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„Die Zeit“, „Vatican News“, „Der Spiegel“, „Frontal 21“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Monitor“ – Peter Kossen zählt die Medienanfragen nicht mehr. Erst am 22. Juni war der Pfarrer der Lengericher Pfarrei Seliger Niels Stensen Gast in der Politik-Talkshow „Hart aber fair“. Am Morgen danach hatte der 52-Jährige mehr als 100 Mails in seinem elektronischen Postkasten.
Die Menschen beschäftigt das, was er sagt. Seit 2012 prangert Kossen die Arbeits- und Lebensbedingungen vor allem der osteuropäischen Leiharbeiter in den Schlachtbetrieben an und bezeichnet diese als „moderne Sklaverei“. Durch den Corona-Ausbruch im Mai bei Westfleisch in Coesfeld und jetzt bei Tönnies Rheda-Wiedenbrück bekommt das Thema auch international mediale Aufmerksamkeit. Die will der Sozialpfarrer, so wird er in den Medien genannt, nutzen: „Durch den öffentlichen Druck steigt die Chance, dass sich etwas ändert.“
„Der Normalbetrieb darf nicht leiden“
Um 5 Uhr klingelt im Pfarrhaus der Wecker. Kossen sitzt oft zu früher Stunde schon am Schreibtisch, erledigt Aufgaben, die in einer Pfarrei anfallen, bereitet Gottesdienste und Predigten vor: „Der Normalbetrieb darf nicht leiden“, betont der leitende Pfarrer. Ist noch Zeit bis zum ersten Termin, reagiert Kossen auf Mails von Menschen, die ihn im Fernsehen gesehen oder über ihn in der Presse gelesen haben. Dabei geht er Kritik nicht aus dem Weg: „Es kommt nicht selten die Frage, warum ich so scharfe Formulierungen wähle.“ Kossens Begründung: „Man muss so weit gehen, wie man kann.“ Und er fügt an: „Schließlich geht es hier um Menschen.“ Dass seine Hartnäckigkeit auch Mut erfordert, dessen ist er sich bewusst: „Aber wenn das Unrecht schrill ist, muss auch der Aufschrei schrill sein.“
Seinen Einsatz für die Leiharbeiter und damit das Bemühen um Wahrheit und Gerechtigkeit sieht der Pfarrer als zentrale Herausforderung eines jeden Christen. Er findet Ermutigung für sein Handeln an vielen Stellen im Evangelium: „Wir dürfen dabei nicht im Allgemeinen verharren, sondern müssen konkret werden.“ Während seiner Zeit als Ständiger Vertreter des Offizials in Vechta hatte Kossen engen Kontakt zum Caritasverband und zum Sozialdienst katholischer Frauen. Durch deren Berichte und seine eigenen Beobachtungen stieg in dem 52-Jährigen die Wut über die Zustände. Nachdem er die Strukturen der Fleischindustrie erstmals öffentlich als „mafia-ähnlich“ kritisiert hatte, entstand ein mediales Interesse, das Kossen anfangs in seiner Dynamik überraschte. „Viele erwarten von einem Vertreter der Kirche eine andere Position“, weiß Kossen aus Gesprächen, der vor einer Konfrontation mit der Fleischindustrie nicht zurückschreckt.
Auch an die Kirche hat Kossen Forderungen
Er nimmt jedoch nicht nur Politik und Wirtschaft in die Verantwortung, auch an seine Kirche hat er Forderungen: „Mit unseren Krankenhäusern, den Schulen sowie den Alten- und Bildungseinrichtungen sind wir eine Marktmacht, die wir einsetzen müssen.“
Dass seine Gegner wenig zimperlich sind, verschreckt Kossen nicht. Unbekannte haben ihm nachts mal einen Kaninchenkopf vor die Haustür gelegt, als „Gruß aus der Fleischbranche“. Tags zuvor hatte er die Arbeitsbedingungen in manchen Schlachthöfen angeprangert. Die Drohung sollte ihn zum Schweigen bringen. Ruhe gegeben hat er dennoch nicht.
Kossen nimmt auch Unterlassungsklagen in Kauf
Doch geht es Kossen nicht allein um Aufmerksamkeit. Er möchte, dass sich etwas ändert. Und deshalb benennt er bewusst die Namen der Firmen. Dass ihm dadurch Unterlassungsklagen drohen können, nimmt der Lengericher Pfarrer in Kauf: „Durch die Namensnennung ist der Druck auf jeden Fall größer.“
Einer der aufgeführten Unternehmer hat ihn daraufhin im vergangenen Jahr zu einem Gespräch zu sich bestellen wollen. Kossens Bedingung: „Ich komme nur, wenn Sie uns sagen, was Sie ändern wollen.“ Das Treffen kam nicht zustande. „Ich gehe nicht dorthin, um mir anzuhören, wie Dinge gerechtfertigt werden, die es nicht zu rechtfertigen gibt“, hat Kossen eine klare Position.
Ob sich durch den Corona-Ausbruch bei den Fleischverarbeitern etwas ändern wird? Der Lengericher Pfarrer ist nicht allzu zuversichtlich: „Ich traue den Unternehmern nichts Gutes zu“, sagt er. Selbstverpflichtungen seien keine Lösung. Der Gesetzgeber müsse klare Regelungen verabschieden. Nur so könnten die Leiharbeiter geschützt werden.