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Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster hat Studientage zu sexualisierter Gewalt in der Kirche veranstaltet. Betroffene berichten über ihr Leid, für das sie ursächlich die Kirche und theologische Vorstellungen verantwortlich machen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen Missbrauchsthematik in den Lehrplan des Theologie-Studiums aufnehmen.
Die Studien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche werden die theologische Wissenschaft an den Universitäten verändern. „Es gibt historische Ereignisse und Prozesse, die die Theologie fundamental prägen. Der Missbrauch ist so ein Fall. Theologie kann nicht mehr betrieben werden, ohne diese Fixpunkte zu berücksichtigen. Sie verändern das Verständnis der Theologie nachhaltig“, sagte Thomas Neumann auf dem Studientag über sexualisierte Gewalt in der Kirche in Münster.
Die zweitägige Tagung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster stand unter dem Thema „Der Schatten der Institution“. Neumann, der an der Fakultät den Studiengang koordiniert, hatte zusammen mit einem Team junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher um Ludger Hiepel, Michael Pfister und Julia von der Linde Missbrauchsbetroffene und Experten eingeladen, um über die Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal für die Theologie zu diskutieren.
Sprachlosigkeit in der Theologie
„Unser Studientag soll ein Anfangspunkt sein für die Integration der Missbrauchsthematik in den Lehrplan des Theologiestudiums“, sagte Neumann. Entsetzen und Sprachlosigkeit habe die Öffentlichkeit und auch die Theologie erfasst, als in den vergangenen Jahren das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in der Kirche immer deutlicher wurde. „Gerade die Theologie muss als Glaubenswissenschaft jenseits von Betroffenheit Worte finden, wie künftig vor diesem Hintergrund Theologie betrieben werden kann“, so das Vorbereitungsteam.
Dass die Theologie als Ausbildungsstätte für Priester, Ordensleute und andere in der Kirche Tätigen herausgefordert ist, verdeutlichten mehrere Betroffene. „Das Kirchen- und Gottesbild hat den Missbrauch begünstigt. Der Priester stand über allem. Ich musste bei ihm beichten, wie er mich vergewaltigt hat“, sagte Karl Haucke. Er wurde in seiner Kindheit von einem Ordensmann in einem Internat wiederholt missbraucht. Heute arbeitet er in der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ mit.
Beichte wurde Bußgang zum Täter
Haucke forderte nicht nur eine „ehrliche Aufarbeitung“ der Missbrauchsfälle, sondern eine deutliche Abkehr herkömmlicher Kirchen- und Priesterbilder, wie sie noch in der Theologie vermittelt würden. „Die Beichte etwa ist eine klerikale Überheblichkeit. Für mich wurde die Buße zum Bußgang zum Täter.“
Von der theologischen Wissenschaft sei er enttäuscht: „Wo war die Theologie, als der Missbrauch endlich öffentlich wurde?“ Ein verqueres theologisches Denken habe den Missbrauch begünstigt. „Das Denken in der Kirche, sie stehe über dem Weltlichen, ist fatal. Die Kirche sollte erkennen, dass sie als Institution schuldig geworden ist“, meinte Haucke.
Niederschmetternde Bilanz
Über die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Bistum Münster berichtete Klaus Große Kracht. Er hatte als Mitverfasser der 2022 vorgestellten Studie „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945“ Einblick in die Akten und kirchlichen Verwaltungsvorgänge.
Seine Bilanz ist niederschmetternd: Bis über das Jahr 2000 hinaus seien die Personalverantwortlichen des Bistums Münster ihrer Aufgabe im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch nicht gerecht geworden. „Sie haben vertuscht. Die Betroffenen hatten sie nicht im Blick.“
Geschichte der Fakultät
In einem Hörsaal der Universität im Schloss in Münster haben Studierende und Dozenten über sexualisierte Gewalt in der Kirche diskutiert. | Foto: Christof Haverkamp
Eine Katholische-Theologische Fakultät müsse sich nach den erschreckenden Ergebnissen die Frage stellen, welche Verantwortung die akademische Theologie für die Ausbildung künftiger Priester hat. Die Fakultät müsste Aufarbeitung leisten und nach ihrem Erbe fragen, sagte Große Kracht.
Zwei Bischöfe der jüngeren Kirchengeschichte seien im Blick: Joseph Höffner, der von 1951 bis 1962 Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Münster gewesen war, und Bischof Reinhard Lettmann, dem die Katholisch-Theologische Fakultät 1991 die Ehrendoktor-Würde verliehen hatte. „Die Heimatpfarrei von Bischof Lettmann in Datteln hat ihr Pfarrheim, das Lettmann-Haus, umbenannt. Wann zieht die Fakultät Konsequenzen?“, fragte Große Kracht.
Staatliches Recht steht über Kirchenrecht
Dass die Theologie herausgefordert sei, verdeutlichte Professor Michael Quante. Der Prorektor für Internationales, Transfer und Nachhaltigkeit der Universität Münster sagte: „Der sexuelle Missbrauch ist ein Schandfleck in unserer Gesellschaft. Wer Täter schützt, verdient, rechtlich verfolgt zu werden. Die Aufarbeitung kirchlichen Missbrauchs darf nicht dem Kirchenrecht allein überlassen werden. Das staatliche Recht steht über dem Kirchenrecht.“
Quante sagte aber auch zur Bewertung der katholischen Kirche im Allgemeinen: „Es gibt keine Kollektivschuld, keinen Generalverdacht und keine Sippenhaft.“ Diese Differenzierung sei notwendig und müsse bei aller Emotionalität im Diskurs beachtet werden.
Betroffene erzählen
Dass die Theologie in der Aufarbeitung noch am Anfang steht, machte der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Professor Norbert Köster, deutlich: „Alle Sektionen der Fakultät sind davon betroffen, sei es die biblische, die historische oder die praktische Theologie.“ In Veranstaltungen und Lehrplänen werde die sexualisierte Gewalt ein Thema sein.
Während der Ausstellungseröffnung „Betroffene zeigen Gesicht“ in den Räumen der Fakultät bedankte sich die Prodekanin Judith Könemann bei den Betroffenen für ihre Bereitschaft, über sich Auskunft zu geben und den Missbrauch öffentlich zu diskutieren. Neben Karl Haucke hatten Antonius Kock von der Betroffenen-Initiative Selbsthilfe Münster und Martin Schmitz von der Selbsthilfe Rhede mit Studierenden über ihre Missbrauchserfahrungen und der Aufarbeitung durch das Bistum Münster gesprochen.
Studie über spirituellen Missbrauch
Könemann betonte, wie wichtig die Perspektive der Betroffenen für die Aufarbeitung sei. Die katholische Theologin untersucht derzeit im Auftrag der Bistümer Osnabrück und Münster sowie der Deutschen Bischofskonferenz das Phänomen des geistlichen beziehungsweise spirituellen Missbrauchs. Dabei gilt ihr besonderes Augenmerk dem strukturellen Umfeld.
„Geistlicher Missbrauch kann eine Vorstufe zum sexuellen Missbrauch sein. Es handelt sich aber auch um ein eigenständiges, bisher nur wenig erforschtes Phänomen“, sagte die Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik.
„Betroffene zeigen Gesicht“ – Ausstellung in der Fakultät
In der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster ist bis zum 26. Mai 2023 die Foto-Ausstellung von Ilonka Czerny „Betroffene zeigen Gesicht“ zu sehen. Die Präsentation dokumentiert Einzelschicksale von Betroffenen durch Fotos aus der Kindheit und kurzen Texten, die sie zur Verfügung gestellt haben. Die Ausstellung kann montags bis donnerstags von 8 Uhr bis 19.45 Uhr und freitags von 8 Uhr bis 17.45 Uhr besucht werden.