Früherer ARD-Korrespondent spricht am 27. September in Münster

Richard Schneider: Israel ist auf dem Weg zur „illiberalen Demokratie“

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Israel ist politisch in Aufruhr, auch Angriffe auf christliche Einrichtungen nehmen zu. Was ist da los im Heiligen Land? Antworten von Richard C. Schneider. Der Journalist und Dokumentarfilmer war von 2006 bis 2015 Leiter des ARD-Fernsehstudios Tel Aviv. Heute schreibt er auch als Autor für den „Spiegel“ über Israel.

Herr Schneider, wie berechtigt ist die Sorge wegen des Handelns der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanjahu in Israel?

Sehr berechtigt, weil die geplante Justizreform ein Schritt in Richtung einer „illiberalen Demokratie“ ist, wie es Viktor Orban in Ungarn nennt. Die Schwäche des politischen Systems in Israel ist, dass es nur eine Institution gibt, die die Regierung kontrolliert. Das ist das oberste Gericht. Die Justizreform soll diese Kontrollfunktion komplett aufheben, wenn das auch vielleicht nur zum Teil gelingt. Zudem möchte die Regierung die Mehrheit in dem Gremium erhalten, das Richter für das oberste Gericht beruft.

Gegen die Reform gibt es seit Monaten Proteste. Was haben sie erreicht?

Wohin es sich entwickelt, ist noch nicht ganz klar. Aber ein Durchmarsch ist der Regierung mit ihren Plänen nicht gelungen. Bisher hat sie nur ein großes Gesetz durchgebracht und zwei kleinere. Es spricht für die Stärke des Landes, dass seit acht Monaten Menschen gegen die Regierung und ihre Pläne auf die Straße gehen, und das beinahe täglich.

Wie verändert sich die Lage für christliche Gemeinschaften?

Lesung in Münster
Am Mittwoch, 27. September, um 19 Uhr liest Richard C. Schneider in der katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster aus seinem Buch „Die Sache mit Israel“. Es sind noch wenige Karten erhältlich. Eine Anmeldung ist im Internet möglich.

Angriffe aus dem rechtsextremen und konservativen Spektrum auf christliche Einrichtungen haben zugenommen. Die Täter könnten sich durch die Haltung der Regierung ermutigt fühlen. Aber man muss zwei Dinge sehen: Die Gewalt gegen Christen lässt sich nicht mit dem Niveau vergleichen, das Angriffe – auch körperliche – in einigen muslimisch geprägten Ländern erreichen. Und: Die Christen sind in der Auseinandersetzung in Israel kaum von Interesse, sie spielen keine Rolle. Es geht gegen das liberale und säkulare Judentum.

Wie sollten ausländische Politiker reagieren?

Sie müssen benennen, dass in Israel eine Regierung die Demokratie gefährdet. Und sie müssen klar machen, wo sie selbst stehen. US-Präsident Joe Biden hat Premier Netanjahu bis heute nicht empfangen. Und die rechtsextremen israelischen Minister sind „persona non grata“. Als einer von ihnen in Washington war, hat niemand von der Regierung mit ihm gesprochen.

Wie weit kann vor dem Hintergrund der Geschichte die deutsche Kritik an der Regierung des jüdischen Staates gehen?

Das Buch
Das aktuelle Buch „Die Sache mit Israel“ von Richard C. Schneider können Sie bei unserem Partner Dialogversand hier bequem direkt bestellen.

Es ist schwierig, weil es Hemmungen gibt. Aber auch für Deutschland sollte klar sein: Die Demokratie in Israel ist nicht verhandelbar. Wenn ein demokratisches System kippt, muss man das benennen. Allerdings möchte ich den moralischen Anspruch mit einem Fragezeichen versehen. Die Deutschen haben mit autoritären Regimes immer beste Geschäfte gemacht – nachdem sie vielleicht vorher einen kritischen Satz über Menschenrechte gesagt haben. Denken Sie an den Iran, an Russland und China. Wie ehrlich sind die Europäer mit sich selbst? Warum sind Ungarn und Polen noch immer Mitglied der EU? Und dass Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz mit der rechtspopulistischen FPÖ koaliert hat, hat auch niemanden mehr gestört.

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