85-prozentige Zustimmung zu zwei Handlungstexten beim Synodalen Weg in Frankfurt

Synodalforum will reformierte Lehre zu Sexualität und Homosexualität

Anzeige

Der letzte Tag der Synodalversammlung in Frankfurt widmete sich dem Forum IV "Leben in gelingenden Beziehungen - Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft". Nachdem im Herbst 2021 bereits der Grundlagentext in erster Lesung beraten wurde, standen jetzt zwei sogenannte Handlungstexte zur Debatte - über die kirchlichen Aussagen zur Ehe und über Homosexualität. 

Muss die Lehre das Leben prägen - oder geht das Leben der Lehre voraus? Und vor allem: Was lässt sich die Liebe überhaupt sagen? Was ist katholisch, was evangeliumsgemäß, was menschenfreundlich, was zeitgemäß? Der Synodale Weg hat am letzten Tag seiner dritten Synodalversammlung ein weiteres klares Signal gesetzt: Die katholische Lehre zu Sexualität, Ehe und Homosexualität braucht eine Weiterentwicklung. Womöglich einen Paradigmenwechsel.

Vielleicht sogar einen Bruch. Letzteres sagte, um die provokative Kraft wissend, der Münsteraner Priester Michael Berentzen, der zudem zu einem der drei Moderatoren-Teams der Synodalversammlungen gehört: "Wir brechen mit einer Sprache, die Verletzung institutionalisiert. Aber wir bleiben in der Kontinuität der Menschenfreundlichkeit Gottes." Er rief dazu auf, den Kampf gegen wissenschaftliche Erkenntnisse zu beenden - "solche Kämpfe haben wir immer verloren". Berentzen ermutigte stattdessen: "Kämpfen wir für die Liebe!"

Worum geht es?

Nach der Beschäftigung mit den Fragen nach der Zulassung von Frauen zum Amt, zur Zukunft des Zölibats, zum Umgang mit Macht sah sich die Synodalversammlung in Frankfurt erneut in Konfrontation mit dem, was als katholische Lehre gilt. Knapp zusammengefasst sagt sie: Sexualität darf es nur in der Ehe geben. Die wiederum ist nur zwischen Frau und Mann denkbar und muss auf Nachkommenschaft hin ausgerichtet sein. Künstliche Verhütung und Selbstbefriedigung sind verboten, gelebte Homosexualität eine Sünde.

Dass es da grundsätzliche Reformen braucht, hatte die Synodalversammlung schon vor vier Monaten mit dem sogenannten Grundtext zum Themenbereich Sexualität beschlossen (168 von 201 Stimmen). Jetzt ging es darum, konkret zu werden. Am Vormittag standen daher zwei "Handlungstexte" in Erster Lesung zur Debatte - über "lehramtliche Aussagen zu ehelicher Liebe" und über eine "lehramtliche Neubewertung von Homosexualität". Besonders im Titel des zweiten Themas war die Richtung deutlich: Beim Status Quo der Lehre soll es nicht bleiben.

"Kirche hat im Schlafzimmer nichts zu suchen"

Der Priester und emeritierte Philosophie-Professor Eberhard Tiefensee formulierte es so: "In keinem Bereich außer dem Schlafzimmer geht die kirchliche Lehre derart ins Detail. Hier muss eine Grenze gezogen werden."

Ähnlich äußerte sich Sarah Henschke vom Bundesverband der Gemeindereferent:innen: "Kirche hat im Schlafzimmer nicht zu suchen - weder in dem von Eheleuten noch in dem von unverheirateten Menschen." Und weiter: "Menschen haben Sex, auch vor der Ehe. Das ist eine Tatsache. Und es ist eine Tatsache, dass sich junge Menschen nicht daran halten, was die katholische Kirche sagt."

"Meine Frau hat nicht einen legalen Sexualpartner geheiratet"

Der Münsteraner Theologe Thomas Söding, Vize-Präsident der Synodalversammlung, betonte: "Ohne Freiheit gibt es keine Liebe. Aber die Kirche hat viel zu viel in Verbote investiert, um diese Freiheit zu begrenzen." Der vorgelegte Text setze auf Freiheit, Verantwortung und Liebe.

Und sein Kollege Andreas Lob-Hüdepohl wies darauf hin: "Meine Frau hat mich vor 35 Jahren nicht geheiratet, um mit mir einen legalen Sexualpartner zu haben, sondern um einen Bund der Liebe einzugehen."

Stuttgarter Stadtdekan Hermes: Viel Elend, viel Verkorksung

Aus der seelsorglichen Praxis als Beichtvater berichtete der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes. Er habe dabei "viel Elend und eine Fixierung auf sexuelle Themen nicht nur bei älteren Menschen, sondern gerade auch bei jüngeren mit sehr konservativem Hintergrund erlebt", berichtete er. "Es bestürzt mich, wieviel Verkorksung es da gibt." Er betonte, nicht das sechste Gebot ("Du sollst nicht die Ehe brechen") sei das wichtigste, sondern das Gebot der Liebe. 

Als einer, der "4.000 Paare auf die Ehe vorbereitet und viele als Berater begleitet" habe, wünschte sich Familienbund-Präsident Ulrich Hofmann, "dass wir die Vielfalt der Biographien der katholischen Ehepaare ernster nehmen. Vielleicht gibt es ja auch so etwas wie das Lehramt der Verheirateten".

Sorge: Machen die Bischöfe mit?

Mitten in die engagierte und von Befreiungsfreude geprägte Debatte stellte Pfarrer Christoph Uttenreuter aus dem Erzbistum Bamberg seine Sorge, dass der Text nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe erhalten könnte. "Wenn ich zu viel fordere, werden sie womöglich nicht zustimmen."

Sitzungsleiterin Claudia Nothelle beruhigte, noch sei man ja mitten in der ersten Lesung, die zweite stehe noch aus, und bis dahin werde man sehen. Auch Bischof Georg Bätzing ging auf diese Angst ein und stellte in Aussicht, bei der nächsten Vollersammlung noch intensiver Fragen der Anthropologie und der Sakramentalität zu besprechen. Darauf hätten sich auch die Bischöfe verabredet.

Zekorn: Widerspruch zur Lehre

Wie berechtigt die Sorge des Pfarrers ist, zeigte sich an den deutlichen Vorbehalten einiger Bischöfe. Noch vor der Debatte hatte der Bamberger Weihbischof Herwig Gössl bei der Vorstellung des Textes klargemacht, dass "die Lehre eine Voraussetzung für die kirchliche Praxis ist". Der Augsburger Bischof Meier fragte, ob die Kirche wieder auf die Füße komme, "wenn möglichst alles auf den Kopf gestellt und kein Stein mehr auf dem anderen bleibt". Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt sagte, wichtiger als ein Ankommen in der Lebenswirklichkeit sei ein Ankommen der Getauften im Glauben; er könnte nicht mitgehen, "wenn die Ehe als Ort der Diskriminierung bezeichnet wird, weil andere Lebensformen nicht gewürdigt würden". 

Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff wies eine Weitung des Begriffs "Fruchtbarkeit" als Eheziel zurück, die Zeugung von Nachkommen sei nunmal "existenziell". Auch für den Münsteraner Weihbischof Stefan Zekorn ist der Text keine Weiterentwicklung, sondern ein Gegensatz zur bestehenden Lehre. Nach seiner Wahrnehmung fehle im Text die Aussage, "dass eine Ehe grundsätzlich auch auf Kinder ausgerichtet ist".

"Theologie des Leibes": Richtig, richtig schön

Auch von einigen Frauen kamen kritische Rückmeldungen. Juliane Eckstein sagte, sie fühle sich als Ehefrau und Mutter "nicht gezwungen, noch mehr Kinder zu bekommen". Eine andere Mutter, Ursula Hahmann, entgegnete: "Ich bin katholisch, verheiratet, habe Kinder - ich habe aus katholischer Sicht perfekt abgeliefert. Jetzt erwarte ich von der Kirche, dass auch sie liefert und aufhört, Menschen zu diskriminieren."

Dass die Kirche nicht einschränken, "sondern zeigen will, was Liebe ist", betonte Dorothea Schmidt von der konservativen Initiative "Maria 1.0". Die "Theologie des Leibes", die vor allem Papst Johannes Paul II. prägte, sei "richtig, richtig schön in einer Beziehung". Eine neue Sexualmoral entferne sich "in großen Schritten vom Lehramt, von der Weltkirche und von dem, was den Menschen ausmacht".

Marx: Katechismus ist nicht der Koran

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer wiederum beklagte, die bisherige Lehre würde "fast durchgängig negativ und angstmachend dargestellt". Auch er verwies auf die "Theologie des Leibes", die er "als befreiend für mein eigenes Leben erfahren haben". Er sehe keine Weiterentwicklung der Lehre, sondern fürchte einen Paradigmenwechsel.

"Der Katechismus ist nicht der Koran", entgegnete Kardinal Reinhard Marx umgehend. "Er wird immer wieder geändert - wie etwa bei der Todesstrafe." Sie war zunächst als "ultima ratio" legitimiert, wurde aber von Papst Franziskus vollständig abgelehnt. Marx warnte zudem vor einer "Expansion des Lehramts": "Die Theologie des Leibes ist nicht sofort Lehre der Kirche." Er warb um Vorsicht und Zurücknehmen in diesem Themenbereich. Und der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl ergänzte: "Die Theologie des Leibes wird ja nicht verboten, aber es wird anderes erlaubt."

Heße: Woher idealtypische Menschen nehmen?

Auch der Speyrer Bischof Karl-Heinz Wiesemann konnte in dem Text keinen Paradigmenwechsel erkennen. "Es wäre einer, wenn die Ehe in ihrer sakramentalen Gestalt nicht gewürdigt würde - aber das kann ich hier nicht sehen."

Pragmatisch argumentierte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Er las den Text als eine "Antwort für Menschen, die nicht dem Ideal entsprechen, und davon gibt es viele." Das Dokument öffne zudem Wege für das Arbeitsrecht, das bislang etwa wiederverheiratete und queere Personen kündigen kann. "Woher sollen denn die idealtypischen Menschen kommen, die unsere Einrichtungen tragen? Diese Einrichtungen zu schließen, weil wir die Leute nicht haben, wäre die schlechtere Lösung." Er sei dankbar für diese "Durchreichung an die Weltkirche".

Und der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck mahnte dazu, sich klarzumachen, "warum wir hier sind": "In diesem Bereich haben wir bei 99 Prozent der Menschen die Glaubwürdigkeit verloren. Wie gewinnen wir sie wieder?" Es sei notwendig, sich eine Weiterentwicklung der Lehre ins Aufgabenbuch zu schreiben.

Thema 2: Homosexualität

Soweit die Diskussion über die heterosexuellen Angelegenheiten. Gleich im Anschluss stand ein weitere Handlungstext zur Debatte - nämlich jener über eine Weiterentwicklung der katholischen Lehre über Homosexualität. 

Bischof Helmut Dieser, mit Birgit Mock Vorsitzender des entsprechenden Fach-Forums, bekannte schon zu Beginn, in der Aktion "OutInChurch", bei der sich Ende Januar 125 kirchliche Mitarbeitende als queer geoutet hatten, eine "Sehnsuchtsbewegung von Menschen in der Kirche" wahrgenommen zu haben. Die Sehnsucht der Teilnehmenden gehe dahin, "mitten in der Kirche zu sein." Und Dieser erklärte: "Wir sind eine Kirche, und wir machen so schon jetzt neue Erfahrungen des Kirche-Seins, indem wir verstehen: Das Anders-Sein des Anderen gehört in die Kirche hinein."

Was der Text will

Der Handlungstext spricht sich für eine Überarbeitung des Katechismus aus, für eine Zulassung auch homosexueller Menschen zu kirchlichen Ämtern und zur Weihe sowie für eine Ablehnung von Konversiontherapien und für die "Achtung der Selbstbestimmung in der seelsorglichen Begleitung". Wie aktuell vor allem der dritte Punkt ist, sollte sich im Verlauf der Diskussion noch erweisen.

Gleichwohl sei er ein "erster Schritt für eine Kirche ohne Angst, für eine wahre inklusive Kirche", betonte Miriam Gräve für das thematische Forum. Sie stellte sich als lesbische Religionslehrerin aus dem Erzbistum Köln vor, die bei "OutInChurch" mitgemacht habe.

Die Kirche und das Leid - bis heute in Ghana

Auch Hendrik Johannemann äußerte sich dazu: "Am 24. Januar ist etwas Unerhörtes geschehen: 125 queere Menschen haben sich als katholisch geoutet. Ich war einer davon." Und er bekannte: "Wir sind Gottes Kinder, wir sind Teil der Kirche." Zugleich verwies er auf die Situation in Ghana, wo zurzeit eine Verschärfung der Strafen gegen Homosexuelle im Parlament zur Abstimmung stünden - "und die ghanaische Bischofskonferenz stimmt dem zu", berichtete Johannemann. Derartige Diskriminierungen seien gleichwohl schon jetzt nicht mit dem Katechismus zu vereinbaren. Bischof Bätzing bat er eindringlich, darüber mit Papst Franziskus zu sprechen: "So etwas darf nicht mehr im Namen der Kirche geschehen. Es geht um Leib und Leben!"

Das große Leid, das die Kirche queeren Menschen angetan habe, beklagte erneut der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun. "Jetzt können wir umkehren, Menschen schützen und menschenfreundlich unterwegs sein. Dieser Text kann ein großer Schritt sein - auch für jene, von denen sich die Kirche entfernt hat."

Genn: Peinliche Beschränkungen im Katechismus

Ähnlich äußerte sich der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann. Er sprach sich für ein Schuldbekenntnis aus: "Wir wissen um das Leid, das homosexuelle Menschen erlitten haben."

Und während der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer in dem Text erneut keine Weiterentwicklung der Lehre sah, sondern einen Paradigmenwechsel beklagte, überraschte der Münsteraner Bischof Felix mit seiner Forderung, entsprechende Stellen des Katechismus dringlich zu ändern. "Aus langjähriger Erfahrung als Begleiter und Beichtvater und aus der Begegnung mit Menschen, die sich als nicht-heterosexuell erfahren, sage ich: Es ist notwendig, dass wir die Aussagen des Katechismus korrigieren. Wenn dort Homosexualität als Sünde gegen die Keuschheit beschrieben und Enthatsamkeit gefordert wird - diese Beschränkung auf die (geschlechtlichen, d. Red.) Akte ist peinlich."

Gerl-Falkovitz: Wieder ein "Missverständnis"?

Für einen weiteren Fall von tatsächlichem oder vermeintlichem Missverständnis sorgte indes die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Wenn in dem Text zur Homosexualität damit argumentiert werde, dass alle Menschen von Gott geschaffen sind, "hat das keinen Argumentationswert", sagte sie. Es sei zu hinterfragen, ob es stimme, wenn von Homosexuellen behauptet wird, "wir sind damit geboren".

Humanwissenschaftler gingen heute gerade nicht von einer genetischen, sondern von einer soziokulturellen Prägung der Menschen aus, "die diese Prägung haben oder die diese Prägung ändern wollen". Gerl-Falkovitz erklärte weiter: "Geschaffen-Sein von Gott heißt noch lange nicht Wachsen, Sich-Verändern, sexuelle Präferenzen ändern, sonst können wir nämlich auch sagen, die Pädophilen seien auch von Gott geschaffen." 

Mock: Grenze erreicht

Nach Ende der Debatte kritisierte Birgit Mock, eine der Vorsitzenden des Sexualitäts-Forums, das Wort, Gerl-Falkovitz deutlich: "Für mich ist hier eine Grenze erreicht. Wenn Menschen mit ihrer Sexualität als Paar im Sinn des Evangeliums leben - wenn da ein Vergleich mit Pädophilie angesprochen wird, ist eine Grenze erreicht." Die Kritisierte entgegnete, ihr sei es ausschließlich um den Satz "Jeder ist von Gott geschaffen" gegangen: "Ich habe niemanden diffamiert. Entweder man wird missverstanden oder man wird verstanden." 

Auch zu Beginn des folgenden spirituellen Impulses griff die geistliche Begleiterin Maria Boxberg die Situation auf: "Es ging nicht um den betreffenden Satz, Frau Gerl-Falkovitz." Boxberg bot ein Gespräch zu dritt an, "um frei zu werden für das gemeinsame Debattieren". Bischof Bätzing erklärte später, ein solches Gespräch habe stattgefunden und die Missverständnisse ausräumen können.

Überwältigende Zustimmung zu beiden Texten

Die Irritation, Provokation, Kritik änderte gleichwohl nichts an den deutlichen Abstimmungsergebnissen. Sowohl der Handlungstext über die "eheliche Liebe" als auch zur Neubewertung von Homosexualität wurden jeweils mit 85 Prozent angenommen.

Nun gehen sie in die Zweite Lesung. Ob sie auch dann noch Bestand haben werden, ob die Bischöfe ihnen auch dann mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit zustimmen, wird man sehen. An diesem Samstag jedenfalls waren die Zeichen wohl auch von bischöflicher Seite klar: Sie wollen diese Reformen.

Anzeige