Theologie-Professorin über Reformforderungen und den Synodalen Weg

Knop: Was sich in Glaube und Leben nicht bewährt, muss man korrigieren

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Die katholische Kirche in Deutschland zwischen Reformforderungen und deren Ablehnung: Vor der Vollversammlung des Reformprojekts Synodaler Weg Anfang September spricht die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop über Spaltungsvorwürfe, unterschiedliche Diagnosen zur Lage der Kirche und sagt, warum sie eine gemeinsame Lösung erschweren. Die Theologin betont zugleich: Die Kirche darf nicht hinter den kulturellen und intellektuellen Standards ihrer Zeit zurückbleiben.

Frau Professorin Knop, tiefgreifende Debatten beschäftigen die katholische Kirche in Deutschland. Erst kürzlich äußerte sich der Vatikan kritisch zum Synodalen Weg. Der Freiburger Theologe Magnus Striet meint, dass wir uns vor einem Schisma, einer Kirchenspaltung, nicht fürchten müssten - das gebe es längst. Stimmen Sie zu?

Ich finde diesen alten Begriff nicht hilfreich, um die massive Entfremdung vieler Katholik:innen von der Amtskirche und ihrem Gottesdienst zu beschreiben. Aber es stimmt natürlich: Es gibt immense Konflikte und Spannungen in der Kirche. Es geht darum, wie wir heute - im 21. Jahrhundert und angesichts einer horrenden Schuldgeschichte der Kirche - katholisch sein wollen. Ich bin froh, dass diese Debatten endlich geführt werden.

Allerdings wird die Lage der Kirche sehr unterschiedlich beurteilt.

Es geht bei der Einordnung vor allem darum, wie man Missbrauch und Vertuschung durch Kleriker bewertet. Ist dieser Machtmissbrauch typisch für das System katholische Kirche oder systemfremd? Wird Machtmissbrauch durch das kirchliche Selbstverständnis begünstigt oder verhindert? Die MHG-Studie und alle darauffolgenden Untersuchungen identifizieren typisch katholische Faktoren, die Missbrauch und Vertuschung durch Kleriker begünstigen. Das immer noch zu leugnen, halte ich für hochproblematisch.

Führt die jeweilige Diagnose zu unterschiedlichen Lösungsansätzen?

Wer meint, dass Missbrauch nichts mit dem kirchlichen Selbstverständnis zu tun habe, lagert das Problem aus. Er investiert zwar in Aufklärung und Prävention, weist aber kirchlichen Reformbedarf zurück. In dieser Perspektive liegt die Lösung vielmehr darin, die bestehenden Machtverhältnisse zu schützen und die Sexuallehre zu bekräftigen. Wer hingegen Missbrauch für symptomatisch für problematische Dimensionen des kirchlichen Selbstverständnisses hält, setzt grundsätzlicher an: bei Fragen von Macht, Amt, Geschlechterrollen und Sexualität. In dieser Perspektive wäre es prekär, Lehren und Strukturen, die sich als missbrauchsbegünstigend erwiesen haben, nicht zu korrigieren. Das ist der Ansatzpunkt des Synodalen Wegs.

Wie realistisch ist es, dass beide Positionen zueinander finden?

Das ist sehr schwierig, weil die Diagnose grundverschieden ist und die eine Perspektive im Lösungsansatz der anderen ein Problem sieht und umgekehrt.

Kirchengeschichtlich kommen einem die Debatten gar nicht so fremd vor: Bereits am Umbruch zum 19. Jahrhundert stritt die Theologie darüber, wie Kirche sich selbst verstehen soll - als ein der Zeit enthobenes System, das ewige Wahrheiten bewahrt, oder als ein System, das selbst geschichtlich geworden ist.

Wenn man die kirchliche Lehre zeitenthoben denkt, darf man keinen Buchstaben daran ändern. Wer heute noch so denkt, hält deshalb schon das Ansinnen des Synodalen Wegs für falsch, Lehren und Strukturen kritisch zu hinterfragen. Wir kennen aber Gottes Willen nur in menschlicher Interpretation, Gottes Wort nur in Worten von Menschen. Kirchliche Lehren und Strukturen sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind geschichtlich gewachsen. Genau deshalb können sie auch weiterentwickelt werden. Wenn sie sich in Glauben und Leben nicht mehr bewähren, müssen sie korrigiert werden. Denn sie sind kein Selbstzweck.

Der Kulturphilosoph Ernst Troeltsch hat 1910 sinngemäß gefragt, ob die Kirche den Gläubigen nur fertige Wahrheiten darbietet oder mit ihnen gemeinsam als Suchende dasteht.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil versteht sich die Kirche als gemeinsam mit den Menschen suchend. Sie will ihr Verständnis des Evangeliums in der Gesellschaft umsetzen - immer in dem Wissen, auf dem Weg und noch nicht am Ziel zu sein. Das gilt auch für ihre institutionelle Gestalt. Die Kirche hat sich historisch betrachtet permanent verändert. Dabei hat man durchweg, wenn auch mit Verspätung, an zeitgenössischer Politik und Gesellschaft Maß genommen. Das ist auch heute möglich und nötig. Wir dürfen weder hinter den intellektuellen noch hinter den kulturellen Standards unserer Zeit zurückbleiben. Mehr noch: Wir könnten als Kirche eigentlich das Beste einer freiheitlich-demokratischen Kultur verwirklichen. Wer in jedem Menschen Gottes Abbild erkennt und die Freiheit und Gleichheit der Kinder Gottes bekennt, müsste sich eigentlich an die Spitze der Menschenrechtsbewegung setzen, gegen Diskriminierung jedweder Art eintreten - und dies zuallererst im eigenen Kontext bewähren.

Nicht viele Menschen dürften die Kirche als Vorreiter in diesen Fragen sehen.

Weil dem System Kirche zutiefst gewisse Strukturen eingeschrieben sind. Nehmen wir als Beispiel den Klerikalismus, der als problematischer Faktor von Missbrauch erkannt ist. Klerikalismus ist kein subjektives, sondern ein strukturelles Problem. Ein Priester, der sich klerikalistisch verhält, handelt ganz systemkonform. Denn die katholische Kirche pflegt auch im Jahr 2022 noch eine Ständegesellschaft. Der Unterschied zwischen Klerikern und Laien durchzieht das Kirchenrecht und den Gottesdienst, das Machtgefüge und das Selbstverständnis der Kirche. Vor einigen hundert Jahren mag das noch plausibel und zeitgemäß erschienen sein. Heute ist es anachronistisch: eine bizarre Sonderwelt. Das ist theologisch hochproblematisch. Und es bringt Priester in die prekäre Situation, sich nicht von ihrer Berufung und Aufgabe, sondern vom Unterschied zu den Laien her zu definieren.

Was werden bei der Synodalversammlung im September die wichtigsten Punkte sein?

In erster Lesung werden zum Beispiel ein Text zur Einführung von Grundrechten der Gläubigen in der Kirche und einer zum Umgang mit Missbrauch an erwachsenen Frauen beraten. Texte in zweiter Lesung können schon beschlossen werden, zum Beispiel zur Verstetigung synodaler Strukturen auf allen Ebenen der Kirche, zum Pflichtzölibat der Priester, zur lehramtlichen Neubewertung queerer Sexualität und zu entsprechenden Konsequenzen im kirchlichen Arbeitsrecht. Es wird sich zeigen, ob dem in den vergangenen Monaten gewachsenen Problembewusstsein bezüglich unheilvoller kirchlicher Konzepte und Realitäten nun auch Reformbereitschaft und vor allem Handlungswille entsprechen. Hier sind vor allem die Bischöfe gefragt. Denn die Überwindung toxischer Strukturen, Konzepte und Gewohnheiten beginnt zwar in den Köpfen. Aber sie braucht, um nachhaltig zu sein, mehr als den guten Willen eines guten Hirten. Nötig ist eine rechtlich und gegebenenfalls auch doktrinell verlässliche Basis. Dafür müssen die Bischöfe einstehen. Auch gegenüber Rom.

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