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Seit fast 60 Jahren fährt die Pfarrgemeinde St. Peter und Paul aus Straelen mit Ferienlagern ins Sauerland. Mittlerweile kommen mehr als 350 Kinder und Jugendliche mit. Und erleben eins: Freiheit pur.
Mittagsruhe! Sollte eigentlich sein. Doch in der Schützenhalle der St.-Antonius-Schützenbruderschaft im sauerländischen Bestwig-Ostwig bleibt es auch nach dem Mittagessen quirlig. Die Zeit bis zum nächsten Programmpunkt füllen die 68 Ferienkinder aus Straelen (Kreis Kleve) selbst. Da gibt es genug Ideen: Handstand auf dem Bettenlager, Zielwerfen in eine Mülltonne, Kartenspielen auf Schlafsäcken… Dazwischen finden trotzdem einige die Ruhe für ein Schläfchen.
Denn an Müdigkeit mangelt es nicht. Zehn Tage haben die Acht- bis Zehnjährigen aus der Pfarrgemeinde St. Peter und Paul bereits hinter sich. Und zehn Tage Ferienlager-Leben haben es in sich: Stationsspiele in der sauerländischen Hügelkulisse, Gruppen-Aufgaben, Lagerrunden, Disco, Nachtwanderung, Schwimmbadbesuch, Freizeitpark und dazwischen viel Gemeinschaftsleben. Dazu übernehmen die Kinder Lager-Dienste, decken die Tische, sind für das Aufräumen der Halle zuständig oder halten die Waschräume sauber.
60 Jahre: Die Grundidee ist gleichgeblieben
„Im Kern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert“, sagt Anne Peeters. Fast 60 Jahre brechen die Straelener mittlerweile jeden Sommer in die Sauerland-Freizeiten auf. „Beim Programm gibt es Dauerbrenner, die Kinder haben die gleichen verrückten Ideen, die Aufgaben für das Team sind immer noch ähnlich.“ Aber in anderen Dimensionen – das zeigt sich hinter der Tür zu Zimmern, in die nur die Betreuer dürfen. Die Zeiten der lockeren Organisation, der Planung im Kleinen oder gar des In-den-Tag-Lebens sind lange vorbei. Hier befindet sich eine echte Logistik-Zentrale.
An den Wänden hängen mehrere großen Plakate mit Angaben für den Ablauf der zwei Wochen: Programmübersichten, Materialeinsatz, Essenspläne, Bestelllisten für den Metzger mit genauen Kilogramm-Angaben… Dieser Aufwand muss sein. Denn hier geht es nicht nur um die Kinder in der angrenzenden Schützenhalle, hier geht es um insgesamt sechs Schützenhallen, in denen 376 Ferienlagerkinder verschiedener Altersstufen untergebracht sind. Und alle kommen aus Straelen und Umgebung.
Eine Mammutaufgabe für die Ehrenamtlichen
„Da müssen wir schon genau planen, wann wir wo den Bulli mit unserer Hüpfburg hinschicken oder wie alle morgens frische Brötchen bekommen“, sagt Peeters. Der Einsatz von fast 70 Betreuern muss koordiniert werden, 35 Helfer in den Kochteams kommen dazu. Eine Mammutaufgabe, aber mit einem entscheidenden Vorteil. „Fast alle haben als Kinder und Jugendliche selbst Erfahrungen in unseren Ferienlagern gesammelt – ich auch.“ Damit ist ein Profi-Team im Einsatz, ehrenamtlich, aber mit unschätzbarem Fachwissen.
„Seit der dritten Klasse.“ Maike Ripkens muss nicht groß überlegen, wie lange sie schon dabei ist. Heute ist sie 25 Jahre, Polizistin und hat fünf Tage Sonderurlaub für ihren Job als Lagerleiterin bekommen. „Die restlichen zehn Tage kommen von meinem Jahresurlaub.“ Bei allem Trubel: Es ist eine Zeit, in der sie abschalten kann. „Der Kopf wird frei“, sagt sie. „Wenn die Kinder mit mir quatschen wollen, wenn sie Spaß an unseren Spielen haben, wenn wir einfach nur gemeinsam abhängen.“
„Koch-Mutti“ mit Zehn-Stunden-Tag
Ähnlich fühlt das auch Kochfrau Ursula Terheggen. „Koch-Mutti!“, verbessert sie sofort. „Wir machen ja nicht nur das Essen, wir sind ja auch ein wenig Mama-Ersatz.“ Gerade hat sie die Fritteusen wieder in die Großküche im Keller der Schützenhalle geräumt. Für die Zubereitung des Mittagsessens waren sie nach draußen gestellt worden. „Damit es in der Halle nachher nicht so stinkt.“ Nach dem Spülen gibt es eine Kaffee-Pause.
Dann liegen schon wieder Vorbereitungen für die nächste Mahlzeit an. Von sieben bis 21 Uhr dauert so ein Koch-Mutti-Tag. Warum sie sich das antut? „Deswegen.“ Die 46-Jährige zeigt auf einen der Zettel, der an den weißen Küchenkacheln klebt. Die Kinder haben darauf ihren Dank gemalt und geschrieben. „Nach dem Abendbrot schick anziehen und in die Lagerrunde kommen!“, steht da. Es ist zu ahnen, dass sie auch dort für ihren Dienst gefeiert werden.
Bestwig ist an Ferienlager-Spiele gewöhnt
Oben, im großen Schlafsaal, ist jetzt Musik zu hören. Die Mittagsruhe ist vorüber. „Aloahee…“ Das Seemanns-Lied passt zum hawaiianischen Motto des Ferienlagers und ruft die Kinder aus ihren Schlafsack-Burgen in die Sitzrunde. „Die Hand ist oben, der Mund ist zu.“ Mit diesem Spruch bekommen die Betreuer etwas Ruhe in das aufgeregte Schnattern. Nur einige wenige Nachzügler müssen für den nächsten Programmpunkt noch geweckt werden.
Ein Stationsspiel liegt an, Aufgaben an unterschiedlichen Orten der kleinen Stadt müssen gelöste werden. Die Gruppenbetreuer haben sich dafür schrill verkleidet. In Bestwig fallen sie damit nicht auf. Hier ist man es gewohnt, dass im Sommer die Ferienlager die Schützenhallen bevölkern. Und mit ihnen viele sonderbare Aktionen in die Straßen kommen.
Absolute Freiheit in lockerer Atmosphäre
„Für die Kinder ist das Freiheit pur“, sagt Anne Peeters. „Ohne Eltern, ohne Schule, einfach mit Gleichaltrigen die Zeit genießen.“ Natürlich gibt es auch hier Regeln. Rücksicht, Toleranz und gegenseitige Hilfe sind wichtig. Laut werden müssen die Betreuer aber selten, sagt Peeters. Auch jetzt, als ein Basketball durch eine Fensterscheibe der Schützenhalle klirrt, bleibt sie gelassen. „So ist Ferienlager halt.“ Die Scherben sind schnell beseitigt.
Das ist zu spüren: Die Lockerheit des Betreuer- und Leitungsteams färbt auf die Kinder ab. Tränen können rasch getrocknet, Meinungsverschiedenheiten in Ruhe geklärt werden. Auch im Kontakt mit den Eltern ist das hilfreich, sagt Peeters. „Da haben schon einige spezielle Ideen.“ Immer dann, wenn diese wollen, dass die Gewohnheiten ihres Kindes auch im Ferienlager berücksichtigt werden müssen. „Morgens um halb sechs isst meine Tochter immer ein Schokoladenbrötchen“, erinnert sie sich an eine Bitte. „Wir sollten das auch während der Freizeit organisieren.“ Was natürlich nicht ging. „Und für das Kind letztlich auch überhaupt kein Problem war.“
90 Schnitzel und die Zuckerwatte-Maschine
Der Koffer, der vor mitgebrachten Süßigkeiten nur so platzt. Die Jungs, die die Mädchen nachts in deren Schlafbereich erschrecken. Die umgekippte Flasche voll Limo, die vollständig in einen Schlafsack läuft. Das sind die vielen kleinen Herausforderungen, vor denen die Betreuer jeden Tag stehen. Die großen werden zeitgleich in der Zentrale nebenan gemeistert: der Transport von kranken Kindern zum Arzt. Die Abholung von 90 Schnitzeln, zwölf Kilo Geschnetzeltem, 110 Bratwürstchen, zehn Kilo Gulasch und elf Kilo Hackfleisch vom Metzger für die nächsten Mahlzeiten in den sechs Schützenhallen. Die Bereitstellung der Zuckerwatten-Maschine, der Discolicht-Anlage und der Popcorn-Maschine für eine andere Halle. Die „ZFV-Betreuer“, „Zur freien Verfügung“, sind im Dauereinsatz.
Es gibt viele Helfer und Unterstützer im Hintergrund, die das alles ermöglichen. Vereine stellen Autos zur Verfügung, Speditionen Transport-LKW, für den Auf- und Abbau der Lager reisen Väter an. Zu den vielen Materialien, die gespendet werden, kommt auch finanzieller Rückhalt. Es gibt einen Förderverein, öffentliche Gelder können beantragt werden, private Spender übernehmen Teilnahme-Kosten für Familien mit finanziellen Engpässen. Das Ergebnis: Zwei Wochen, für die jedes Kind 250 Euro zahlen muss – all-inclusive. Mit zusätzlichen Überraschungen: Heute Mittag war der Bürgermeister von Straelen zu Besuch und hat Eis für alle mitgebracht – 500 Portionen.
Straelen steht bei der Abfahrt Spalier
Das Engagement so vieler Helfer zeigt die riesige Wertschätzung. Und wieder: „Es gibt so viele Straelener, die irgendwann selbst in Schlafsäcken in den Schützenhallen gelegen haben, dass es keine große Überzeugungsarbeit braucht“, sagt Peeters. Im Januar geben sie für zwei Stunden online das Anmeldeformular frei. Dann sind die Plätze vergeben. „Wenn die Busse im Sommer aus Straelen losrollen, steht die halbe Stadt Spalier und winkt.“
So durchorganisiert das Angebot im Hintergrund ist, es darf nicht durchgestylt wirken, sagt Peeters. „Es ist eher ein organisiertes Chaos, so wie die Kinder es brauchen.“ Für den Rahmen ist gesorgt und die Mädchen und Jungen brauchen sich um nichts anderes zu kümmern als um ihren Urlaubsspaß. Und das gelingt. „Das ist noch besser als der Familienurlaub“, sagt Karo Janßen. „Hier gibt es mehr Freunde und mehr Spiele.“
Die traditionell ersten zwei Wochen im Sauerland will die Zehnjährige deshalb auch künftig nicht verpassen. Auch wenn manchmal doch das Heimweh zuschlägt, gibt sie zu. „Aber dann lege ich mich in meinen Schlafsack und schau mir das Foto von unserem Hund an.“ Der Labrador-Welpe blickt schwanzwedelnd in die Kamera. Das reicht für ein paar Augenblicke wichtiger Familiengefühle. Danach geht es wieder zurück ins organisierte Chaos: Kopfstand mit ihren Freundinnen steht auf dem Programm.