache der gleichen Person, um sie für diese Kandidatur zu gewinnen. Wenn sich dann eine Frau für die Kandidatur entscheidet, ist diese Kandidatur im Gegenzug dann auch meistens besser durchdacht.

Hätten Sie sonst noch einen Vorschlag, wie sich das ganze Verfahren noch entschlacken lässt? Braucht es nur noch fünf statt zehn Menschen?

Grundsätzlich hat der Katholizismus bundesweit über die Gemeinden, über die Verbände, über die Organisationen, die Teilorganisationen, die Fachbereiche Strukturen entwickelt, die entstanden und gewachsen sind, zu einer Zeit, zu der es noch wesentlich mehr Engagierte gab. Dort wurden Gremiengrößen festgelegt. Und diese Gremiengrößen stehen natürlich in Proportionen zu einem riesigen Pool an damals aktiven Leuten.

Ich halte das für einen klugen Schritt, bistumsweit über alle Strukturen hinweg zu sagen: „Komm, lass uns alles, was es gibt, zum Beispiel um ein Drittel – die genaue Zahl ist nicht entscheidend - reduzieren.“ Das empfehle ich häufig auch Verbänden wie Kolping oder Caritasvorstand, die mich einladen: „Macht mal einen Schnitt bei allen Funktionen, die ihr habt.“

Das macht Sinn, denn wenn wir ehrlich sind: In so einem Pfarreirat sind nicht alle wirklich ganz aktiv in der Mitarbeit. Sie wurden vielleicht überredet mitzumachen und haben deswegen nicht so wirklich Lust. Diese Mitarbeiter gehen gar nicht so stark ins Engagement! Wenn es eine Reduktion gibt, müssen viel weniger von diesen Leuten für das Gremium gefunden werden. Also ich verliere eigentlich nichts.

Stichwort „Keine Lust“: Wie können wir Ehrenamtliche oder uns auch selbst motivieren, bei Kirchens trotz vieler Krisen weiter mitzumachen?

Ich glaube auch, dass der Katholizismus seit einer Weile in einer Spirale der Negativnachrichten gefangen ist. Der wichtigste Beitrag, den ich dazu leisten kann, um Menschen zu motivieren, in dieser Gemeinde mitzumachen, ist, ein lebendiges Gemeindeleben zu pflegen. Ein Gemeindeleben, das sich offensiv nach Außen erzählt, das fröhliche Feste feiert, das Lust hat und Lust macht, an diesem Gemeindeleben teilzunehmen. Wenn Sie sich auch in ihren Gremien vor Ort immer nur um Probleme drehen, wer hat denn dann in seiner Freizeit Lust drauf? Das erschöpft ja irgendwann, man kann auch ausbrennen an diesem ständigen Problemfokus.

Ich bin zum Beispiel der Überzeugung, dass Kirchengemeinderäte vor Ort nicht die globalen Probleme der katholischen Kirche lösen müssen. Sie können sie auch nicht lösen, das müssen schon die Bischöfe und der Papst leisten. Sondern, was Sie tun sollten, wäre zu sagen: Ihr rettet nicht den ganzen Laden, aber ihr kriegt das vielleicht hin, ein großartiges Fest zu feiern, eine Themenwoche zu organisieren, sich realistische Ziele stecken, diese mit Freude verfolgen und erfüllen. Sich nicht die ganze Zeit ums Problem zu drehen, sondern für sich gut Gemeinde sein.

Erik Flügge, Jahrgang 1986, ist Autor mehrerer Bestseller zu kirchlicher Kommunikation. Er unterrichtet crossmediale Glaubenskommunikation an der Universität Bochum. Mit seiner Agentur „SQUIRREL & NUTS“ entwickelt er Kampagnen für Parteien, Kirchen und Organisationen. 2015 initiierte er für die Deutsche Bischofskonferenz die Dokumentation „Valerie und der Priester“.

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