Heinrich Michael Knechten aus Datteln über die Religions-Frage im Ukraine-Krieg

„Russen-Seelsorger“: „Moskauer Patriarch Kyrill ist ein Häretiker“

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Der Krieg in der Ukraine ist eine große Herausforderung für die „Russische Gemeinde der heiligen Boris und Gleb“ in Datteln. „Russen-Seelsorger“ Heinrich Michael Knechten zeigt sich entsetzt. Für den Moskauer Patriarchen Kyrill I. findet Knechten deutliche Worte.

In der „Russischen Gemeinde der heiligen Boris und Gleb“ in Datteln versammeln sich seit Jahrzehnten Russen, Ukrainer, Weißrussen, Georgier und weitere Osteuropäer, um gemeinsam die Göttliche Liturgie im russisch-orthodoxen Ritus zu feiern. Rund 800 russischsprachige Frauen und Männer zählt die Gemeinde, die durch den Krieg in der Ukraine herausgefordert ist.

Für den sogenannten „Russen-Seelsorger“ Pfarrer Heinrich Michael Knechten ist es keine leichte Aufgabe. „Ich bin entsetzt und sprachlos“, sagt der 72-jährige Seelsorger. Er sieht mit Sorge, wie der Krieg in der Ukraine und die politischen Konflikte in Osteuropa die Gemeindemitglieder spalten. „Einige verteufeln Putin, andere habe Verständnis für ihn“, sagt er. Gemeindemitglieder kommen nicht mehr im selben Auto zur Kirche, obwohl sie aus einer Familie stammen.

Freundschaften zerbrechen

Mit politischen Aussagen hält sich Knechten zurück, aber er sieht auch Missbrauch der Religion: „In meiner Gemeinde beten wir nicht mehr für den Moskauer Patriarchen Kyrill. Seine Aussagen zum Krieg sind unerträglich“, sagt Knechten und legt nach: „Für mich ist dieser Patriarch ein Häretiker.“

Patriarch Kyrill I. hatte den Angriffskrieg auf die Ukraine gerechtfertigt. Das sei höchst problematisch, sagt Knechten, und unchristlich, wenn sich Religion mit Nationalismus verbinde.

Streit in den orthodoxen Kirchen

Pfarrer Heinrich Michael Knechten zeigt ein Bild der Kathedrale von Kiew mit dem Mosaikbild der betenden Gottesmutter. Die im 11. Jahrhundert erbaute Sophien-Kathedrale war Mittelpunkt des kulturellen und politischen Lebens des altrussischen Volkes und gilt als Ukrainern und Russen gleichermaßen als „Mutterkirche“. | Foto: Johannes Bernard
Pfarrer Heinrich Michael Knechten zeigt ein Bild der Kathedrale von Kiew mit dem Mosaikbild der betenden Gottesmutter. Die im 11. Jahrhundert erbaute Sophien-Kathedrale war Mittelpunkt des kulturellen und politischen Lebens des altrussischen Volkes und gilt Ukrainern und Russen gleichermaßen als „Mutterkirche“. | Foto: Johannes Bernard

Dass sich die Moskauer Kirche in der Tradition der Ostkirchen über die Kiewer Kirche erhebt, ist für Knechten unfassbar: „Die Mutterkirche aller Russen steht in Kiew. Die dortige Kathedrale der Weisheit ist ein wichtiges geistliches Zentrum für alle, die sich der russischen Orthodoxie zugehörig fühlen.“

In diesen Tagen helfen Gemeindemitglieder Flüchtlingen aus der Ukraine und stellen sich als Dolmetscher zur Verfügung. Für größere Hilfsmaßnahmen ist die Gemeinde nicht vorbereitet. „Unsere Gemeinde ist zunächst eine Gottesdienstgemeinde“, sagt er.

Gemeinde entstand nach Zweitem Weltkrieg

Entstanden ist die russischsprachige Gemeinde in Datteln-Horneburg, die nicht zu verwechseln ist mit einer russisch-orthodoxen Gemeinde, nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Als nach 1945 zahlreiche von Deutschen verschleppte und kriegsgefangene Russen, Ukrainer und Weißrussen nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, ergab sich die Notwendigkeit einer seelsorglichen Betreuung dieser oft von schwerem Leid getroffenen Menschen.

Die katholische Kirche in Deutschland errichtete in Deutschland einige Seelsorgestellen für Russen. Seit 1968 ist eine davon für den Zuständigkeitsbereich der Diözesen Münster und Paderborn in Horneburg ansässig.

Wunsch nach Schweigen der Waffen

Der „Russen-Seelsorger“ will weiterhin für den Frieden beten, wie viele seiner Gemeindemitglieder. Knechten wünscht sich ein Schweigen der Waffen, ein friedliches Miteinander der Völker in Osteuropa, eine Umkehr der Religionspolitik des Moskauer Patriarchats und eine Rückbesinnung auf die Heiligen Boris und Gleb. Sie waren die ersten Heiligen der russisch-orthodoxen Kirche.

Erinnerung an die ersten russischen Heiligen

Merkmal der Kirche in Datteln-Horneburg ist die Ikonostase, eine mit Ikonen geschmückte Wand, die der ukrainische Künstler und Jesuit Alexander Iwschenko gestaltete. Die Ikonostase zeigt die Einheit mit Christus, seiner Mutter und all den Heiligen und Engeln. | Foto: Johannes Bernard
Merkmal der Kirche in Datteln-Horneburg ist die Ikonostase, eine mit Ikonen geschmückte Wand, die der ukrainische Künstler und Jesuit Alexander Iwschenko gestaltete. Die Ikonostase zeigt die Einheit mit Christus, seiner Mutter und all den Heiligen und Engeln. | Foto: Johannes Bernard

Die Verehrung der Brüder Boris und Gleb setzte um das Jahr 1050 ein und beschränkte sich zunächst auf das Kiewer Herrscherhaus. Ihre Verehrung spielte aber im späteren religiösen und politischen Leben Russlands eine bedeutende Rolle und so zählten sie zu den populärsten altrussischen Heiligen.

Nicht zuletzt hofft der Seelsorger auf die Einheit der Gemeinde: „Die Lösung von Konflikten kann niemals Krieg bedeuten. Das muss in den Köpfen aller sein.“

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